Mit Zahnpastawerbung

29. Juni 2012. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung berichtet Paul Ingendaay über die spanische Theater-Szene "unterhalb der Flughöhe großer Subventionsbetriebe", die in der Krise großen Zulauf haben. Zum Beispiel die Casa de la Portera in Madrid mit nur 25 Plätzen, die eine Gruppe professioneller Schauspieler und Bühnenkünstler gegründet hat, "um zu beweisen, dass man für gutes Theater nicht mehr braucht als die richtigen Menschen und eine Handvoll Requisiten".

Während im Kulturbetrieb weiträumig Budgets gekappt, Projekte zusammengestrichen und Leute entlassen würden, hauche hier die Inszenierung "Iván-off" nach Tschechow "eine Ahnung von Endzeit ein". Trotz einiger Aktualisierungen schmiege sich in die "alterslose Tschechow-Hülle wie eine zweite Haut an die neueste spanische Wirklichkeit, die ja auch von den letzten und größten Fragen handelt: Wie dem Irrenhaus des täglichen Lebens entkommen? Wo ein bisschen Sinn zusammenkratzen, wenn alles rutscht, stürzt, verfällt?"

Low Budget arbeitet auch das Madrider Microteatro por dinero, das Mikrotheater für Geld, das ursprünglich in einem ehemaligen Bordell residierte und das nun seinen Betrieb auf zwei Etagen unterhält: "oben der Schankraum mit einer langen Bar, im Keller fünf kleine numerierte Räume. Dort werden an fünf Tagen der Woche fünf Minidramen parallel aufgeführt. Jedes Stück dauert höchstens fünfzehn Minuten, wird fünfmal pro Abend gespielt und kostet vier Euro Eintritt." Maximal fünfzehn Zuschauer gingen in einen Raum, und "von den fünf Stücken, die wir uns hier ansehen, mit ein paar Minuten Pause dazwischen, ist keines schlecht; zwei sind so witzig, dass man sie gleich noch einmal sehen möchte."

In einem Jahr und neun Monaten hätten mehr als dreihunderttausend Zuschauer die Räume eins bis fünf besucht, die Auslastung sei stetig gestiegen, sagt das Theater. "Man benötigt auch keinen Theaterkritiker, um zu wissen, was gespielt wird. Man geht einfach hin und sieht es sich an. Geschrieben und produziert wird auf Hochtouren."  Alle vier Wochen sichtete "die Theaterleitung gut hundert Minidramen, von denen nur fünf angenommen werden". Die Autoren müssten Schauspieler und Regie gleich mitbringen. "Unter Schauspielern ist das Theater beliebt, weil es Rollen mit überschaubarer Probenarbeit bietet und die Publikumsreaktionen völlig unverstellt sind: Die Zuschauer sitzen den Akteuren fast auf dem Schoß, und wenn das Schicksal es will, spielt man auch vor drei Leuten." Ihr eigentliches Geld verdienen die Schauspieler und die Macher allerdings woanders, "etwa mit Zahnpastawerbung oder beim Film".

(geka)

 

Kommentar schreiben