Es geht um den dunklen Glanz

20. Juli 2012. Im Oktober wird das Manifest "2083. A European Declaration of Independence" des rechtsradikalen norwegischen Attentäters Anders Behring Breivik vom dänischen Dramaturgen Christian Lollike als Monolog auf die Bühne gebracht – nachtkritik.de berichtete. Nach der Kopenhagener Premiere wird die Produktion an Dramatikkens hus, eine staatlich finanzierte, experimentelle Bühne in Oslo, und ins dänische Åhus gehen, weiß SZ-Feuilletonchef Thomas Steinfeld in einem Kommentar in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung zu berichten.

"Christian Lollike ist ein geschickter Mann", schreibt Steinfeld. "Denn er wird die Aufmerksamkeit bekommen, die jeder erhält, der diesen Massenmord zum Stoff einer öffentlichen Vergegenwärtigung macht." Er werde die Neugier des Publikums und das Verlangen nach Sensation bedienen. "Er wird tun, was das Gericht nicht tun sollte: er wird einem Massenmörder die Bühne für dessen Anliegen zur Verfügung stellen." Aber Lollike verbinde es mit dem Anspruch auf Aufklärung, "ahnend oder zumindest hoffend, dass ihm darin keiner widersprechen wird".

Worin diese Aufklärung denn bestehen solle, wäre allerdings die nächste Frage. "Aber sie wird nicht gestellt, weder von den Angehörigen der Toten, noch von der Politik, noch von den skandinavischen Medien", so Steinfeld. Also stellt er sie selbst: "Was hilft es, wenn - wie es Christian Lollike formuliert - eine offene Frage "beleuchtet" wird? Wird es dann heller in den Köpfen des Publikums?"

Entscheidend sei die Selbstverständlichkeit, mit der die öffentliche Darbietung eines bekannten, im Internet jederzeit einsehbaren Textes mit der Vermehrung von "Klugheit" gleichgesetzt werde. "Worin soll, worin kann die Belehrung bestehen, wenn ein Schauspieler Auszüge aus dem monströsen Konvolut vorträgt, mit welchen verfremdenden Mitteln auch immer?"

Nein, das "Klüger-werden", das Christian Lollike als Wirkung seiner Inszenierung verspreche, müsse von anderer Beschaffenheit sein als die reflexive Distanz, die dem Urteilsvermögen innewohnt, schließt Steinfeld. Das monologische Vortragen des Manifests könne nur auf das Entgegengesetzte zielen: auf die Herstellung von Unmittelbarkeit. "Als Zeugen sollen Schauspieler und Publikum diesem Text begegnen und so Anteil haben an einer monströsen Wahrheit, an einem furchtbaren Schrecken." Und wenn der Schock zum "Klüger-werden" führen solle, so müsse diesem angeblichen Gewinn an Einsicht "eine Vorstellung von Wahrheit zugrunde liegen, die wenig mit Reflexion, um so mehr aber mit einer fiebrigen Einsichtnahme in ein ebenso fremdes wie ungeheures Leben zu tun hat".

Der "O-Ton" sei das Höchste an Leibhaftigkeit, was man außerhalb von Gericht und Gefängnis von Anders Behring Breivik haben könne. "Dass von dieser schillernden Monstrosität ein dunkler Glanz übergeht auch auf das Theater. Darum geht es." Und der Rest des Gedankens sei so plausibel wie der Einfall, ein pornografisches Bild für eine Lehrstunde in Anatomie zu halten. "Theater ist, wenn das Theater sich Stoffe aneignet. Nicht, wenn es sich ihnen unterwirft."

(sd)

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