Kunst vom Ende der Kunst her gedacht

27.7.2012. Die taz ehrt das Wiener Urgestein Hubsi Kramar mit einem längeren Porträt – Anlass: Kramar schließt sein 3raum Anatomietheater, eine Institution der Wiener Freien Szene.

"Wenn man ihn als Provokateur bezeichnet, kränkt Hubsi Kramar das beinahe", schreibt Uwe Mattheis. "Sind es doch die Verhältnisse, die ihn provozieren: die Kirche, die Rechten und immer wieder der fahrlässige Umgang mit der Geschichte des Nationalsozialismus in Österreich." Die joviale Verkleinerungsform des Vornamens zeige Hubsi als letzten Verbliebenen einer alten Wiener freien Szene, "die sich gegenüber anderen dadurch auszeichnete, dass ästhetische Avantgardebestrebungen, neue soziale Bewegungen und die Suche nach alternativen Lebensformen lange nicht voneinander geschieden waren".

Kramar sei bis in die 90er Jahre einer der profilierten Sprecher für die Szene als Ganzes gewesen. Auch hierfür sei ihm 2011 das Goldene Ehrenzeichen der Stadt Wien verliehen worden. "Der Vorvorgängerin des Stadtrats, der ihn ehrte, hielt er bei einer Debatte über die soziale Lage der Künstler eine Spielzeugpistole an den Kopf." Man habe ihn damals wohl für eine Art von Wiener Dieter Kunzelmann gehalten. "Ob solche Ereignisse auch die Vervielfachung der Subventionen für Freie Gruppen in Wien Ende der 80er Jahre betrieben haben, sei dahingestellt", schreibt Mattheis. Aber es sei wohl aus der Sicht der regierenden Sozialdemokratie besser gewesen, den jungen Leuten etwas zum Spielen zu geben. "Es entstand eine Vielfalt, in der auch Kramar weiter sein Auskommen fand."

Mit einer sich differenzierenden freien Szene, die sich von ihren gesellschaftspolitischen Visionen zunehmend verabschiedet und die Konzepte einer bürgerlichen Avantgarde weitertreibt, habe Kramar weniger anfangen können. "Kramar blieb bei seinen Selbsterfahrungskonzepten, die er seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts in seinem '3raum Anatomietheater' auch auf Personenkreise ausweitet, die dem bürgerlichen Kulturbetrieb als Randgruppen gelten." Es habe Uraufführungen von Autoren gegeben, "die er einfach mag", Drag- und Trash-Versionen von Oscar Wilde bis Werner Schwab. "Inspirierendes und Dilettantisches spielen vielfach Hand in Hand und lassen die wohlmeinend linksliberalen Kritiker gelegentlich mit den Haaren raufen." Kramar denke Kunst vom Ende der Kunst her. "An ihrem letzten Aufbäumen sollen entgegen bürgerlichen Qualitätshierarchien noch einmal alle teilhaben können."

Das 3raum Anatomietheater schließe Kramar nun im Herbst, "was in Wien auch schon wieder fast ein Coup ist". Eine ungeschriebene kulturpolitische Regel laute: Die Stadt schließt kein Theater und leistet Subventionen dafür ad infinitum, so Mattheis. "Was zur Folge hat, dass kaum noch welche eröffnet werden." Kramar mache nun unverortet weiter. "Solange die österreichischen Dämonen auf der Seele lasten, gilt: The Torture Never Stops."

(sd)

Nachtkritiken zu Produktionen des 3raum Anatomietheaters:

2. Festival des Absurden (4/2012)

Ein idealer Gatte (8/2009).

 

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