Unbekannte Räume

7. August 2012. Für die heutige Ausgabe der Welt hat Christiane Hoffmans den Ruhrtriennale-Intendanten Heiner Goebbels während seiner Proben an John Cages "Europeras 1 & 2" in der Jahrhunderthalle Bochum getroffen und interviewt. "So weit ich zurückblicken kann, hatte ich immer eine starke Wahrnehmung für das Drumherum, den Blick hinter die Kulissen und für die Spannung zwischen visueller Ausstrahlung und musikalischer Wirkung", sagt Goebbels auf die Frage, wann er gemerkt habe, dass die Welt zu eng ist.

Über seine Zeit im studentenbewegten Frankfurt der Endsechziger Jahre: "Ich war ein absoluter Nobody, schon weil ich zu den Jüngsten gehörte. Außerdem hatte ich keine militante Mission, so wie andere in jener Zeit." Ihn habe "wohl eher die Unangepasstheit, das Gefühl, sich selbst entdecken und realisieren zu können", angetrieben. Sehr wichtig sei es ihm schon früh gewesen, "ein künstlerisches Denken in die politischen Kontexte zurückzuholen, nachdem dieses seit 1968 als bürgerlich exkommuniziert worden war".

Zum Studium der Musik habe ihn die Beschäftigung mit Hanns Eisler motiviert. "Selbst in seinen melancholischen Liedern sind die Verbindungen zu einer politischen Öffentlichkeit noch spürbar." Musik in gesellschaftlichen Kontexten zu sehen, das interessiere ihn heute noch ebenso. Was sich wie ein roter Faden durch seine Arbeit ziehe, sei der Wunsch, Augen und Ohren des Publikums für die Imagination zu öffnen. "Räume zu betreten, die noch unbekannt sind, die bislang vielleicht noch nichts miteinander zu tun hatten."

Man dürfe die Vorstellungsräume der Zuschauer nicht zustellen mit fertigen und bekannten Bildern, mit Klischees und Stereotypen. "Theater kann mehr sein als eine erzählte Geschichte auf einer Bühne: Es besteht im besten Fall aus einer Vielfalt von Eindrücken aus Bewegungen, Klängen, Worten, Räumen, Körpern, Licht und Farben." Und mit diesem Mehr könne Theater uns berühren.

Durch den Job als Intendant der Ruhrtriennale fühlt Goebbels sich "kaum" in seiner Experimentierfreiheit gestört und schwärmt von den örtlichen Voraussetzungen: "Die ehemaligen Industriehallen sind eine Herausforderung für jeden Künstler, denn sie widersetzen sich schablonenhaften Mustern. Und wenn man nicht einfach eine vorgefertigte Idee dort abliefern will, braucht man Zeit, damit in diesen Räumen etwas Originäres entstehen kann."

Das Festival biete die Chance, einen offeneren Begriff von Musiktheater zu vermitteln, in dem jenseits der Oper viele Musikrichtungen ihren Platz haben. "Wir haben den künstlerischen Anspruch, in den Räumen mit den Aufführungen eine eigene Realität zu schaffen, die zur Erfahrung einlädt, sich aber um die klassischen Begriffe nicht mehr schert."

(sd)

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