"Zuschau-Kunst"

11./17. Oktober 2012. In der Neuen Zürcher Zeitung (11.10.2012) beschreibt Barbara Villiger Heilig ihre Eindrücke von einer "Zukunftskonferenz" an der Akademie der darstellenden Kunst Baden-Württemberg. "Kann es sein, dass sich die Theater tendenziell von ihren eigentlichen Adressaten entfernen und immer mehr zu Insiderveranstaltungen für Eingeweihte werden?" fragt sie. Seit dem Einbruch des Regietheaters Anfang der 70er Jahre hätten sich die Inszenierungsstile entlang vorherrschenden Moden, Schulen oder "Diskursen" kompliziert entwickelt. "Weiß heute wirklich jeder Abonnent, jede Abonnentin, was postdramatisches, was postmigrantisches Theater ist?"

Natürlich brauche man, um beispielsweise eine Aufführung von Rimini Protokoll zu verstehen, keine Nachhilfestunden. Der Erfolg dieses Kollektivs bestehe darin, sachliche Themen – Politik, Gesellschaftsprobleme, Wirtschaftsfragen – theatralisch und "sinnlich" fassbar zu machen, was den Intellekt nicht ausschließe. "Man lernt Konkretes über die Realität; das ist in unserer Zeit kostbar." Aber nicht immer sei es so einfach, und – vor allem – nicht alle Theatermacher hätten ein so glückliches Händchen wie die Riminis. Oft herrsche Erklärungsbedarf: Wie die bildende Kunst brauche auch das Theater mehr und mehr begleitende Kommentare. Einführungen oder Programmtexte lieferten Hintergrundwissen und Anleitungen zum Verstehen, änderten jedoch nichts daran, dass das Theater, oder zumindest ein Teil von dem, was heute als Theater gelte, das allgemeine Publikum immer weniger zu betreffen scheine.

"Leitmedium" sei das Theater ja schon lange nicht mehr. "Aber es spaltet sich, außerdem, zusehends: in ein 'traditionelleres' Repertoiretheater einerseits, das immer noch beträchtliches Gewicht hat, obwohl es mit dem Schimpfwort 'Stadttheater' abgestraft wird; in eine ihrerseits sich zersplitternde Vielfalt neuer Formen oder Formate anderseits." Diese Vielfalt sei längst auch im Programm großer, "fester" Häuser integriert; träfe eine dieser "Inszenierungen" ins Schwarze, generiere sie postwendend Nachahmer. "Das Epigonentum grassiert deshalb. Und es stellen sich bei vielen dieser Events Fragen: Nicht selten sucht man nämlich unter dem Strich nach dem Unterschied zwischen einer theatralen Stadtwanderung und kommunem Sightseeing; oder man fragt sich, ob es, um mit einem Callcenter in Indien zu telefonieren, tatsächlich nötig war, eine Theaterkarte zu bezahlen." Insgesamt täte, so Villiger Heilig, so langsam die Vermittlung einer "Zuschau-Kunst" not, wie sie "Zukunftskonferenz"-Referent Uwe Gössel, Leiter des Internationalen Forums des Theatertreffens, gefordert habe.

Auch was die Ausbildung der Theatermacht betreffe, herrsche offensichtlich allgemeine Verwirrung: "Nicht jedes Institut lehrt dasselbe, die Akzente werden unterschiedlich gesetzt, und last, but not least kommt es immer noch drauf an, wer ein Fach lehrt und wie er/sie das tut." Den Studierenden falle es nicht umstandslos leicht, mit der neuen Unübersichtlichkeit zurechtzukommen. Was übrigens auch im Halbdunkeln geblieben sei, so Villiger Heilig, sei die Masse der Absolventen, die es gar nie bis zu einem Festengagement brächten. Darüber flüstere man lieber hinter vorgehaltener Hand, wie auch über die beschämend schlechten Löhne, die bei Festengagements gegebenenfalls in Kauf genommen würden. "Wo es um Perspektiven geht, gehörten solche Probleme aber dringend aufs Tapet."

(sd)

Für die Süddeutsche Zeitung (17.10.2012) besuchte Adrienne Braun die Ludwigsburger Tagung und stellt die Frage nach der Schauspielausbildung in den Mittelpunkt ihres Berichts. Der Verlust des Rollenspiels angesichts der allgegenwärtigen gesellschaftlichen Erfordernis, "authentisch und wahrhaftig zu sein", sei vom Rektor der Berliner Schauspielschule Ernst Busch Wolfgang Engler beklagt worden. Die Dominanz des Ichs über alle Rollen sei ein Fehler. "Man darf die Rolle nicht aufgeben", habe Engel gefordert – "eine der wenigen entschiedenen Positionen" bei diesem Kongress, wie Braun einschätzt.

"Die Unsicherheit ist groß", heißt es im Text weiter. Oder in den Worten des Frankfurter Theaterwissenschaftlers Nikolaus Müller-Schöll: "Wir bilden für ein Theater aus, das wir noch nicht kennen." In die Zentrum des Textes stellt Braun ein Statements der Ausbildungsdirektorin an der Frankfurter Schauspielschule Marion Tiedke. Tiedke "beobachtet mit Sorge, dass die Theater vor allem 'scharf auf Anfänger sind', die sie meist schon im dritten Ausbildungsjahr einkaufen, um sie aber bald schon wieder 'abzustoßen'. Viele junge Akteure würden nach drei bis fünf Jahren 'verbrannt aus dem Arbeitsmarkt herausgeschleudert werden'".

Hasko Weber vom Schauspiel Stuttgart flankiert dieses Aussagen mit einem Blick auf das zunehmend flexible Arbeitsleben von Regisseuren. "Die Fluktuation an den Theatern sei bereits enorm, Regisseure reisen von Stadt zu Stadt. Sie seien 'überall und gleichzeitig auch nirgends' und hinterließen keine Spuren mehr in einem Ensemble." Angesichts dieser schwindenden Kontinuitäten habe Weber gefordert, dass es "in Zukunft wieder viel mehr um die Unterschiedlichkeit eines Theaters gehen muss".

(chr)

Kommentare  
Konferenz Zukunft des Theaters: operativ geschlossen
sehr richtig! theater als operativ geschlossenes system...in den premieren der studiobühnen sitzen fast ausnahmslos insider und dann kommt kaum noch jemand..hat vielfach aber auch mit der eitelkeit und dummheit der macher zu tun..nicht mit unwissenheit seitens der zuschauer..es ist halt meist flache und flachste pop salsa, die da geboten wird. epigonales ist ja offensichtlich so ziemlich das einzige, was an den ehrwürdigen hochschulen gelehrt wird..und dann noch die sog. theaterwissenschaft..eine nicht wirklich ernst zu "nehmende" pseudowissenschaft..die aber durch die dramaturgen und kuratoren eindeutig die macht übernommen hat.
"quereinsteiger" haben im stadttheater heute keine chance mehr..ohne busch abschluss sieht es finster aus. die dramen kommen aus dem kurs für kreatives schreiben und so wird peinlich genau darauf geachtet, dass alles schön im eigenen saft schmort. operativ geschlossen ..eben.
ernsthaft künstlerisches tun und denken_ nicht wirklich angesagt.
manch eine "postdramatische" theaterveranstaltung spielt sich bestenfalls auf dem niveau von rtl 2 talks ab.
und die regisseurInnen sollten am besten unter achtzehn sein..die sind billig und machen alles was man ihnen sagt. sie wollen ja reinkommen ins "system".
Konferenz Zukunft des Theaters: wie jetzt?
@ postpostpost: Wie meinen Sie das, dass die Theaterwissenschaft nicht wirklich "ernst zu 'nehmen' ist"?
Konferenz Zukunft des Theaters: Publikum entscheidet
@Inga Tatsächlich, die Theaterwissenschaft sitzt wie ein Parasit auf denjenigen, die die Kunst machen, die die Ideen haben, die sich den ganzen Scheiss ausdenken, den die Dramaturgen dann meinen "kuratieren" zu müssen, ohne auch nur den Hauch einer Ahnung zu haben. Alles zusammen gegoogelte Nichtwissen macht noch keinen Spielplan, kein Festival, kein sehenswertes Theater und erst recht nicht die allem zugrundeliegende Arbeit mit Schauspielern. Man muss sich doch nur mal diese ganzen Zweit- und Drittverwertungs-Veranstaltungen und Tagungen ansehen, der Dramaturgischen Gesellschaft, der Kulturstiftung des Bundes, des Goethe-Instituts. Was man anstelle dessen für Kunst machen könnte! Das Publikum enstscheidet dann schon.
Konferenz Zukunft des Theaters: Netzwerk
@ #1
sie sollten vielleicht neben der busch noch ne prise bayer. theaterakademie und für die hipness die atw in gießen sowei ein bisschen hildesheim in die suppe schmeissen...all hail the netzwerk!
Konferenz Zukunft des Theaters: Heft des Handelns ergreifen!
@post

sie bringen es ziemlich haarscharf auf den punkt! es wird allerhöchste zeit, dass die künstler wieder das heft in die hand nehmen.und ich meine die künstler. die die kunst machen!
Konferenz Zukunft des Theaters: Wie mache ich mich verständlich?
@6:
Prinzipiell bin ich einverstanden.
Die Realität sieht aber so aus, dass ein Großteil des Publikums die Künstler nicht mehr versteht und nun auf die "Übersetzung" der "Experten" hofft, dass die ihnen nämlich erklären, was "gemeint ist" und warum.
Unter dem Rubrum "Experten" verbirgt sich heute ein ganzer Regenbogen von Sekundär- und Tertiär-Industrie: vom PR-Quatschkopp (jeder, der zahlt, ist "einer der bedeutendsten oder gefeiertsten Regisseure seiner Generation") über Baby Schimmerlos ("anrührend gespielt") bis hin zu den Mandarinen der Theaterwissenschaft ("Autopoiesis und Emergenz"), deren Fachchinesisch nicht immer viel sagt, aber immer Viele ausschließt.
Der einzige Weg, wie die Künstler wieder an die Macht kommen könnten, scheint mir zu sein, dass sie nicht nur mit ihren eigenen Ausdrucksformen ringen (das auch), sondern sich auch mit der Frage auseinandersetzen: "Wie drücke ich mich aus?", "Wie mache ich, was ich ausdrücken möchte, einem nicht vorgebildeten Publikum verständlich." Ist es überhaupt allgemein relevant, was ich zu sagen habe oder ist das privatistisch?
Es kann doch nicht angehen, dass man, um David Hermanns Inszenierung von Lachenmanns "Mädchen mit den Schwefelhölzern" an der Deutschen Oper zu verstehen, wissen muss, dass er immer das Gefühl hatte, dass in den Andersen-Märchen immer die Frauen umkommen. Abgesehen davon, dass das nicht stimmt: Für das Verständnis des Lachenmann-Stückes hat das keinerlei Relevanz.
Schlimmer aber: Statt auf Lachenmanns Musik zu hören, denkt man die ganze Zeit nach: "Was soll das bedeuten?" und verpasst das Stück.
Konferenz Zukunft des Theaters: der Druck des neusten Hypes
@Guttenberg
Bin im Prinzip bei Ihnen..Problem ist aber auch:
Wie können im operativ geschlossenen System Theater, Regisseure und Regisseurinnen dem extremen Druck widerstehen, immer und permanent den angeblich neuesten Hype produzieren zu müssen?
Man will ja drin bleiben!
Ach ja:
Autopoiesis_ ein von Maturana geprägter Begriff_ den Niklas Luhmann erweitert in seiner Systemtheorie verwendet wird in der "Theaterwissenschaft" auch gerne mal "benutzt".Allerdings hab ich da nie recht verstanden..was die Frau damit meint.. Bei Luhmann schon.
Konferenz Zukunft des Theaters: geschwollen
@7:
Ich weiß nicht, ob RegisseurInnen, die den "Druck" (oder Drang) verspüren, einen "Hype" produzieren zu müssen, nicht doch lieber ModedesignerInnen werden und das Theater verschonen sollten.

Die skurrile "autopoietische Feedbackschleife" mag ich eigentlich sehr (ich seh da immer eine Riesenpython vor mir, die Schauspieler und Zuschauer umschlingt und, wenn sie nicht semiotisch denken, erwürgt): Sie besagt, dass nicht nur der Performer (das ist der Schauspieler des dramatischen UND postdramatischen Theaters) auf den Betrachter einwirkt (durch sein Spiel), sondern umgekehrt auch der Betrachter auf den Performer (durch Atmosphäre, aber auch durch "Bedeutungserzeugung" = Interpretation). Den Modebegriff der Emergenz halte ich hingegen für geschwollen.

Nietzsche hat mal gewitzelt, dass Schleiermacher seinen Namen zu Recht trüge...
Konferenz Zukunft des Theaters: Schule oder Kunst?
bei so viel resentiment, bis hin zu faschistoiden begriffen wie "parasit", bleibt einem ja die spucke weg. einerseits soll das theater (zumindest für die denkfaulen) bitte schön super simpel sein, obwohl es eine immer komplexer werdende welt spiegeln soll. andererseits sollen "die künstler das heft wieder in die hand nehmen". ja was denn nun? schule oder kunst? das problem entsteht erst, wenn mit der erwartung ins theater gegangen wird, alles eindeutig verstehen und identifizieren zu können. warum gehen diese leute nicht einfach ins kino zu tom cruise. es gibt alternativ die möglichkeit, mit offenen augen und offenen geist ins theater zu gehen, anstatt sich an momenten aufzuhalten, in denen man mal etwas nicht verstanden hat. verstehen sie denn sonst alles was so um sie herum vor sich geht? kunst und theater sollte mit den augen eines kindes rezipiert werden, das neue, unbekannten dinge mit vergnügen aufnimmt.
Konferenz Zukunft des Theaters: Druck
@8
ihr eingangstatetment offenbart leider - so sehr ich ihre sonstigen posts schätze - dass sie jetzt nicht gerade über die vorgänge & gepflogenheiten der branche bescheid wissen. der druck, von der ppp sprach, wird ausgeübt, seien sie sich dessen versichert. dem kann man sich stellen, dem gegenüber kann man kapitulieren, man kann ihn verleugnen etc. - aber er ist nicht per sarkasmus wegzudiskutieren, guttenberg. dass eigentlich so reflektiert scheinende poster wie sie selbst dies offensichtlich ausblenden, ist m.e. teil des problems, wenn auch nur ein ganz kleiner.

@9
autobahn anybody? wenn man jetzt noch nicht mal eine bezeichnung gebrauchen darf, ohne das der typische nk-gutmensch aus dem dickicht gekreischt kommt, können wir jede diskussion einstellen. schlagen sie doch einfach nach, was "parasit" bedeutet, bevor sie hier hyperventilieren. die bezeichnung ist - wohlweislich, wie ich annehme - provokant, so what? ihre frage nach "was denn nun?" verstehe ich nicht, können sie das klarer formulieren? denn ich kann nicht entdecken, wo da ein widerspruch sein sollte.
Konferenz Zukunft des Theaters: Aufklärungs-Auftrag
@9:
Lieber Neo-Konservativer:
"Einerseits soll das theater (zumindest für die denkfaulen) bitte schön super simpel sein, obwohl es eine immer komplexer werdende welt spiegeln soll." - Sie verwechseln Kunst und Leben. Wenn die Welt unüberschaubar ist, kann, Muss es die Kunst aber nicht auch sein. Es gab immer große Klassizisten wie es immer große Manieristen gab. Und von beidem immer auch das Gegenteil: die simplen.
Die Gleichungen Klassizismus=simpel, Manierismus=komplex sind zu simpel.

"Es gibt alternativ die möglichkeit, mit offenen augen und offenen geist ins theater zu gehen, anstatt sich an momenten aufzuhalten, in denen man mal etwas nicht verstanden hat." Gerade bei diesen Momenten muss man sich aufhalten und sie zu verstehen suchen, sonst erfährt man nichts, sondern betäubt sich. Ihre Aussage könnte als Aufforderung zur Oberflächlichkeit oder zum bewußtlosen Konsum missverstanden werden. Wer immer nur mit großen Augen durch die Welt läuft, Eindrücke säuft und das Hirn auf stand-by stellt, ist auch nur ein geistiger Kiffer.

"kunst und theater sollte mit den augen eines kindes rezipiert werden, das neue, unbekannten dinge mit vergnügen aufnimmt." Wer sich in seiner Argumentation auf Kinder beruft, macht sich rhetorisch unangreifbar, da Kinder trotz Freud und der moderner Soziologie in unserer Gesellschaft immer noch idealisiert werden. Wer sich aber darauf beschränkt, "neue, unbekannten dinge mit vergnügen" unkritisch aufzunehmen, ist ein infantiler Konsument.

Gerade in einer unübersichtlichen Welt soll das Theater seine Zuschauer in eine lustvolle Auseinandersetzung verwickeln und ihm das Gefühl geben, dass es Spaß macht, sich seines Verstandes zu bedienen, dass wir nicht hilflos undurchschaubaren Mächten (wie Wirtschaftsstrukturen oder restringierten Codes) ausgeliefert sind. Die Leute dürfen nicht das Gefühl bekommen, dass im Theater etwas verhandelt wird, das nur noch Fachleute verstehen.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Das Theater soll sich nicht anbiedern. Aber es soll im hermeneutischen Dreieck Sender - Botschaft - Empfänger auch die letzten beiden Punkte bedenken: In welchem Verhältnis steht meine Botschaft zu den Erwartungen, die ich mit meinem Thema erzeuge? Wie formuliere ich meine Botschaft, um dem Empfänger eine Möglichkeit der Teilnahme und Ausereinandersetzung zu geben.

Es ist klar, dass es "das Publikum" nicht gibt, sondern unendlich viele Erwartungshaltungen. Es ist klar, dass großes Theater auch rätselhaft, gewaltsam, widersprüchlich sein darf und soll. Aber wenn das Unfertige, Unausgegorene, Hochtrabende zum Ramsch vom geistigen Grabbeltisch wird und das Publikum das Gefühl bekommt, das Theater sei ein Ort, an dem man alle Hoffnung auf „Vertehen“ fahren lassen und sein Hirn an der Garderobe abgeben soll (so geschehen vor einer wohlvorbereiteten, offenen und neugierigen Oberstufen-Klasse bei Sebastian Baumgartens "Dantons Tod" am Gorki-Theater, Berlin), dann vergeht sich das Theater an seinem Aufklärungs-Auftrag und macht sich zum Agenten jener "Zerstörung der Vernunft", die Georg Lukács dem Faschismus und seinen geistigen Wegbereitern vorwarf.

Und noch etwas: Sie gebrauchen das Wort "faschistoid" und treffen damit nicht nur die Begriffswahl "Parasit", sondern meinen damit metonymisch auch die Forderung nach Allgemeinverständlichkeit à la Kino mit Tom Cruise. Viel typischer hat das Dogma der Allgemeinverständlichkeit aber der Sozialistische Realismus aufgestellt, während die von Ihnen favorisierte Unverständlichkeit (die als Hermetik bei Könnern, nicht aber als Massenware ihre Berechtigung hat, damit wir nicht übermütig werden in der gedeuteten Welt) gerne (siehe oben: Lukacs) mit dem Dunkelmännertum und metaphysischen Geraune der Faschisten assoziiert werden.
manche meinen lechts und rinks kann man nicht velwechsern werch ein illtum.
Fazit: Theater, das das Medium des Spiels nutzt, um bestimmten Erscheinungen auf den Grund zu gehen, kommt ganz von selbst zu den Aporien des Lebens.
Theater aber, das mit Aporien um sich schmeisst wie mit Nebelkerzen, ist nicht automatisch tiefgründig.
Es fehlt im heutigen kommerziellen Produktionsprozess die Geduld, aber auch das Ethos der Geduld. Deshalb gibt es zuviel performativen Boulevard.
Konferenz zur Zukunft des Theaters: alle wollen
@maxim gorki

ja!!! den druck gibt es und die einschläge kommen immer näher!!!
es wird ja auch ausgebildet und ausgebildet..alle wollen..alle wollen es "besser" machen dürfen und wer muckt ist weg vom fenster!
oder man benimmt sich von anfang an wie ein richtiges arschloch und hat entsprechende fürsprecher..dann klappt es auch (meistens).

@Guttenberg
Das bild mit der schlange gefällt mir! wichtiig ist das UND.
Konferenz Zukunft des Theaters: Bedeutung im Kontext
@ neo-kon-schock: Übrigens, Ressentiment wird mit zwei s geschrieben. Frage: Warum soll der Begriff "Parasit" jetzt gleich ein faschistoider Begriff sein? Anders formuliert: Es kommt entscheidend auf den KONTEXT von Begriffen drauf an, auch und gerade im Theater.

In der Biologie bezeichnet Parasitismus den "Ressourcenerwerb mittels eines in der Regel erheblich größeren Organismus einer anderen Art, meist dient die Körperflüssigkeit dieses Organismus' als Nahrung. Der auch als Wirt bezeichnete Organismus wird dabei vom Parasiten geschädigt, bleibt aber in der Regel am Leben."
(Quelle: Wikipedia)

Zudem kann dieser Begriff als Bild/Metapher verwendet werden. In diesem Sinne geht es "post" wohl um die Beziehung zwischen Theaterwissenschaft und Kunst. Wenn der Begriff des "Parasiten" dagegen auf sogenannte "gesellschaftliche Minderheiten" (gender, race, class) angewendet wird, sollte man dagegen schon etwas genauer hinhören.

Ja ja, die Sprache. "Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache." (Wittgenstein) Oder: Es ist kompliziert. Die Nationalsozialisten beispielsweise gebrauchten den Begriff "fanatisch" gegenüber ihnen nicht genehme Gegner bzw. linke Widerständler, welche die Gleichschaltung des Denkens kritisierten und dagegen angingen, dass Fälschung und Lüge zur höchsten Wahrheit ernannt wurden.

Meine Frage ging aber eher in die Richtung, warum "postpostpost" hier pauschal die Theaterwissenschaft kritisiert. Was genau wird da kritisiert? Der Forschungswahn, die Erfindung von Theorien und Begriffen, welche keinen Handlungs- bzw. Praxisbezugs aufweisen?

Generell ist Wissenschaft ja nichts Schlechtes, im Gegenteil. Nur ihre Instrumentalisierung durch den militärisch-ökonomischen Komplex ist zu hinterfragen. Dass man über wissenschaftliche Experimente zur Gestaltung anderer Formen von Gemeinschaft gelangen kann, das empfinde ich dagegen nicht als problematisch, im Gegenteil. Zitat Peter Weiss ("Ästehtik des Widerstands"):

"Wie sie nie einen vom anderen abgehoben hatte, sondern jeden beurteilte nach seiner Fähigkeit zu lernen, sich aufeinander einzustellen, Rücksicht zu nehmen aufeinander, eigne Kenntnisse für alle anzuwenden, so hatte sie im Künstlerischen und Wissenschaftlichen immer nur Bestandteile der gesamten revolutionären Welt gesehn."
Konferenz Zukunft des Theaters: kunstfeindliche Dramaturgien
@Inga
Das Problem ist nicht die Wissenschaft an sich. Das Problem ist das kunstfeindliche des zeitgenössischen dramaturgischen Handelns und Denkens. Da hat kaum einer jemals auf einer Bühne gestanden. kaum einer ist auch nur im Ansatz in der Lage schauspielerisches solide vom Handwerk her zu beurteilen. Kaum einer kann szenische Vorgänge handwerklich fundiert beschreiben. Kaum einer kann in seiner Argumentation über "Standards" hinaus gehen. Kaum einer hat auch nur einen blassen Schimmer von Multimedia Technologie. Von Poesie ganz zu schweigen. von Sprache selten. Von Musik verstehen sie nichts und auch da wird meist geschmäcklerisch abgeurteilt. Hauptsache irgendwie "Pop".
und dann noch das publikum als dumm und ungebildet abtun.
Kunst ist im deutschsprachigen Theater ein Schimpfwort geworden.
Von ernsthaftem Diskurs ...keine Spur ...Weit und breit..(auch Bühnen und - KostümbildnerInnen werden ebenso wie Musiker selten ernst genommen von der Dramaturgie.).
Das "operativ geschlossene System" schließt im übrigen auch das Publikum gänzlich aus...ebenso die Kritik. da sitzt das Übel. Hauptsache das übel wird "kuratiert".
Konferenz Zukunft des Theaters: Kontakt zur Außenwelt
@ postpostpost: Auch ich bin skeptisch, ob die Dramaturgien das Publikum, ohne welches die Wahrnehmung von etwas als Kunst überhaupt nicht stattfinden würde, überhaupt ernst nehmen wollen. Sprich: Ob da von einer prinzipiellen Wissensgleichheit aller Menschen ausgegangen wird oder nur von blinden und tauben, sich am Liebsten in ihrem eigenen Abbild spiegelnden Konsumenten. Der Begriff der "sozialen Plastik" von Beuys scheint schwer in Vergessenheit geraten zu sein.

Das könnte meines Erachtens möglicherweise daran liegen, dass kaum einer der heutigen Theatermacher noch Kontakt zur aussertheatralen Wirklichkeit hat. Oder: Reinen Kopfgeburten fehlt oftmals die Sinnlichkeit der Formen des Lebens. Ich verstehe auch nicht, warum oftmals lieber Angst anstatt Freude gegenüber alternativen Gestaltungsmöglichkeiten der eigenen und gemeinsamen Lebenswelt geschürt wird. Dazu ein paar Anregungen von John Cage:

"Ich kann nicht verstehen, warum Menschen vor neuen Ideen Angst haben. Ich habe Angst vor den alten."

"Ich selbst habe im meinen Erörterungen über Kunst immer klargemacht, daß ich das Lachen den Tränen vorziehe."

"Wie Duchamp möchte ich die Unterschiede zwischen Kunst und Leben, zwischen Lehrer und Schüler, zwischen Darsteller und Betrachter usw. aufheben."
Konferenz Zukunft des Theaters: danke
@Inga

ich danke herzlich für diese ausführungen!
sie sprechen mir aus der seele!!!

die worte von cage haben sich in seinem werk in wunderbarerweise
ausgedrückt.und seine werke sind thatralisch im allebesten sinne!!
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