Theater-Gehalts-Schere

31. Oktober 2012. Jüngst monierte der sächsische Rechnungshof, dass der Dirigent Ricardo Chailly vom Leipziger Gewandhaus ein "nicht nachvollziehbares" Gehalt beziehe. Wie aber die andere Realität des Normalvertrags Bühne aussieht, das hat Birgit Walter vor zwei Tagen in der Berliner Zeitung zusammengefasst.

Denn der NV Bühne ist zwar nach oben hin aushandelbar, schreibt aber auch nur eine Mindestgage von 1600 Euro vor, nur einen freien Tag pro Woche und keine unbefristete Anstellung. Das gilt für Sänger, Tänzer, Schauspieler, aber mittlerweile auch für immer mehr "Grenzberufe" wie Maskenbildner, Requisiteure, Beleuchter und Bühnenmeister. Der Bühnenverein verteidigt diese Handhabung, argumentiert mit dem Flexibilitätsdruck der Theater und der Freiheit der künstlerischen Arbeit und verweist darauf, "dass Künstler in Deutschland froh sein könnten, überhaupt Jahresverträge mit 1600-Euro-Gehältern zu bekommen, das gebe es in anderen Ländern nicht." Rolf Bolwin wird wie folgt zitiert: "Wenn man Tarifbedingungen für Künstler nicht flexibel gestaltet, fordert man die Theater zur Tarifflucht heraus. Sie werden dann ihre eigenen Lösungen finden, etwa, indem sie den Künstlern nur noch Projektverträge anbieten wie in anderen Ländern. Damit ist niemandem gedient."

Nein, nein, nein, es ist nicht gerecht, sagt Walter, dass die Darsteller auf der Bühne schlechter behandelt werden als die dahinter und fragt: "Aber wünscht man sich deswegen Zustände wie in der freien Theaterszene, wo sich die Selbstausbeutung grundsätzlich unterhalb der Armutsgrenze abspielt?"

Wie das kommende 19-Millionen-Euro-Loch, das der Berliner Opernstiftung ab 2014/15 droht, gestopft werden kann, weiß auch noch niemand, so Tenor des Texts. Aber dass es kommt, sei angesichts der angekündigtem Tarifsteigerungen klar.

(sik)

 

 

Kommentare  
Theater-Gehaltsschere: mit ein wenig Verstand
genau künstler müssen froh sein wenn sie überhaupt was zu essen kriegen aber ihre vertreter(herrn bolwin)die mussman gut bezahlen. wer so vertreten wird kann sich auch gleich ins bein hacken.
die pervers niedrige mindestgage macht es ja überhaupt erst möglich, dass die häuser ausschliesslich auf kosten der ausführenden künstler sparen während der rest des aufgeblasenen apparates seltsamerweise ganz anständige gehälter verdient.
wenn künstler nicht besser bezahlt werden, werden die guten bald nicht mehr am theater arbeiten.
weil es für menschen mit ein wenig verstand noch andere möglichkeiten gibt geld zu verdienen. wenn man seine berufliche laufbahn mit einem gehalt von 1600 euro begint, sind selbst bei regelmässigen gehaltssteigerungen(die man ja erst aushandeln muss), kaum gagen erzielbar mit denen man eine familie gründen kann.sollen schauspieler sich also nicht mehr fortpflanzen?
oder sollen kinder von schauspielern generell mit hartz 4 aufwachsen?
ist das der stellenwert des künstlers in diesem land?
warum verdient der mann, der dem schauspieler die kulisse baut, so immend viel mehr?
ist seine arbeit wertvoller? ich würde das wirklich gern verstehen.
Theater-Gehaltsschere: NV Sklave
der NV Bühne wird ja nicht umsonst auch NV Sklave genannt. Staatlich abgesegnet. Es gibt niemanden sonst in der arbeitenden Bevölkerung der seine Zeit so uneingeschränkt dem Arbeitgeber zur Verfügung stellt. Heute erscheint der Dienstplan für den kommenden Tag. Ein Hoch auf Arbeit und Familie. Ohne jegliche Zulagen, dh. Überstunden oder Feiertagszuschläge. Das gilt wenigstens für die Schauspieler. Und leider realitätsfern ist die Erkärung der 6 Tage Woche. Es sieht nämlich so aus: Sa und So Vorstellung, am Montag morgen bginnt um 10h die Probe. Nicht 365 Tage im Jahr, aber es ist dennoch für viele Künstler die Regel, viele werden das aus der Praxis bestätigen können. ABER: es gibt auch keine Gruppe, die so unfähig ist, gemeinsame Interessen zu formulieren wie die der Schauspieler. Sowas kommt von sowas...
Theater-Gehaltsschere: nicht hingewiesen
Schade, dass Sie nicht auf diesen Artikel in der allgemeinen Presseschau hingewiesen haben, sondern nur in der HAU-Kritikenschau: http://www.tagesspiegel.de/kultur/buehne-der-super-hau/7339658.html.
Theater-Gehaltsschere: Nur noch Techniker-Umbauveranstaltungen
was für eine schreckliche argumentation von herrn bolwin. da stellen sich mir die zehennägel auf... irgendwann wird es an den bühnen nur noch öffentlich zu beschauende techniker-umbauveranstaltungen geben. und von mir aus dann für alle am theaterbetrieb beteiligten lieber amerikanische verhältnisse und dieses beschissene system in deutschland für alle bereiche zerschlagen, damit sich endlich mal etwas gerechtes zwischen den beiden seiten des theaterbetriebes bilden kann (schauspielern, tänzern, sängern versus choristen, bat-technikern, verwaltern und orchestermusikern). dieses (...)gelabere von bolwin und co. und dieser sittenwidrige ausbeutungsvertrag nv-bühne wird zur folge haben, dass irgendwann nur noch eine existentiell abgesicherte und gelangweilte, kinderlose erbengeneration in diese minderbezahlten künstlerischen berufe berufe einsteigen wird. jeder halbwegs intelligente mensch mit familienträumen und kinderwunsch wird sein geistiges potential anderweitig verwenden und sich (...) dieser minderschätzung einfach nicht mehr aussetzen. wie kann eine so hoch entwickelte gesellschaft das zu lassen und vor allem, was sind die gründe dafür. "an den umgang mit ihren künstlern und gefangenen erkennt man den zustand einer gesellschaft..."
Theater-Gehaltsschere: traurig
...wie kommt es, daß es zwar theater gibt mit gut bezahlten technikern, hoch dotierten intendanten, etwas schlechter bezahlten regisseuren, und auf der anderen seite menschen mit schauspiel-knebel-zwangsverträgen, die diese darstellenden künstler entweder zum burn-out treiben, zu maschinen verkommen - oder zu alkoholverdrängungskantinenkünstler degenerieren lassen...und das alles staatlich abgesegnet...kein wunder, daß viele ins fernsehen abdriften..oder ganz aufhören...diejenigen, die das mitmachen, sind entweder frauen (wenn sie keinen intendantenfreund/-ehemann haben) oder schlecht ausgebildete privatschauspielschulabgänger, die sowieso keine andere chance hätten...es ist traurig, daß dies so wenig bekannt ist, oder, wenn wirklich mal ein artikel in die zeitung kommt, es nicht wirklich beachtet wird.und auf der anderen seite faseln alle vom kulturauftrag und sind stolz auf das anscheinend so gelobte dichter- und denker-land.sie gehen aber dann doch lieber auf den fußballplatz oder ins kino und - zur repräsentation!- nach bayreuth...traurig, traurig...
Theater-Gehaltsschere: fast unerträgliche Diskrepanz
ihr sprecht mir dermaßen aus der seele!!!als schauspieler,der fast 30 jahre im beruf steht und an allen möglichen stadt-und staatstheatern gearbeitet hat und immer noch arbeitet ist diese diskrepanz zwischen abgehobener intendantenherrlichkeit,die übrigens meistens gepaart ist mit elementarer menschenignoranz und der absoluten ausbeutung an "human resource" eigentlich unerträglich!aber ich habe diesen beruf gelernt und bin mit soviel idealismus ans theater gegangen,das ein kleiner rest davon noch reicht,diesem gebaren an machtgeilheit und dummheit etwas entgegen zu setzen!
Theater-Gehaltsschere: Richtigstellung
@ genau:
Eine Richtigstellung muss an dieser Stelle erlaubt sein: Herr Bolwin ist nicht der Vertreter der Künstler, sondern steht auf Seite der Arbeitgeber, also der Stadt- und Staatstheater und deren Rechtsträger. Aus dieser Perspektive muss sein Zitat dann auch gelesen werden. Der Verband für die Arbeitnehmerseite ist wiederum die Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (GDBA).

Und, @schauspieler, tatsächlich wäre es hilfreich, wenn die künstlerischen Angestellten ebenfalls einen Weg finden, beispielsweise in der GDBA, gemeinsam und dadurch mit sehr viel mehr argumentativer Kraft, sich für ihre Interessen einzusetzen. Denn die Egozentrik des Künstlers und daraus resultierende Skepsis gegen jede Art von organisierter Vertretung, verhindert leider auch entsprechende Schlagkraft, beispielsweise in Tarifverhandlungen.
Theater-Gehaltsschere: Sklaverei ist was anderes
kunst ist schwer und das leben darin schwer finanzierbar. einverstanden.
dennoch bitte auch sagen: 1600.- ist das einstiegsgehalt. nach drei bis vier jahren sind 1900.- und mehr die regel (ausnahmen bestätigen das).
der bezahlte urlaub beläuft sich auf 45 tage! und die probenzeiten sind meistens durch hausvereinbarungen festgelegt (10-14, 19-22, zb). so dass ein mindestmass an berechenbarkeit gegeben ist, auch wenn der tagesplan erst einen tag vorher bekanntgegeben wird.
an vielen theatern wird darauf geachtet, dass freie tage, zumindest einer pro woche, vorkommen.
in probenphasen kommen manchmal gerne 40 bis 55 stunden pro woche zusammen (proben plus vor- und nachbereitungen, textlernen, etc.). aber dagegen muss fairerweise eingeräumt werden, dass es auch beschäftigungsarme zeiten gibt, in denen nicht geprobt sondern nur abends gespielt wird. da ist ein spieler dann auch mal nur 9 stunden pro woche auf arbeit.
über ensemblesprecher gibt es mitwirkungsmöglichkeiten in leitungsdingen, die gar nicht mal so ohne sind.
stadt- und staatstheater: hartes brot. aber sklaverei ist was anderes.
schauspieler: organisiert euch endlich mal. dann wirds auch was.
Theater-Gehaltsschere: nicht wünschenswert
ich bin froh,dass Sie das schreiben nursi,denn die laufende Gehaltsdebatte der Intendanten etc.auf die Schauspielergagen zu erweitern,ist unsinnig.Die Debatte so geführt,gefährdet unser Theatersystem,,um das uns alle Welt beneidet.Denn unsere Theater geben uns Schauspielern,wenn auch begrenzt,eine gewisse Sicherheit und die Aussage,dann lieber freie Scene oder TV ist Illusion und gefährlich.habe gerade mit einer amerikanischen Theatertruppe geredet,die 1/2 Jahr durch Europa tourte,die sagten,wenn sie nun zurückkommen,fangen sie am Punkt null wieder an. Das kann doch nicht wünschenswert sein!
Theater-Gehaltsschere: die Verhältnisse sind nicht so
...also 9 Stunden Arbeit pro Woche...da kenne ich aber einige Kollegen die da lachen würden...
nicht an jedem Theater ist es möglich den Schauspielern einen freien Tag pro Woche zu gönnen, nicht überall gibt es tatsächlich richtige "probenfreie" Phasen (denn an einigen Häusern ist es nicht mit 4-5 Premieren pro Spielzeit und Schauspieler getan). Das nur dazu. Dazu das Intendanten im Verhältnis zu Ihren Arbeitnehmern vielerorts wahrscheinlich zu viel verdienen - insbesondere in Zeiten in denen es immer häufiger auch darum geht ob überhaupt Theater oder nicht - sag ich jetzt nichts mehr.
Theater-Gehaltsschere: 1000 netto
Überbezahlte Techniker? Mir wurde als gelernter Veranstaltungstechniker mit einigen Jahren Berufserfahrung eine Stelle an einem ehemaligen Staatstheater als Bühnentechniker angeboten. Bezahlung: die Mindestgage des NV-Bühne. Also musste ich ablehnen, da ich mit Familie nicht von knapp über 1000€ netto leben kann. Andererseits ist eine Festanstellung in diesem Job zumindest hier in der Region einem Sechser im Lotto gleich zu setzen.
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