Schnelle Nummern hinter der Muschel

von Simone Kaempf

Berlin, 24. November 2012. Der Narr sitzt in einem aufgespannten Regenschirm, der über der Bühne schwebt. Stark geschminkt ist er, trägt einen Lorbeerkranz auf dem Kopf und einen Rettungsring um die Hüfte. Aber das Trottelige ist nur Maskerade. Dieser getarnte Narr, halb Götterbote, halb Schiffbrüchiger, durchschaut als einziger die Liebesspiele und Liebesverwirrungen um ihn herum, die er sanft weltweise kommentiert. Und dann auch in schönsten Tönen besingt.

wasihrwollt 280h thomaseichhorn-uSabin Tambrea und Thomas Quasthoff
© Thomas Eichhorn
Der Liebe Nahrung

Der Sänger Thomas Quasthoff spielt diesen Narren. Eigentlich hat sich Quasthoff Anfang dieses Jahres vom Konzertleben zurückgezogen, weil seine Gesundheit ihm seinen eigenen Anspruch nicht mehr zu erfüllen erlaubt. Wie immer seine Form wirklich sein mag, wie immer es dazu kam, dass er nun bei "Was ihr wollt" mitspielt: Die Barockarien, die er begleitet von der Lautten Compagney Berlin singt, sind so feinnervig, voller Intimität und, ja, der Liebe Nahrung, dass sich zu Katharina Thalbachs überbunter und herbhumoriger Inszenierung am Berliner Ensemble ein ziemlicher Abstand einstellt. Quasthoff ist es, der dem Abend eine gewisse Würde verleiht. Retten kann er ihn allerdings auch nicht.

Dass Thalbach ihre Inszenierungen auf handfeste Komik anlegt, weiß man. In den Verwechslungen, den Dreiecksbeziehungen und dem Gender-Trouble von "Was ihr wollt" herrscht ein Durcheinander, das per se komödiantisch ist. Wie gut muss Thalbach aber auch die anderen Facetten des Stücks kennen, wurde sie 1984 nicht nur Zeuge von Thomas Braschs Arbeit an der Übersetzung, sondern spielte unter Ernst Wendts Regie am Schillertheater damals auch die Rolle der Viola.

Lust-Reise auf dem Jambendampfer

Ihre Inszenierung ist nun gar nicht so witzig geraten, dunkel-melancholisch aber erst recht nicht. Homosexuellen- und Kleinwüchsigen-Witzchen werden harmlos eingestreut. Mal geht es sehr handgreiflich zu, dann prallen die kalauernden sexuellen Andeutungen aneinander ab. Von dem Shakespeareschen Unbehagen, das hier jeder in der falschen Haut steckt, ist nichts zu spüren. Alles ist bunt, illustrierend, laut geraten. Und nicht nur Quasthoff singt. Gerne drückt auch die Gräfin Olivia ihre Sehnsüchte in Popsongs wie "I will survive" oder "Nothing compares 2 U" aus.

WasIhrWollt3 560 ThomasEichhorn uSchiffskabinen für das Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel  © Thomas Eichhorn

Das fühlt sich streckenweise wie im Musical an, voll jugendlicher Verve eingesetzt, aber auch zu dick aufgetragen wie vieles an diesem Abend, das sich nicht zu einem runden Ganzen fügen will.

Selbst das Schiffs-Bühnenbild hilft nicht. Den Bug eines Dampfers hat Momme Röhrbein auf die Drehbühne gesetzt. Mal wirkt das Schiffsteil wie ein Vergnügungsdampfer, mal wie ein Frachtdampfer, aus dessen Luken, Klappen und Umkleidekabinen die lebende Last steigt, man sich gegenseitig belauscht und voyeuristisch beobachtet. Übergroße Muscheln dienen als Souffleurkästen, in denen die Musiker Platz nehmen oder die für Albernheiten dienen müssen. Für eine Klipp-klapp-Mechanik ist das hilfreich, erstarrt ansonsten zu sehr zur Kulisse, als dass eine Atmosphäre existenziell schwankenden Grunds oder etwas Tiefgang entstünde.

Irrewerden an der Illusion

Das Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel kosten die Schauspieler allerdings lustvoll aus. Antonia Bills Olivia sitzt erst wie in eine Burka gehüllt am Spinnrad, in Trauer über den Tod ihres Bruders, um bald verliebt tänzelnd außer Rand und Band zu geraten. Traute Hoess spielt das Kammermädchen Mary, das die falsche Liebesbotschaft an Malvolio einfädelt, mit bajuwarischer Saftigkeit. Und es ist die mit Abstand schönste Szene, wenn Norbert Stöß als Malvolio durch den getürkten Liebesbrief für die Gräfin Olivia entflammt, ihm die Gefühle deutlich die Zunge und die Glieder lockern bis er schließlich gockelnd seine gekreuzten Strumpfbänder vorführt. Die unheimliche Verwandlungskraft der Gefühle blitzt hier auf. Malvolios Absturz in tiefe Verzweiflung, das Irrewerden der Illusion der Liebe erlegen zu sein, gerät dann allerdings wieder zur plumpen Nummer. Als wahnsinniger Springteufel tritt er am Ende nochmal auf, um die drei Paare im Happy-end zu beschimpfen, und man weiß nicht warum. Weniger Klischee, weniger Kalauer, weniger Musik wäre am diesem Abend wirklich mehr gewesen.


Was ihr wollt
von Willliam Shakespeare
deutsch von Thomas Brasch
Inszenierung: Katharina Thalbach, Mitarbeit: Wenka von Mikulicz, Bühne: Momme Röhrbein, Kostüme: Angelika Rieck, Musik: Wolfgang Katschner, Dramaturgie: Hermann Wündrich.
Mit: Antonia Bill, Larissa Fuchs, Traute Hoess, Katharina Susewind, Thomas Quasthoff, Veit Schubert, Martin Seifert, Norbert Stöß, Sabin Tambrea, Felix Tittel.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.berliner-ensemble.de

Kritikenrundschau

Von einem "krachbunten, mit allen erdenklichen Mitteln vergrinsten, versauten, verknatterten, verkitschten Shakespeare-Schwank" spricht Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (26.11.2012). "Und wie viel Mühe sich gegeben wird beim Lustigsein!" Die sich "als doof-derbe Gaukler verstellenden Ensemble-Angestellten" müssen, mutmaßt der Kritiker, "unter schwerstem Muskelkater gelitten haben vom vielen Augenverdrehen, Stimmeverstellen, Gesichterziehen und Rumhampeln. Uff."

Dem Eindruck von Andreas Schäfer vom Berliner Tagesspiegel zufolge (12.11.2012) hat man es bei diesem Shakespeare-Abend mit einer "eintönigen monochromen Landschaft" zu tun, "die irgendwo unter der Gürtellinie liegt." Ein paar schlüpfrige Details, dann läßt Schäfer "wie aus einer anderen Welt" Bassbariton Thomas Quasthoff in einem Regenschirm sitzend durch den Bühnenhimmel einfliegen. "Erhaben und stimmgewaltig schwebt er wohlwollend über der Verirrung dieses Abends."

"Poesie, Satire und tiefere Bedeutung fehlen," so Hartmut Krug in der Sendung "Kultur heute" beim Deutschlandfunk (25.11.2012). Denn aus seiner Sicht setzt Katharina Thabach als Regisseurin "erbarmungslos auf die Klischeeklamotte und den Humor schlechter Fernseh-Comedys". Gefühle würden "nicht ge- oder erspielt, sondern mit Best-Of-Popsongs ersungen oder spießig veralbert". Auch schauspielerisch sei dies daher eher ein Trauerspiel mit Effektdrang. Nur ein Darsteller hat diesen Kritiker rundum überzeugt: der Bariton Thomas Quasthoff in der Rolle des Narren.

Das Publikum bejubele "jeden derben Witz und jedes Liedchen", so Eberhard Spreng in der Sendunk "Fazit" beim Deutschlandradio (24.11.2012), der von "Dudel-, Dödel-, Blödelheater" spricht.  Lediglich Thomas Quasthoff, "der große Sänger behält in all dem Quark ein wenig szenische Autonomie."

"Jeder noch so blöde Einfall wird ausgepinselt und aufgeblasen," so Ute Büsing in ihrer Kritik auf Inforadio des RBB (26.11.2012) Das Publikum am Premierenabend sei zwar begeistert gewesen "von der prallbunten Shakespeare-Show, gespickt mit Survial-Songs aus der Popkiste zum Wiedererkennen und Mitklatschen. Es gab Standing Ovations. Aber manche fragten sich doch, wie ich, was ein solcher Musical-Verschnitt an einem hochsubventionierten Theater zu suchen hat." Aus Sicht dieser Kritikerin ist die BE-Nummernrevue "der auf Buntes und Derbes spezialisierten Regisseurin doch sichtlich aus dem Ruder gelaufen". Irrungen, Wirrungen und Wallungen des Personals würden "mit krachledernen dumpfbackigen Stammtischwitzchen" zugekleistert, "gerne über Schwule und Zwerge, haha." 

Thalbach nehme Shakespeare in der Übersetzung von Thomas Brasch entschlossen beim Wort, findet hingegen Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (27.11.2012). "Die Inszenierung ist ein leichtfüßig verrückter Witz, der seinen Tiefgang geschickt zu verbergen weiß." Thomas Quasthoffs Narr setze "den Glanzpunkt der tollkühnen Aufführung". Thalbach halte Shakespeares Komödie fest und lasse sie "gleichzeitig los, haut ihr frech auf die Schulter und die Schenkel und küsst ihr dennoch voll Respekt die Hand. So ist ihr ein Herzensstück gelungen."

 

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