Presseschau von 28. Januar 2013 – Die Leipziger Volkszeitung bilanziert die Ära Hartmann
Panoptikum behaupteter Avantgarde
28. Januar 2013. Peter Korfmacher, Leiter des Kulturrressorts der Leipziger Volkszeitung, hat gestern aus Anlaß des Endes der Dernièren-Reihe von Sebastian Hartmanns Inszenierungen für das Centraltheater noch einmal Bilanz gezogen. Am Samstag ging die Reihe mit Mein Faust zu Ende.
Aus Sicht Korfmachers ist die Dernièren-Reihe vor allem eine "Bilanz des Scheiterns" gewesen. Hartmanns Bilanz sei auch deshalb so schlecht, weil er auf die ablehnende Reaktion des Leipziger Publikums auf seine Arbeiten von Anfang an wie ein Kind reagiert habe, das Liebe "durch fußstampfenden Trotz zu erzwingen" versucht. All das nun kulminiert für diesen Kritiker noch einmal in Hartmanns Goethe-Abend "Mein Faust", "von dem man wohlmeinend behaupten könnte, dass die Schauspieler, die ohnehin dieses Theater trugen, wenn es tragfähig war, ihre jeweils eigene Deutung jenes Moments auf die Bühne stellten, von dem Faust bei Goethe sagen könnte 'Verweile doch...'"
An diesem Abend springe Hartmann, so Korfmacher, ein letztes Mal all denen ins Gesicht, von denen er sich unverstanden fühle, "denen, die er für Spießer hält, weil sie seiner Kunst nicht zu folgen vermögen". Mit Goethe habe dieses "Panopotikum behaupteter Avantgarde" nichts zu tun. Der Abend ist für Korfmacher vor allem deshalb eine Unverschämtheit, weil Hartmann noch nicht einmal Goethe oder Faust vom bildungsbürgerlichen Sockel stoße, sondern sich mit "Anpinkeln" zufrieden gebe. Wie schon in vielen anderen Inszenierungen kleide auch hier "genialische Attitüde" sich "wichtigtuerisch in Andersartigkeit". In einigen seiner Produktionen, räumt der Kritriker immerhin ein, habe Sebastian Hartmann gezeigt, "dass er ein großer Regisseur sein kann". Selbst durch diesen "Faust" irrlichterten "Momente großer Poesie". Doch sein beleidigter Umgang mit dem befremdeten Publikum beweist Korfmacher, dass Hartmann eines nicht sein sollte: Stadttheater-Intendant.
(sle)
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Betrieb in Leipzig doch noch recht lebendig weiter, auch im Februar und trotz der Umbauarbeiten ! Wie gerne hätte ich etwas gehört über Erfahrungen mit einer Sache wie "Umdreharbeiten", und angesichts der Irritationen um den "Eisvogel" oder die "Breivik-Rede" hätte ich beinahe fest darauf gesetzt, daß so eine Spinnwerk-Premiere wie "Nazistück" (15.2.2013) eine Nachtkritikerin, einen Nachtkritiker wert gewesen wäre; leider läuft so vieles dazu gerade an diesem Abend parallel an !
Aber, Leipzig und Halle zur Karnevalszeit , das ist durchaus auch eine kleine, feine
Reiseempfehlung und die "Lösung der "Bolzplatzfrage" (siehe Lesernotizen zu Theaterabenden) ein noch ausstehendes Unternehmen... !.
Prost.
Was ich in all diesen Hartmann-Diskussionen allerdings nicht verstehe: Da gibt es Ablehnung zum Teil von prominenter Seite (Faber, Korfmacher etc., na und...), es gibt etwas weniger Zuschauer als zuvor (so was passiert schon mal), man könnte auch positiv formulieren eine gewisse Polarisierung und schon nehmen Kommentatoren wie "warumnur" eine ganze Stadt in Sippenhaft. Natürlich ist das alte uffgehübschte Leipzig eine kleine Stadt, natürlich ist vor allem dieser von außen herbei geschriebene Hype lächerlich - aber es gibt nun wahrlich andere Gesichtspunke als eine Stadt (und ihre Bewohner) über ihr Stadttheater zu definieren. Würde man so etwas Ernst nehmen würde sich ja ab September in Leipzig unheimlich viel ändern. Vielleicht müssen sich aber einfach nur einige Kommentatoren andere "Ausgehbereiche" erschließen...
(...)
Das passt aber irgendwie gut in die deutsche Geschichte, in der es leider viele Beispiele gibt, wo alles was nicht der „Norm“ und „Ordnung“ entspricht, verteufelt wird.
Ich frage mich nur WARUM?
@ Leipziger: Mir persönlich geht es hier gar nicht um Begriffe wie "die Norm" oder "die Ordnung". Machen Sie doch, was Sie wollen, für den Fall, dass Sie erst dann glücklich sind, wenn Sie alle Grenzen überschritten haben. Bloß, was hat diese Form der Freiheit dann eigentlich noch für einen Wert? Hat sie dann noch einen Wert? Nehmen Sie in Kauf, dass Ihre Freiheit auf Kosten der Freiheit anderer Menschen geht? Berücksichtigen Sie doch mal, dass es auch Andersdenkende und vor allem auch Andersfühlende gibt, welche Ihnen Ihre Frage auf direktem Weg zurückgeben könnten: WARUM?
(Sehr geehrter Gast, genau solche Fragen treiben die Diskussion dann wieder auf abstrakte Höhen. Ist es nicht produktiver hier konkret über die Leistungen des Centraltheaters und die Rezeption etwa in der LVZ zu diskutieren, statt über "Freiheit" und "Norm" im Allgemeinen? Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
Carl Hegemann ist übrigens - schauen Sie doch das nächste Mal bitte selbst bei Wikipedia oder anderswo im Internet nach - Professor für Dramaturgie an der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" in Leipzig und seit der Spielzeit 2011/2012 Dramaturg am Thalia Theater Hamburg. Na, dass Sie das nicht wussten, wo Sie doch soviel über Leipzig - oder doch nur das Centraltheater? - wissen.
(...)
Und zum Schluss ein zweites Zitat von Hegemann, zum selben Thema: "Praktiken der Kunst im außerästhetischen Bereich zu etablieren aber ist - wie Schiller sagt - keine Kunst, sondern 'Betrug'." Und dann schreibt er noch, dass solche Dinge unter das Strafgesetzbuch fallen würden.
Leipziger hat irgendwie recht. Sie argumentieren nicht sachlich kritisch, wenn es um Sebastian Hartmann geht. Sie beschimpfen und beleidigen ihn einfach nur, weil seine Art von Theater nicht Ihren Vorstellungen entspricht.
In verschiedenen Medien (zuletzt z.B. Spiegel, Theater heute) gibt es eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Künstler Sebastian Hartmann. Das sollten Sie mal lesen und ihre eigene Wortwahl überdenken.
Früher ist der Zuschauer aus einem Shakespeare-Drama gegangen und hat gesagt: „Das war aber schön.“ Selbst wen es in dem Stück um Mord und Intrigen ging. Nur nicht aufregen und am besten ohne Nachwirkungen gut gelaunt nach Hause gehen. Traurig dabei ist aber, dass es ein Teil der Leipziger und die LVZ „ihr“ Theater so haben will.
Sebastian Hartmanns Zeit als Intendant ist eigentlich zu kurz um Leipzig richtig aufzurütteln.
Aber er hatte es einfach zu schwer gehabt, wenn er den Kulturbürgermeister (Faber), die einzige Tageszeitung LVZ und noch eine paar selbsternannte Gralshüter gegen sich hat.
U.a. Hartmanns Inszenierung von Thomas Manns "Der Zauberberg" klang beispielsweise sehr interessant auf mich. Aber auch darauf, auf dieses gleichsam "schwule Thema", gibt es eine Frauenperspektive, meine - über Peter Weiss angeeignete - Perspektive:
"Gegen Ende des Romans finden sich der junge und der alte Liebhaber zusammen in der Verurteilung des Objekts ihrer Liebe, im eignen Versagen ihre männliche Dominanz dennoch aufrechterhaltend, schreiben sie der Frau zu, was sie gemeinsam ausgebrütet haben, dass sie sich als reaktives Geschöpf, ohne Initiative, eben nur als Objekt empfinde und sich, durch weibliche Bestechlichkeit, der primären Wahl des Mannes überlasse."
Ich liebe Männer, aber Intrigen solcher Art verletzen mich. Schön deshalb diese Bühne aus Styroporschnee im "Zauberberg". Ich zitiere dazu Alexander Kluge:
"Infolge einer Verwechslung wird Caspar David Friedrichs Bild 'Das Eismeer' auch als 'Die gescheiterte Hoffnung' bezeichnet. Kann Hoffnung scheitern? Ähnlich vielseitig wie unser Verhältnis zur Kälte ist unsere Beziehung zur Hoffnung. Für Menschen kann es, solange sie leben, keinen Nullpunkt der Hoffnung geben. In der Nähe ihres Kältetodes wird die Hoffnung feurig."
Ästhetik ist noch einmal etwas anderes. Dieser Begriff meint erstmal nur sinnliche Wahrnehmung. Aber deswegen ist noch lange nicht alles, was Sie wahrnehmen können, gleich Kunst. Oder Sie müssten in der Konsequenz auch den Einsturz der Twin Towers, zum Beispiel, als Kunst wahrnehmen. Nur leider sind dabei auch ein paar Menschen ums Leben gekommen. Es ist eben nicht alles nur mediale Oberfläche. Denn Sie haben auch eine Verantwortung für Ihre Wahrnehmung.
Lieber Klaus, das haben Sie wunderbar formuliert. Besser und treffender geht es meiner Meinung nach nicht. Und an A. und B., der Mann heißt Schütt, und ich meine, Sie haben ihn nicht ganz verstanden, Hä?
Hier ein Auszug: "Weg mit Masken! Weg mit Puder über allen Wahrheiten! Weg mit Respekt! Leute, glotzt nicht so ergeben auf euren ehrpussligen Kulturbegriff! So ruft Hartmann mit verzweifeltem Radikalismus. Er zeigt, wie wir in der Wollust und in diversen Panikzuständen auf unsere Ursprünge zurückgeworfen werden. Die uns kenntlich machen als Irrende. Hä?, fragt Faust in Richtung Himmel, es ist der Blick in eine weit oben installierte Kamera, die uns das fragende Gesicht zurückwirft. Immer wieder dieser erschreckt-erstaunte Laut des Nichtbegreifens: Hä?"(ND vom 09.01.2013)
Den Trinker am Gorki-Theater Berlin
Krieg und Frieden in Leipzig.
Ich verstehe das Bedauern der Leipziger, dass sie an ihrem Schauspielhaus stilistisch mehr oder weniger nur 1 Handschrift haben. Ich finde, ein Intendant in einer Stadt mit nur 1 großen Theater sollte hier für eine größere Bandbreite an experimentellen und traditionelleren Stilen bzw. Aufführungen anbieten und glaube, dass das auch für die Flexibilität eines Ensembles, eines Theaters gut ist. Ivan Nagel hat das 1972-79 am Hamburger Schauspielhaus ideal hingekriegt: Zadek neben Noelte, Savary (in großen Zeit) neben Giesing, Minks neben Strehler...
Das ist das Eine.
Das Andere ist:
Hartmann steht sicher in der Castorfschen Volksbühnen Tradition, aber ist kein Epigone, sondern fügt diesem Stil zumindest mit Trinker und Krieg und Frieden ein ganz eigenes Kapitel hinzu.
Der Trinker ist sicher eine Zumutung. Aber das Thema ist auch eine. Das kann man nicht nett haben. Hartmann zeigt mit Finzi, wie ein Mensch erst aus der bürgerlichen Gesellschaft fällt und dann völlig den Boden unter den Füßen verliert. In diesen Strudel zieht uns Hartmann mit stilistisch sicher der Volksbühne zuzuordnen, innerhalb dieses Rahmens aber neuen Mitteln herein.
Krieg und Frieden ist einfach qua Ausdehnung schon eine Leistung. Sicher wird man über das eine oder andere diskutieren können. Aber das Haus ist an diesem Stoff NICHT gescheitert und hat einfach atemberaubende Lösungen gefunden, die jede Diskussion über den Abend zu einem Diskurs macht, der uns tief in den Roman und seine Themen hineinführt und verstrickt.
Ich finde, dafür könnte auch ein Herr Korfmacher dankbar sein und einfach differenzieren. Und Kulturpolitiker sollten daraus die Lehre ziehen, Intendanten nach dem Modell Ivan Nagel zu küren, statt Regisseure zu Intendanten zu machen.
Inga, in Neumünster lebt beispielsweise ein Mann, der sich in den Jahren seines wohl wohlverdienten Ruhestands auf die Spur(en) des Meisterdetektivs Sherlock Holmes gemacht hat und nun nach außen hin tatsächlich als "Sherlock Holmes" auftritt. Das mag ja ein schräges Hobby sein, aber der Mann ist somit noch lange kein Betrüger; was Sie da vom Zitat zitieren (schon Hegemann zitiert Schiller), trifft beispielsweise auf ihn garnicht zu. Gewaltmonopole über das Künstlerische im Leben, man müßte beinahe in Ihrem Slang fragen: "Gehts noch ?" Gerade weil da die Grenzziehung immer wieder schwierig ist, wenn überhaupt möglich, und nicht immer ohne Reiz ist,
Karneval läßt auch ein wenig grüßen, nochmals, sind doch SIGNA-Sachen wie die "Hundsprozesse" so interessant im Grunde ! Und "Umdreharbeiten" scheint das ja auch in Frage zu stellen, genauso ging es beim Laberenz-Abend, auf den Sie so gerne herumreiten und den Sie hier strapazieren, als stünde er für die gesamte Centraltheaterzeit. Leider höre ich jetzt gerade zu "Umdreharbeiten" nichts, obschon der Thread ganz überraschend aus dem Boden schießt, muß ich sagen; den Artikel gibt es ja schon ne Weile..
Anders gefragt: Akzeptiert Hartmann die Gleichberechtigung JEDER Meinung zu seiner Kunst? Beuys hat dazu schonmal Interessantes formuliert, im Rahmen einer Talkshow, welche man beinahe schon wieder mit Satire verwechseln könnte, vor allem da, wo es um das Thema der individuellen Freiheit des Künstlers geht:
http://www.youtube.com/watch?v=SXPoAaBTPy8
(Werter "pudels kern", lädt der Fakt, dass ein Pantomimen-Theater den "Faust" schon einmal ohne Worte in Sachsen aufführte, zur Verwendung des Kampfbegriffs "klauen" ein? Oder ist Ihr Beitrag ironisch aufzufassen? Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
BILD 27.02.2013
(Sehr geehrte/r Nutzer,
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Die Redaktion)
(dito.
Die Redaktion)
Vollkommen richtig, finde ich; Hartmanns Theater ist bis auf den heutigen Tag hin angreifbar geblieben und daran wird die Trilogie zu Dostojewskij, Tschechow und Tarkowskij (ich hoffe, daß bis zum Juni so einige Leute die "Versiegelte Zeit" Tarkowskijs gelesen haben werden) gewiß nichts ändern. Schön, daß nachtkritik de. den heutigen ersten Teil bespricht ("Traum eines lächerlichen Menschen"), schade (aber wohl den Kapazitäten geschuldet), daß für den zweiten Teil ("Angst" nach Tschechow am 22.3.) keine Kritikerin, kein Kritiker vorgesehen ist, obschon es angesichts der Tschechowpremiere von Castorf 5 Tage darauf auch eine spezielle Spannung gegeben hätte. Dem Spieler der heutigen Sache (eine Fortsetzung der Arbeit Hartmanns mit den Leipziger Schauspielschülern ) toi, toi, toi !.
"In Reaktion auf die spekulative Berichterstattung und die davon ausgelöste Debatte in Politik und Öffentlichkeit informieren wir über die Herstellungskosten der Leipziger Festspielarena.
Die Produktionskosten der Leipziger Festspielarena belaufen sich ohne Berücksichtigung der Leistungen der Opernwerkstätten auf insgesamt lediglich T€ 160 und beinhalten bereits die Aufwendungen für den notwendigen Ausbau der Saalbestuhlung.
Die bei den Opernwerkstätten für die Herstellung der Festspielarena in Anspruch genommenen Werkstattkapazitäten entsprechen nur 28 % des vertraglich vereinbarten jährlichen Gesamtvolumens von 22.800 Arbeitsstunden, welches vom Schauspiel Leipzig ohnehin abgerufen und vergütet werden muss.
Aufgrund des deutlich geringeren Bedarfs an Werkstattkapazitäten für die Herstellung und den Betrieb der Leipziger Festspielarena wurden im ersten Halbjahr 2013 Werkstattkapazitäten frei. Diese konnten in Zusammenarbeit mit der Oper Leipzig teilweise an die Bayreuther Festspiele verkauft werden. Die daraus resultierenden außerordentlichen Einnahmen belaufen sich für das Schauspiel Leipzig auf ca. T€ 95 und reduzieren die Herstellungskosten der Festspielarena in gleicher Höhe auf nunmehr lediglich T€ 65.
Die Intendanz von Sebastian Hartmann wird nach fünf Spielzeiten insgesamt mit einem positiven wirtschaftlichen Gesamtergebnis abschließen."