Welt in Unterwäsche

31. Januar 2013. Anlässlich der Hamburger Premiere von Don Giovanni. Die letzte Party widmet sich Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (31.1.2013) dem Mittel der Ironie.

Zwar könne Ironie im Prinzip eine herrlich entlarvende Methode gegen die Dummheit sein, so Briegleb in seiner Rezension von Antú Romero Nunes' Inszenierung. Allerdings diene Ironie auf der Bühne zunehmend nur noch dazu, "um sich selbst vom Stoff, den man spielt, zu distanzieren und möglichst jede Aussage oder inhaltliche Festlegung zu vermeiden". Je größer der Stoff, desto "schmalspuriger" und nervtötender gerate die Art der Distanzierung und der ironische Tonfall.

Letztendlich hänge auch der schleichende Bedeutungsverlust der darstellenden Künste mit dieser dauernden "Verdünnung mit Ironie" zusammen, im Falle von "Don Giovanni" führe sie gar zu einem "Paradebeispiel der totalen Stoffverflachung".

Heraus komme eine absichtslose Unterhaltung, die alles so lange ironisiert, bis nur noch Lächerliches übrig bleibt. Solches Theater sei "wie eine Welt, in der alle immer in Unterwäsche herumlaufen: Jede Handlung, egal welche Schwere sie eigentlich besitzt, wirkt plötzlich ordinär." Das erste Opfer dieser ziellosen Ironie sei ausgerechnet "jene Lebenshaltung, für die sie mal als Ausweis galt: der gute Humor".

(mw)

Kommentare  
Presseschau Ironie: Schlegels philosophische Methode
Für Friedrich Schlegel war Ironie eine philosophische Methode und bedeutete "eben nichts andres, als dieses Erstaunen des denkenden Geistes über sich selbst, was sich oft in ein leises Lächeln auflöst". Für den Künstler bedeutet das, die ständige Reflexion der Umwelt und seiner selbst, sowie die Erkenntnis der eigenen Unvollkommenheit in ein Kunstwerk umzusetzen. Also im Großen und Ganzen die poetische Reflexion und Spiegelung des eigenen künstlerischen Schaffensprozesses. Auf dem Theater sind gerade Jan Bosse und eben auch Antú Romero Nunes Regisseure, die das in ihren Inszenierungen auch immer wieder anwenden. Alles andere wäre nur aufgeblasene theatrale Übertreibung und billiger rhetorischer Klamauk. Und das ist in der Tat zu einer Modeerscheinung am Theater geworden. Schlegel scheint auch immer dahingehend missverstanden zu werden, dass sich selbst beobachten und reflektieren ein ständiges neben der Rolle stehen oder aus ihr heraustreten meint (siehe Ironie als permanente Parekbase). Da immer nur ein sehr schmaler Grat zwischen Ironie und Klamauk besteht, ist auch der Drang zur Übertreibung in jedem Künstler vorhanden. Mal geht es gut, mal eben voll daneben. Dazu kommt noch, dass es für das Aussenden sowie das Empfangen und Verstehen von Ironie einer guten Sensorik bedarf. Mit dem Holzhammer ist da nichts zu machen. Sich auf die Schenkel klopfen, dass es kracht, kann jeder. Man kann auch alles soweit in sein Gegenteil verkehren, bis es jede tiefere Bedeutung verloren hat. Wer über die Gabe der Ironie verfügt, feine Kritik anzubringen, hat vermutlich auch einen Sinn für Humor. Mit Komik hat das noch nichts zu tun. Genau wie eine Satire nicht für jeden komisch ist, muss Ironie auch nicht von jedem gleich verstanden werden. Man kann nicht in jedem Fall vom gleichen Wissensstand des Gegenübers ausgehen. Was natürlich auch meist einen Reiz ausübt. Dabei kommt es oft dazu, dass man den anderen über- bzw. unterfordert oder der sich einfach verarscht fühlt. Einen dramatischen Stoff oder eine Situation in einem Stück zu ironisieren, geht oft zu Lasten des Autors oder seiner Aussage. Was nicht weiter schlimm ist, wenn diese eh überholt, kritisiert werden soll oder verschieden deutbar ist. Es muss eben einen passenden Zeitbezug haben und auch entsprechend rüberkommen. Nun habe ich Nunes Inszenierung von "Don Giovanni" noch nicht gesehen und kann nicht selbst beurteilen, ob Till Briegleb oder die anderen Kritiker, mit ihrer Einschätzung, alles nur einfach lustig zu nehmen, richtig liegen. Auf ein allgemein bestehendes Problem hat Briegleb aber ganz richtig hingewiesen. Ob es nun gleich ein Elend mit der Ironie ist, sei dahingestellt. Sie aber nur zu benutzen, um sich den Stoff oder eine Stellungnahme dazu vom Hals zu halten, zeugt eher von Ignoranz.
Presseschau Ironie: traurige Tendenz
"Sie aber nur zu benutzen, um sich den Stoff oder eine Stellungnahme dazu vom Hals zu halten, zeugt eher von Ignoranz..."
Oder von Einfalt! Es gibt einflussreiche Menschen an deutschsprachigen Theatern, die behaupten, man könne Kunst nur noch aus der ironischen Distanz heraus machen..wie traurig das doch ist!! Wie klein..wie peinlich
Presseschau Ironie: Schuss davon für Stuart in HL
Gut, daß Herr Briegleb das an dieser Stelle ein wenig grundsätzlicher
angefaßt hat ! Inszenierungen, in denen sich ganz und gar coole Regisseure geradezu in Stefan-Raab-Manier über ihre Stoffe her-
machen, zielend auf den Ausruf im Feuilleton "Wie herrlich respektlos, welch Chuzpe !!", um dann in ihrer Werkbiographie zB. auch einen "Alttestamentarischen Stoff" nachweisen zu können, sind nicht selten und ja:MODE.
Andererseits hätte beispielsweise, um mein jüngstes Beispielsdatum zu nennen, die "Maria Stuart" in Lübeck, der man geradezu eine Angst anmerkt, bloß nicht komisch wirken zu dürfen, die dann leider zuweilen zum gegenteiligen Ergebnis führt, sehr gut einen Schuß "Ironie" verkraftet: gerade gegen die Gefahr des Setzkastens gesetzt, gegen eine andere Mode: zB. auf Klaus Nomis "Cold Song" zu setzen. Es wäre da schon schön ironisch gewesen, beispielsweise Elisabeth gegenüber Maria mit einem anderen Nomi-Song entgegentreten zu lassen: "Simple Man", um dann später, in ganz anderer Konstellation Davison wiederum mit diesem Song gegenüber seiner Königin, Elisabeth, antreten zu lassen. Er wäre in der Songwahl ganz Gefolgsmann und doch würde der Song in beiden Fällen etwas ganz grundlegend Anderes bedeuten. Es kann auch für den "Simple Man" Zuschauer eine ganz fröhliche Freizeitbeschäftigung werden, das Zuviel oder Zuwenig einer Inszenierung für sich selbst in seinem Folgeleben ein wenig auszugleichen..
Presseschau Ironie: Geschichtslosigkeit?
Liegt diese passive, nur unterhaltende Ironie bei Nunes an (s)einer politischen Bewusst- bzw. Geschichtslosigkeit? Heiner Müller beschreibt Ironie auf dem Theater/Oper, indem er der Ironie bei Thomas Mann die Ironie bei Sophokles entgegensetzt. Zitat:

"Es beruhte zwar alles auf Ausbeutung von irgendwem, und wenn es die Dienstboten waren, das drang aber gar nicht ins Bewußtsein. Denn in dem Moment, wo es ins Bewußtsein tritt, daß da etwas nicht in Ordnung ist, muß man sich dazu verhalten. Und da man sich nicht daraus lösen kann, wird man ironisch. Das macht sich dann über sich selbst lustig, über das Neue und das Alte. Ironie von Thomas Mann ist in diesem Sinn Flucht vor politischen Einsichten oder Schlußfolgerungen. Es ist das Gegenteil der tragischen Ironie des Sophokles. Diese ist eine Einsicht in die Abgründigkeit von Politik und Geschichte. Diese Einsicht in die Abgründigkeit der menschlichen Existenz ist in der Oper ein ganz starkes Element: Unter dem Gesang ist der Tod, ist die Leere, und nur daraus kommt der Glanz."

Und bei Nunes?: "Ich versuch' gerade, sexy auszusehen." Nichts ausser der Glanz der Oberfläche?
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