Diese unsäglichen Spielvögte!

19. April 2013. "Im Theater ist – vom gewaltigen Blödsinn bis zur intellektuellen Emphase – alles möglich", schreibt Irene Bazinger in der aktuellen Ausgabe des Magazins Cicero. Seine gesellschaftliche Relevanz erweise sich, "wie in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens auch", in der Qualität seiner Hervorbringungen. "Wenn gelangweilte, ungebildete, überhebliche Regisseure mit schlecht gewaschenen Fingern an Texten herumfummeln, die sie gar nicht interessieren und die sie deshalb auf ihr banales geistiges wie emotionales Niveau herunterbrechen, ist das Theater daran nicht schuld."

Es könne nichts für einen künstlerischen Horizont, der sich zwischen "Sesamstraße" und Facebook bewege – und das nicht als Mangel empfinde. Es könne auch nichts für Stückfassungen, die mit den Originalen kaum noch etwas zu tun haben, "dafür mit Fremdtexten, Filmeinblendungen und Musiktiteln aus der gerade bevorzugten Playlist des jeweiligen Regisseurs vollgeknallt sind." Oder wenn "diese unsäglichen Spielvögte" ihrem Ensemble nichts anderes abverlangten als baldigst Hemd und Hose auszuziehen, mit blankem Hintern durch den Kartoffelsalat zu robben oder erst mal in irgendeine Ecke zu kotzen, per Videokamera riesig auf die Bühnenrückwand übertragen.

Die Regietheaterdebatte sei inzwischen wieder abgeflaut, "aber nicht das, was sie ausgelöst hatte". Neben den genannten Provokationsversuchen macht Bazinger eine "innere Auszehrung" als Bedrohung für Das Theater aus, "die man höflicherweise als Blässe des Gedankens, ebenso als Dämlichkeit und Präpotenz bezeichnen könnte".

Was in den großen Städten "mit viel Aufwand unter speziellen Umständen eventuell irgendwie und dank hervorragender Schauspieler" durchrutschen könne, werde auf den kleineren Bühnen normalerweise zum Desaster. Eine Inszenierung à la Castorf, Gosch, Petras in der Provinz könne verheerend sein, denn sie senke maßgeblich nicht nur das Niveau des regionalen Theater, sondern verderbe überdies die Perspektive des Publikums.

Und nachdem die Regisseure das anspruchsvolle Publikum aus dem Theater gejagt hätten, rannten sie ins Kino. "Ich kriege akute Hassschübe, wenn mir Theaterleute erzählen, um wie viel lieber sie Filme sehen als Theater. Kein Wunder, haben sie es doch selbst in Bausch und Bogen ruiniert!"

Im Theater seien unbegabte Regisseure – "ich sage bloß Christoph Schlingensief!" – oft blendend im Geschäft. Zu erklären sei das höchstens dadurch, dass sie mit ihren wohlkalkulierten Sujets und mit ihrem schamlosen Bühnen-Bohei eine riesige Medienresonanz auslösten und so einerseits soziale Relevanz simulierten, andererseits für nicht minder mediengeile Intendanten zu Quotenbringen würden.

Die Intendanten kriegen auch noch ihr Fett weg: "Wo ist ein Intendant mit Mut zum Abenteuer, zur eigenen Meinung, zur intellektuellen Widerspenstigkeit? (…) Ich kenne nicht alle, aber ich sehe keinen."

Schlussappell: "Macht uns nicht dümmer, als ihr seid und wir sind! Lasst uns die Theater wieder zu Kathedralen des Besonderen erleben! Rettet sie aus den handelsüblichen Komfortzonen!"

(sd)

Kommentare  
Regietheaterbashing im Cicero: Augen auf
Steile Thesen, ey. Aber Augen auf, Frau Bazinger, Sie sehen die interessanten Intendanten nicht, weil sie dort, wos interessant ist, gar niemals hinschauen geschweige denn hinkommen tun! Oder wann waren sie zum letzten Mal in Dortmund, Oberhausen, Wuppertal? Wann in Dessau, Jena, Dresden? Oder Karlsruhe, Freiburg, Tübingen?
Viele Grüße
Regietheaterbashing im Cicero: halluzinierter Kartoffelsalat
Eines würde mich ja doch mal interessieren: Nachdem in so ziemlich jedem Text und auch in jeder Diskussion zur sogenannten Regietheater-Debatte irgendwann das Wort "Kartoffelsalat" auftaucht, wüsste ich gerne, in welchen Inszenierungen außer "Pension Schöller/Die Schlacht" von Frank Castorf von 1994 (!) Kartoffelsalat auf der Bühne eine Rolle gespielt hat. Schon allein diese immer wiederkehrende und m.E. ziemlich schiefe Synekdoche zeigt doch, wie weit an der theatralischen Realität viele der Beiträge zu dieser Debatte vorbeigehen.
Regietheaterbashing im Cicero: Opfer
(...) Klar ist doch eins: Das es die Kritiker wie Frau Bazinger selber sind, die den "Medienhype" entfachen, auf dessen Zenit dann die Demontage des Favoriten genüsslich beginnen kann. Frau Bazinger hat wie sabine richtig sagt, nicht die Spur einer Ahnung über das, was Theater in seiner Breite in Deutschland eigentlich bedeutet. Sie ist das typische Metropolen-Ausschnittswahrnehmungs-Verengungshorizont-Opfer des eigenen Berufsstandes.
Regietheaterbashing im Cicero: blendend im Geschäft?
Christoph Schlingensief "blendend im Geschäft"? - Pfui, wie scham- und geschmacklos...
Regietheaterbashing im Cicero: richtige Gedanken...
Richtige Gedanken, falsche Beispiele
Regietheaterbashing im Cicero: DDR-Tradition
Dem Mann kann geholfen werden: Kurt Bartsch "Der Bauch" Songspiel; Lied von den Gebräuchen: "Zu einem richtigen Arbeiterstaat/gehört ein richtiger Kartoffelsalat". Seit 1974 (Uraufführung an der VB Berlin) Teil des allgemein (un-) bekannten, und auch in bestimmten Kreisen unbeliebten DDR-Liedgutes. Das ist die Quelle, Castorf ist schon immer DDR - Traditionalist gewesen, was übersehen wird.
Regietheaterbashing im Cicero: Das Theater ist nicht schuld
Wenn gelangweilte, ungebildete, überhebliche Kritiker über Theaterabende kritzeln, die sie gar nicht interessieren und die sie deshalb auf ihr banales geistiges wie emotionales Niveau herunterbrechen, ist das Theater daran nicht schuld. Die Kritik, nicht zuletzt die des Großfeuilletons, ist durch das bedroht, was man höflicherweise als Blässe des Gedankens, ebenso als Dämlichkeit und Präpotenz bezeichnen könnte. Ich kriege akute Hassschübe, wenn mir Kritiker erzählen, um wie viel lieber sie Texte lesen als ins Theater gehen. Kein Wunder, haben sie doch das Gespür für Theater beim Lesen der Texte in Bausch und Bogen verloren! Schreibt das Theater nicht dümmer als es ist. Und vor allem: Schreibt das Theater von vor 40 Jahren nicht größer als es war.
Regietheaterbashing im Cicero: Lob der Provinz
"Augen auf" ist ein gutes Stichwort, um kurzerhand auf verschiedene Threads einzu-
gehen. Zunächst zeichnen ua. die Nachtkritiken auf dieser Seite, nachtkritik de., in der Tat auch für die sogenannte Provinz ein bei weitem differenzierteres Bild als es je jegliches "Regietheaterbashing" wird leisten können. Und auf nachtkritik de. ist auch das Spekrum an KritikerInnen kaum verdächtig, hofberichterstattend zu sein, und da, wo dieser Verdacht dann hin und wieder doch ein wenig mitschwingt, wird er gelegentlich sogar sachlich begründet wiedergegeben, so daß diskutiert werden könnte. Auch Inszenierungen, die mehr dem Bilde des Bazingerschen Holzschnittes
entsprechen, oh ja, es gibt sie (und das hat zB. sehr wohl mit dem Überheblichkeitsthema, dem Dauerironiethema zu schaffen, das Herr Briegleb vor nicht allzulanger Zeit an passenderer Stelle (meineserachtens) plaziert hat), bleiben prinzipiell diskutabel, und leider wird von diesem Prinzip auch zu Zeiten nachtkritik de.s noch zu wenig Gebrauch gemacht. "Augen auf" ! Richtig, es gibt sie wieder, wie Stefan unlängst angesichts einer ersten "Schwalbe", ich will die löbliche erste LeserInnenkritik seit langem auf dieser Seite einmal so nennen, feststellte: die Möglichkeit zur "LeserInnenkritik", und offenbar ist mir die Ankündigung der erneuerten Möglichkeit ebenso entgangen wie ihm (Gab es überhaupt eine ?); umso löblicher, daß die erste Leserkritikerin offensichtlich die Augen offen hatte ! "Augen auf", denn es gibt nicht nur sehr Sehenswertes an mindestens den oben genannten Bühnen, es gibt auch Spannendes zu erleben, wenn man sich auf andere, zB. KritikerInnenstimmen zu einer Sache einläßt, bevor oder nachdem man sich selbst diese angesehen und "erklärt" hat, und auch "bevor" und "nachdem" sind als differente Weisen, ans Theater heranzutreten, diskutabel. Nehmen wir zB. den "Clavigo" in Kiel, der vor ca. einer Woche Premiere hatte. Die Kritiken zweier etablierter (regionaler) KritikerInnen, Ruth Bender (KN, 15.4.2013 "Verlieben sich zwei") und Wolfgang Butzlaff (Shz, 15.4.2013 "Kieler Schauspielhaus enttäuscht mit Jugendwerk von Goethe"), könnten viel weiter garnicht auseinandergehen; schon allein die Frage, auf was man sich eigentlich einläßt, wenn man heute zu einer "Clavigo"-Inszenierung geht, scheint so unterschiedliche Antworten zu provozieren, wohlgemerkt : bei zwei KritikerInnen, die ganz ordentlich davon leben können, Kritiken und Theaterartikel zu veröffentlichen, und diese Antworten scheinen das dann Kritisierte so sehr zu belangen, daß für meine Begriffe gerade diese offene Schere darüber, was wir hier eigentlich gerade erleb(t)en, von ungemeinem Reiz ist,
über Fremd, Welt, Ich ein wenig mehr zu erfahren.
Ich mußte, um hier nicht auch Kino und Theater gegeneinander auszuspielen, beim
"Clavigo"-Thema spontan an den Film "Unloved" denken, auch erinnerte ich mich an einen einmal gesehenen Lenz-Film, der Goethe und Lenz zusammen in Sessenheim (bei Friederike Brion, die heute Geburtstag hat sozusagen) zeigte; insofern sperrt sich mein Vorverständnis beispielsweise gegenüber der Ruth-Bender-Zeile "Ein Teenie-Liebes-Kummer-Drama mit filmreif eingebauten Effekten in Gestalt eines rächenden Bruders und eines frechen Freundes", da, mit Herrn Butzlaff gesprochen, der Stoff ganz gewiß nicht der aktuellen Brisanz entbehrt (siehe "Unloved"), den er, Butzlaff desweiteren im Konflikt zwischen Liebe und Karriere und den falschen Einfluß von Beratern in etwa ausmacht. Herr Butzlaff bleibt für meinen Geschmack leider ein wenig fixiert auf das Drama; dabei liegt es freilich auf der Hand, daß die recht großen Themen "Liebe" und "Karriere" und ihre Beziehung gewiß auch schon irgendwo "behandelt", "angegangen" wurden (wie zB. in "Unloved"). Hat man ein Beispiel wie "Unloved" zur Hand wird es gewiß leichter, die Voraussetzung des "Teenie-Dramas" ein wenig zu befragen in der Hinsicht, ob da nicht mehr drin ist. Genau diese Befragungsprozesse erhoffe ich mir vom neueröffneten "Bolzplatz", der seinen Namen jetzt erst recht verdient, denn nur die wenigsten Bolzplätze sind geradezu gemeindeamtlich als "Bolzplatz" ausgewiesen (ich sah dergleichen wohl, aber es hat mich immer ein wenig amüsiert), die meisten muß man halt (mit allerlei BolzfreundInnen) suchen und finden.
Regietheaterbashing im Cicero: wer sich des Gesellschaftlichen annimmt
Schlingensief unbegabt??? Da hat wohl jemand die Theaterinszenierungen und Filme und Installationen von Herrn Schlingensief nicht verstanden. Er ist immerhin ein Regisseur gewesen, der sich gesellschaftlichen Problemen angenommen hat und sich nicht nur mit Theater beschäftigt hat. (...)
Regietheaterbashing im Cicero: was ich vermisse
Das Defäkieren, auch das Urinieren, das sich Übergeben im öffentlichen Raum sind Ansätze, die ich ausdrücklich gutheiße. Was ich allerdings vermisse, ist Praktizieren nekrophiler Handlungen. Dazu würde ich gerne mehr sehen.
Regietheaterbashing im Cicero: Verweis
Alkestis, Castorf, 1993
Regietheaterbashing im Cicero: Gosch???
Gosch, Regietheater? Möchte wissen, wer textkonformer und schauspielerinnenfreundlicher inszeniert hat als er?
Regietheaterbashing im Cicero: Pauschalisierungswut
Irene Bazinger liefert das Komplement zu Sibylle Berg (http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=7948:Presseschau-vom-13-april-2013--sibylle-berg-frustrandaliert-wegen-grassierender-theater-langeweile&catid=242:Presseschau&Ite). Was die eine vermisst, findet die andere im Übermaß. Irgendwie kann da etwas nicht stimmen. Mögen beide auch in Einzelfällen recht haben - sie leiden an der gleichen Krankheit: der Pauschalisierungswut. Und nur so erreichen sie, was Bazinger den unbegabten Regisseuren vorwirft: Medienresonanz. Die Spiegelmasche, die auch Cicero erlernt hat: aus einem halbwahren Zufallsfurz einen angeblich allgemeingültigen Dunnerschlag machen, der nichts mehr enthält außer Lärm. Wer Theater kennt und liebt, weiß, dass es landauf, landab (und nicht nur in deutschsprachigen Regionen) beides gibt: gutes und schlechtes Regietheater, gutes und schlechtes Texttheater, ungebildete Regisseure mit gewaschenen und gebildete Regisseure mit ungewaschenen Finger, vor allem aber Kritikerinnen und Kritiker, deren eigene Unlust am Theater die der überheblichsten Regisseure übertrifft. Wenn akute Hassschübe nur eine Sehnsucht nach Kathedralen auslösen, stimmt das schon wieder milde gegenüber cinéphilen Theaterregisseuren.
Regietheaterbashing im Cicero: nicht so hysterisch reagieren, bitte!
NIcht so viel Irene-Bazinger-Bashing bitte! Vieles, was sie sagt, stimmt einfach. Also überlege mal, bevor sie so hysterisch reagieren. An 12. Nix. Ich habe Gosch's "Tartuffe" gesehen: Textkonform war es gar nicht. Gut aber!
Regietheaterbashing im Cicero: Absolutheit und Engstirn
Was mir an solchen Statements wie denen Frau Bazinger gehörig auf den Zeiger geht, ist der Absolutheitsanspruch des eigenen Theaterbilds und die Engstirnigkeit, die das mit sich zieht. Erstens: Eine Inszenierung wird nicht dadurch gut, dass Kartoffelsalat im Spiel ist (Castorf selbst hat ihn übr. kürzlich in der Marquise von O wieder - aber eben auch nur - auf den Tisch gebracht) oder in die Ecke uriniert wird - aber wird sie dadurch automatisch schlechter? Ist eine Inszenierung zu vernachlässigen, weil in ihr mit Video gearbeitet wird? Will Frau Bazinger bestimmte darstellerische Mittel gleich verbieten und wenn, wird das Theater dann automatisch besser. Zweitens und viel wichtiger: Das Theater lebt durch seine Vielfalt, durch Inspiration und Abstoßung, durch Korrespondenzen und Kontraste, durch unterschiedliche Sichtweisen. Zumindest das deutschsprachige. Wenn nur noch Nicolas Stemann Theater machte wäre das genauso schlimm wie wenn es nur noch texttreues Theater à la BE gäbe. Lasst den Leuten doch die Wahl: Das BE ist, wenn ich es besuche, ebenso voll wie DT oder Schaubühne oder eben wie die Komödie am Kurfürstendamm. Und an alles Häusern gibt es gutes und schlechtes. Die Eintönigkeit, die Frau Bazinger sieht, existiert schlicht nicht, es lohnt sich, die Augen aufzumachen.
Regietheaterbashing im Cicero: alle Theaterleute lieben Serien?
in der sache hat sie ja irgendwie recht.ich begreife auch nicht warum alle theaterleute die hyperrealistischen,psychologisch genauen ami serien lieben,aber keiner sowas machen will.
was ist das feigheit?unfähigkeit?die konvention des unkonventionellen?wehe wenn du sauber arbeitest,pfui teufel. seltsam ist das ja schon.
Regietheaterbashing im Cicero: Verwechslung?
@franz wander: entschuldigen sie die höfliche nachfrage: sie verwechseln bezügl. tartuffe nicht vielleicht gosch und gotscheff? da gäbe es nämlich unterschiede...
Regietheaterbashing im Cicero: auf einem Auge blind
Es sind durch die Bank jene Presseerzeugnisse, welche die Regietheaterdebatte wieder anheizen, die selbst nichts zu einer Kultur der Kritik beitragen. Spiegel, Cicero, WamS: Man liest dort den sog. Überblick, den Aufreger, obwohl man längst vergessen hat, worum es eim Einzelfall geht, weil man den gar nicht mehr abbilden kann oder will. Vergütet werden solche Texte, so gut oder auch nur flüssig sie geschrieben sein mögen, allerdings mit unüblich hohen Honoraren. Man wird dafür bezahlt, auf dem einen Auge blind zu sein. Mit dem Zweiten sähe man besser.
Regietheaterbashing im Cicero: das übersteigt selbst Castorfs Phantasie
,,Regietheater a la Castorf, Gosch etc. verderbe die Perspektive des Provinzpublikums…“
Wie wahr! Ich reise aus familiären Gründen demnächst zwangsweise wieder auf Verwandten-Besuch in die ostdeutsche Provinz. Das was mir dort in (meinem) trauten Kreis real geboten wird, übersteigt selbst die Phantasie eines Frank Castorf.
Das so gescholtene Regietheater hält mich am Leben und lässt mich klarer sehen!!!
Regietheaterbashing im Cicero: moralisierend
Die ästhetische Perspektive von Frau Bazinger klingt von vornherein moralisierend bzw. von ihrem subjektiven Geschmacksurteil ausgehend sogleich auf das anderer schließend. Das Subjektive unbenommen, aber warum Frau Bazinger von da aus nun gleich auf eine "Verderbnis" der angenommenen reinen Seele "des Provinzpublikums" schließt und zudem einen so politischen Regisseur wie Schlingensief (ich denke immer mal wieder gern an seine "Chance 2000") als "unbegabt" bezeichnet, das verstehe ich nicht.
Regietheaterbashing im Cicero: Hinweis
Einausführlicher Leser*innenbrief an Frau Bazinger ist auf dem Theaterblog www.sektundbrezel.de zu finden...
Regietheaterbashing im Cicero: vonwegen schmutzige Finger
Es ist ja schon erstaunlich, dass hier so nett inhaltlich argumentiert wird. Wenn ich Formulierungen über Regisseure mit ihren schmutzigen Fingern lese, denke ich als ungebildeter Spielleiter gleich an die üble Propaganda in der dunklen Phase jüngerer deutscher Geschichte. Da entlarvt sich ein zynisches Besserwissertum der dumm-dreistesten Sorte, dem wir gemeinsam mit beherztem Einspruch entgegentreten sollten. (...)
Regietheaterbashing im Cicero: Dramaturgen sind schuld
es ist nicht das sog. Regietheater..es ist das kranke System..
Dramaturgen, die von Kunst keinen blassen Schimmer haben, und das sind die meisten, haben alle Fäden in der Hand.. dort liegt der Hund begraben! Regisseure inszenieren um ihr künstlerisches Überleben. Sie tun es so "auffällig" wie es eben geht... sonst ruft keiner mehr an... die guten , intelligenten und leisen bleiben oftmals auf der Strecke. scharenweise verlassen die wirklichen Künstler das System Stadttheater und gehen in die Arbeitslosigkeit, weil kein Machthaber des Systems sie erkennt.
Regietheaterbashing im Cicero: Dramaturgen sind nicht schuld
Ach, die Dramaturg_innen sind schuld? Von einer populistischen Pauschale zur nächsten zu wechseln und das dann "krankes System" zu nennen ist schon ein starkes Stück! Dramaturg_innen an Stadttheatern arbeiten etwa nicht um ihr "Überleben"??? Und der Vorwurf, Dramaturg_innen hätten "von Kunst keinen blassen Schimmer", zeugt sowohl von mangelnder Erfahrung in der Show als auch von Unkenntnis dieses Berufstands. Welche Instanzen sind es denn, die dramaturgisches Arbeiten an den Häusern auf Spielplan- und Programmzettelschreiberei runterbrechen? Als ob beim aufkeimendem Arbeitsethos von Dramaturg_innen nicht Gefahr bestünde, nach 2 Jahren einfach mal gegangen oder mit der Organisation einer Furz-Spielstätte im Keller betraut zu werden? Der Wettbewerbszwang der Spielpläne, der Qualitätsverlust zwecks Leistungssteigerung, alles hervorgerufen durch das in der Tat "kranke System", in dem alle Fahrrad fahren, von der Intendanz abwärts, das muss angezweifelt werden. Verniedlichung durch das Herumhacken auf einem einzigen Berufsstand bringt gor nix. Und es sind tatsächlich "Machthaber", die Aufstieg und Fall von Regisseur_innen zu verantworten haben, aber sie sitzen nicht nur in bequemen Intendanz-Elfenbeinturmzimmer-Sesseln. Das Fi-Fa-Feuilleton, weiß sehr genau, wen es gerade mal zum Regie-Star erhoben sehen will und wen nicht. Und da schließt sich dann der Kreis zur Kollegin Bazinger.
Regietheaterbashing im Cicero: Aus dem Innern des Systems
@24 Kritik hat im operativ geschlossenen System Stadttheater praktisch keinen Einfluss auf vermeintlich künstlerische Erzeugnisse. Der Schein trügt hier gewaltig!!! Manchmal wäre es gut ..sie hätte Einfluss!!! So wie Sie mir populistisches Argumentieren unterstellen verschieben Sie lediglich die Zielrichtung. Ich arbeite seit Jahrzehnten im System. Wer bringt denn die tollen, blutjungen, hippen und vor allem "preiswerten" Regisseur-Innen und ihr zum Zuträger degradiertes Fußvolk.. namentlich Bühnenbildner, die man heute abschätzig "Ausstatter" nennt, und Kostümbildner- Innen und die, nie nach ihrer Meinung gefragten Musiker- Innen, die man allenthalben, auf finanzieller Sparflamme, als Zulieferer für die "Mucke" hält, mit? Wer sind die, die den zeitgemäßen Diskurs und die flachen Hierarchien zu verhindern trachten? Wer "entdeckt" die "Großen" von Morgen? Wer schickt sie in die Wüste? Das ist doch vornehmlich die Abteilung, die sich Dramaturgie nennt. Die Abteilung, die mit der Intendanz geheimbündlerisch an Spielplänen bastelt und Schauspieler als notwendiges Übel sieht. Auch die Schauspieler-Innen werden aus dem Diskurs weitgehend ausgegrenzt. Unmengen von kreativer Energie werden verdampft. Hierarchien wie im 19.Jhd. Die Kunst wird in die Bedeutungslosigkeit kuratiert. Wenn das operativ geschlossene System einen Regisseur oder eine Regisseurin halten möchte, dann geschieht dies gänzlich ohne die Möglichkeit der Kritik, irgendeine Art von Einfluss zu nehmen. Allenfalls eine schnell verpuffende Irritation kann gesendet werden. Diese ändert nichts am Verhalten der Entscheider. Das Publikum ist ohnehin längst vergessen worden...Welches Publikum überhaupt??? Wir leben in einer "Kuratorengesellschaft".
Regietheaterbashing im Cicero: Zustimmung
Da haben sie so recht!!!! Sehr genau beschrieben hier verschiebt sich was, schon seit langem. Nur wird eben an keiner Stelle Verantwortung übernommen.
Regietheaterbashing im Cicero: gegen Pauschalisierung
Es ist mir ein absolutes Rätsel und wirklich erschreckend, wie gebildetet Menschen aus eigenen Erfahrungen heraus derart pauschalisierend werden können. Die eigenen Erfahrungen mögen ja sogar so stimmen wie beschrieben, aber ich bitte darum, dieses dann auch als eigene, einzelne Erfahrung bezogen auf eine Stadt, ein Theater, ein Stück etc. zu kennzeichen! Insbesondere bezogen auf die Dramaturgen könnte ich diverse Gegenbeispiele nennen, die komplett anders arbeiten.
Regietheaterbashing im Cicero: Kindergarten und Börse
Wenn Frau Bazinger eins erreicht hat, das "System" entblättert sich hier am Orte trefflich - allmählich müsste sich doch herumgesprochen haben, dass Theater allemal und leider - oder Gott sei Dank - Gewinner und Verlierer kennt, Kindergarten und Börse ist - und trotzdem durchaus auch ein Ort sein kann, in dem Kunst gedeiht, und dem der einzelne sich niemals mit Haut und Haaren verschreiben darf, denn sonst wird er Opfer des undurchschaubaren Wechsels von Glück und Unglück in diesen, Theater genannten, Läden der menschlichen Verirrungen und Gelüste. Schön schrecklich oder schrecklich schön, so ist es für den einen und andersrum für den anderen - aber ohne einen Rest von Selbstironie sollte keiner versuchen, da mitzuspielen.
Regietheaterbashing im Cicero: mit Brille und Agamben
Selbstironie in Dramaturgie und Intendantenbüros (prust).
Jeder, der den Betrieb kennt, weiß: dieser lebt davon, dass man sich gnadenlos ernst nimmt und zwar mit allem was man tut. Jeder möchte Künstler sein. Jeder möchte wichtig sein. Ganz besonders die, die zum eigentlichen künstlerischen Prozess am wenigsten beitragen. Brille aufgesetzt, Agamben oder Foucault zitiert, mal eben kurz mitm Armin ( o. Herbert oder Frank usw.) telefoniert und schon stimmt das Selbstbild wieder. Kulturermöglicher, dass ich nicht lache.
Man muss das nicht so ernst nehmen, alle kochen nur mit Wasser, aber wer von Kunst spricht, die gedeiht, hat mein vollstes Misstrauen.
Was allerdings die Alternative zum Status Quo ist, weiß ich auch nicht.
Ich weiß nur: Das Interesse der Entscheider wirkt zumindest so (jetzt mal diplomatisch), als wäre ihre Absicht die Erhaltung oder Verbesserung der eigenen Position, nicht aber, als hätten sie was zu sagen. Von Kunst ganz zu schweigen.
Regietheaterbashing im Cicero: Theater neu positionieren
Wenn man das bewahren will, was es immer noch gibt,also das subventionierte Theater, sollte man mal genau analysieren, wie man das schaffen kann. Und zwar in jeder Stadt separat, am jedem Theater besonders. Wie schaffe ich es, die Leute ins Theater zu kriegen und mir gleichzeitig treu zu bleiben, also, dass die Kunst immer noch ihren Platz hat? Tatsächlich, und da gebe ich Frau Bazinger recht, wird oft sowas wie Pseudoavantgarde einem Publikum vorgesetzt, das ratlos zurückbleibt und es allesfalls goutiert, damit nicht auffällt, das man es vielleicht nicht verstanden hat. Pauschalisieren kann man das nicht, aber deutlich ist ja, dass z.B. auf der anderen Seite eine Aufführung wie das jüngst hier besprochen "Alpenvorland" in Heidelberg nach acht Vorstellungen schon wieder eingestampft wird.
Klar, wenn man hier und da sagen würde, was tatsächlich los ist, also dass die Abonnentenzahlen schwinden und immer weniger Leute in die Theater kommen, genauso, wie immer weniger fernsehen, dann würde man die Kohle gestrichen bekommen und aus wäre es mit dem relativ sicheren Leben in der Subvention.
Aber vielleicht sollte man hinter den Kulissen des Gebäudes, das mit Zahlenjonglagen am Stehen gehalten wird, ein Konzept entwickeln, das den Anforderungen von Städten, in denen das Zentrum stirbt, weil wir alles im Internet oder in den Gewerbegebieten am Rand kaufen, genügt, eine Neudefinition des sozialen Raums sozusagen, eine genaue Analyse der Zustände, etwas, was man audience development nennt, irgendetwas, was anders ist als das ewig so Weitermachen, bis der Karren vor der Wand ist. Aber nein, wir machen eskapistisch weiter, retten unsere mittelfristeigen Verträge, die uns sowieso ausser den Intendanten nicht genug Geld zum Leben geben.
Und zu den jungen Regisseuren: Auffällig ist, das oft gekauft wie gesehen gilt und wenig von Schauspielern gefordert wird, was man oft seltsam finden muss, wenn man das Geschäft länger kennt.
Aber ansonsten gilt ja auch: Es gibt nur gutes und schlechtes Theater, da greifen alle Einteilungen nicht mehr.
Regietheaterbashing im Cicero: Krise und Leben
Theater, Mensch Du Krieselst ... Also Du Lebst (Ungefähr von Jean Vitez)
Regietheaterbashing im Cicero: es muss kriseln
Antoine Vitez nicht Jean und ungefähr lautet "ein Theater ohne Krise existiert nicht." Es muß kriseln ...
Regietheaterbashing im Cicero: leider zutreffend
Wer nicht nur in kleineren Städten oder gar in Kleinstädten lebt, sondern in Hamburg, Berlin und München Staatstheater (!) macht (!!), der muss zwangsläufig der Analyse im Cicero zustimmen.
Die Beispiele sind schlechte, aber der Treffer bleibt.
Wer die Proben von Innen kennt, weiß doch wie es ist.
Kurzes Beispiel aus jüngster Zeit: Ein hochverdienter Regisseur und Ex Intendant, inszeniert Brecht an einem deutschen Großstadtstaatstheater.
An Inhalten wenig interessiert, wurde bei den Proben versucht, möglichst viel unterhaltendes in den Szenen unterzubringen. Damit sich der gebildete Bürger nicht langweilt. Und ab und zu ein kleiner Bildungselitebelohnungsgag ("Hah! Ich hab das grad verstanden!") untergebracht, und fertig war der Abend.
Niemand, von Schauspielern über den Dramaturgen bis zur Regie, war am Stück, am Inhalt oder ähnlichem interessiert. Die Gespräche handelten zwischen den szenischen Proben immer um eines dieser beiden Themen: Ob "The Shield" nun besser als "The Wire" sei, und ob nun "Homeland" wirklich der ersehnte Knaller ist.
Lustigerweise passen also einige Dinge aus dem von mir eigentlich verachtetem Konservativenblatt wie die Faust aufs Auge.
Mit dem Brecht gehts sicherlich zum TT.
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