Dichliebe ich ahmeinetote maschine!

von Sabine Leucht

München, 16. Mai 2013. Nein, das wird er vermutlich auch nicht gewesen sein: Jan Decortes internationaler Durchbruch. Beim ersten Mal, 1981, war der Brandschutz das Problem: In Avignon, wo sie seine "Hamletmaschine" zeigen wollten, aber der eiserne Vorhang fehlte. Darüber stritt sich Decorte mit dem technischen Direktor, aus der Einladung wurde nichts und darum ist er heute – anders als seine Namensvettern und Landsmänner Jan Lauwers und Fabre – nicht überall auf der Welt bekannt. Sagt Decorte, der – man ahnt es – kein allzu kleines Selbstbewusstsein hat.

Der 1950 geborenen Flame gilt in seiner Heimat als Theaterzerstörer, genialer Narr – oder wird einfach nicht mehr ernst genommen. So richtig schlau wird man da aus dem Text nicht, den der Belgier Paul Demets gemeinsam mit dem Dramaturgen Jeroen Versteele für das Programmheft der Münchner Kammerspiele geschrieben hat. Es gibt da diese Putzigkeiten, die vielleicht von der ungenauen Übersetzung, vielleicht von den Eigenheiten der Ursprungssprache her rühren. Und dann gibt es diesen Text: "O Death" heißt er, ist inzwischen gut acht Jahre alt und damals nicht auf die Bühne gelangt, weil Decorte in einer sehr finsteren Phase seines bunten Theater-, TV-Moderatoren und Politikerlebens einen psychischen Zusammenbruch hatte.

Falsche Grammatik, tapsige Tonart

Gestern wurde er in der Spielhalle der Kammerspiele von acht Schauspielern gesprochen, darunter auch Decorte selbst (am Stehpult lesend oder sich in Trance zu den Worten der anderen wiegend) und seine Frau Sigrid Vinks, einem zarten alten Mädchen, dessen Augen und Mund andauernd in Bewegung sind. Die wagemutig zerschredderten oder zu neuen Gebilden zusammengesetzten Worte, die bewusst falsche Grammatik und tapsige Tonart der Texte, die Vinks selbst ins Deutsche übersetzt hat, scheint sie innerlich stets mitzudenken, halb ekstatisch, halb besorgt. Auch wenn sie gerade gar nicht an der Reihe ist mit Sprechen.

o-death-5 560 danny willems xv.l.n.r.: Benny Claessens, Walter Hess, Oliver Mallison, Sylvana Krappatsch  © Danny Willems

Vinks ist Decortes Muse und die stille Dirigentin des Abends, den ihr Mann sich wie so viele andere einfach aus dem Ärmel geschüttelt hat. Bei Decorte, der von sich sagt, dass er nie denke und jede Anstrengung fliehe, geht Theater nämlich so: Er liest eher flüchtig einen großen Text, in diesem Fall alle drei Teile von Aischylos' "Orestie", schläft ein paar Nächte darüber, transferiert dann das, was er davon noch erinnert, binnen weniger Stunden in eine Partitur für Kinderstimmen, die sich am Herumdrehen eines Messers in der Wunde ergötzen, am Klytämnestras Fotze und an der Beschaffenheit der Kotze nach der unfreiwilligen Verspeisung eines allerliebsten Knäbelchens.

Mit feuchter Anbetung Telefonbuch vorlesen

Der von Niedlichkeitsformen wimmelnde Text wird an die Schauspieler gegeben, die dann tun können, was sie wollen. Vorausgesetzt, sie sprechen ihn buchstabengetreu. Das machen sie an den Kammerspielen, in fast uniformen Kostümen aus Haute-Couture-Stoffen und vor einer Wand aus echtem Blei, durch deren drei Gucklöcher (echtes?) Feuer lodert. Hübsch! Während Benny Claessens, der unter Decortes Regie schon mal ein nackter Dionysos war, mit feucht glänzenden Augen in Anbetung erstarrt scheint und Anna Maria Sturm, die wie Kristof van Boven nur rote Farbe am Leib trägt, es mit der Betonung der ans Folgewort gehefteten Endungen ein wenig übertreibt, fragt Silvana Krappatsch trocken schnippisch um einen Platz zum "Schlaffen" an und Oliver Mallison spielt mit großer Bodenständigkeit so, als habe er eine grundsolide Theaterrolle auszufüllen.

Dagegen Walter Hess: Lange, allzu lange hat er scheint's auf diesen Anlass zur Albernheit warten müssen. Wie er die Flaute vor Troja in die Luft wedelt und später das "Ewige Gerede" der Götter anprangert, da scheint er ganz in seinem Element.
In einer der schönsten Szenen des Abends spielt der begnadete Stef Kamil Carlens (Deus, Zita Swoon) eine minimalistische Zartheit auf dem Fingerklavier, während van Boven seinen rotgefärbten Körper langsam von der statuesken Erstarrung in einen Menschen rückverwandelt. Ebenso gut wie von der allmählichen Emanzipation vom gottgegebenen Schicksal zu erzählen könnte er dabei aber wohl auch das sprichwörtliche Telefonbuch vorlesen.

Rauschendes Rollentollen in den Tod

Die Sehnsuchts- und Liebeslieder, die der belgische Musiker dem mörderischen Geschehen beigesellt, bringen etwas wie Lagerfeueratmosphäre in den seltsam feierlichen Abend, der auf der einen Seite Schauspielerzungen zu absurdem Gehorsam gegenüber zuweilen fast debil wirkenden Texten zwingt, in einigen Momenten aber auch zeigt, welche Energien es bei den Schauspielern freisetzen kann, wenn sich der Regisseur selbst gnadenlos zum Affen macht. Wie ein alter Indianer im Feuerwassertaumel fuhrwerkt der gnomig aussehende Mann mit den langen weißen Haaren vor seinem Pult herum. Als "der Prächtige" liest er vor allem die Textebene "O Death", eine sprachlich komplett aus den Fugen geratene Liebeserklärung an den Tod :
"O death...., dichliebe ich ahmeinetote maschine meineklamm komfor tliches arschlein schön". Puh!

Der Abend ist ein Rauschen von Blut in den Ohren, er mag, so Decorte, das Chaos feiern, "das Rollentollen in den Tod." Aber eine Version der Orestie ist er nicht. Allenfalls ist er das, was von ihr spontan zusammenkäme, wenn man mit anderen am Lagerfeuer säße: Ein wenig trojanischer Krieg, die Opferung Iphigenies, Orests Muttermord und die (besänftigten) Erinyen. Der Rest ist ein kehliger Wortbrei voller "falscher" Endungen und Vokale. Mit nicht mehr Tiefe als ein beim Ausgehen des Feuers schon halb geleertes Bierglas.

 

O Death (UA)
von Jan Decorte
Regie: Jan Decorte, Bühne: Johan Daenen, Kostüme: Sofie D´Hoore, Musik: Stef Kamil Carlens, Licht: Luc Schaltin, Dramaturgie: Jeroen Versteele.
Mit: Stef Kamil Carlens, Benny Claessens, Jan Decorte, Walter Hess, Sylvana Krappatsch, Oliver Mallison, Anna Maria Sturm, Kristof Van Boven, Sigrid Vinks.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.muenchner-kammerspiele.de

 

Kritikenrundschau

Decorte sei, so Beate Kayser auf merkur-online.de (17.5.2013), "heute eine Seltenheit, ein Mann des Wortes". Er habe sich "eine Art Kindersprache für seine Fassung der „Orestie" ausgedacht", in der oft ein Buchstabe fehle, viele Diminutive vorkämen und man sich den Wortfluss im Kopf selber zusammenfügen müsse. Das klinge "schräg", aber die Sprecher seien "exzellent". Zwischen den schaurigen Episoden spiele Stef Kamil Carlens "fremdschöne Lieder". Jan Decorte wirke mit seinen langen weißen Haaren wie ein Zauberer am Stehpult. "Abrupt" trete er am Schluss seines Stücks ein "orgiastisches Freudenfest los". Alle Schauspieler "schreien und toben durcheinander. Freude? Es hat genau so viel von Gewalt."

Egberth Tholl schreibt in der Süddeutschen Zeitung (18.5.2013): Der Fluch der Atriden währe immer noch, jetzt habe er die Münchner Kammerspiele heimgesucht, "in Form des holländischen Theatergespenstes Jan Decorte". Bei Jan Decortes "dünnem Textwurm"handele es sich um ein Stammeln, Lallen, ein unbewusstes Kramen in einem Haufen Erinnerungen". Ein "kollektives Herumtapsen" in einer Geschichte, die jeder irgendwie kenne. Die sieben Schauspieler stünden "halbnackt bis nackt vor einer Blechwand", erzählten sich gegenseitig die Geschichten, lauschten aufeinander, fielen sich ins Wort. "Bizarr, bescheuert, durchgedreht, mit drolligen Ausdrucktänzen und einem Tohuwabohu am Ende, archaisch raunend."

 

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