Wir betreten den Vesuv

von Thomas Köck

Berlin, 16.05.2013. "Nous penetrons le Vésuve – Wir betreten den Vesuv" übersetzt Euroine die dritte Zeile der Europahymne. "Wir betreten feuertrunken" heißt es eigentlich bei Schiller im deutschen Original. Europa, ein Vulkan? In "Fragen fragen - La Vache et le commissaire", einer deutsch-französischen Koproduktion vom Badischen Staatstheater Karlsruhe und dem Theater Straßbourg, wird die europäische Identität vor allem über ihre sprachlichen Verständigungsprobleme durchgespielt.

Werbung für Europa

Man nimmt in einer Schulklasse Platz und kurz darauf treten zwei EU-Beauftragte mit den klingenden Namen Euroine (Régine Westenhoeffer) und Market (Natanaël Lienhard) in die Klasse, um Reklame für Europa zu machen. Aber wessen Europa eigentlich? Warum kommt die Europahymne eigentlich von einem Deutschen? Warum gibt es nicht eine europäische Geschichte? Wohin mit all diesen unzähligen Identitäten, Mythen und Geschichten? Ist Europa letztlich nicht doch nur ein Produkt von Banken und der Wirtschaft?

fragen fragen 560 felix gruenschlossMit oder ohne Pferdefleisch? Fragen über Fragen zu Europa...  © Felix Grünschloss

Was als Reklame startet, wird mehr und mehr zu einer öffentlichen Sitzung über die Produkt- und Imagepolitik von Europa. Eigentlich wurde das Stück für Schulklassen entwickelt. Das merkt man der Inszenierung auch an, die immer den direkten Kontakt sucht - bis hin zum Publikumsjoker im Europa-Quiz. Die Darsteller bewegen sich sympathisch zwischen Slapstick und Fernsehmoderatoren - und natürlich immer europäisch, also mehrsprachig: Französisch und Deutsch wird gleichberechtigt auf der Bühne gesprochen. Übertitel fehlen dabei, was dem Stück zugute kommt, da man an den Schauspielern bleiben kann und die Inhalte sowieso relativ bekannt und nachvollziehbar sind.

Die aus der letzten Reihe

Zwischen Geschichtsunterricht, historischer Farce und Unterhaltung schafft es die Inszenierung, streckenweise interessante Gedanken zu spannen. Allerdings wirkt sie lehrstückhaft und pädagogisch und kratzt dabei allzu oft nur an der Oberfläche. Zu rasch springen die Darsteller da von Szene zu Szene, von Thema zu Thema, vom Privaten ins Politische. So bleibt keine Zeit, mal zu entscheiden, auf welcher Seite man eigentlich steht und bewegt sich von einem feuilletonistischem Gemeinplatz zum nächsten, ohne eine Lösung zu finden. Es wirkt, als hätte man dem gemeinsamen Nachdenken nicht wirklich vertraut, sondern sich stattdessen in Übertheatralisierung gerettet.

Durch die extreme Geschwindigkeit blockiert sich das Stück hauptsächlich selbst. Als Natanaël Lienhard versuchte, zwei Jugendliche aus der letzten Reihe zu Europa zu befragen, verkrochen die sich unter ihren Pullovern verkrochen und sehnten sich wohl – wie viele ihrer Sitznachbarn – wegen der thematischen Überforderung schon das Ende herbei. Pädagogisch korrekt wird zum Schluss eine Moral gezogen, die die Individuen hinter Europa nur wieder verschleiert und die relativ platte Poesie neoliberaler Geschichtenerzähler bedient: "Europa sucht sich noch. Es trödelt ein bisschen." Danke. Verstanden. Setzen.

 

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