Am Ballermann der Verfremdungskunst

1. Juni 2013. Auf Welt-online nimmt Reinhard Wengierek die jüngste Berliner Arbeit von René Pollesch zum Anlaß für ein paar grundsätzlichere Überlegungen. Denn die Veranstaltung mit dem schwammigen Titel Der General ist aus Wengiereks Sicht symptomatisch für den Niedergang des Pollesch-Theaters.

Vor etwas mehr als zehn Jahren seien Polleschs "aberwitzig zerschnippelten Aufbereitungen schwer lesbarer philosophisch-soziologischer Theorie-Texte angesagter gesellschaftskritischer Denker" als verrücktes Entertainment Kult geworden. Denn Pollesch und seine Premiumakteure hätten ebenso frechen wie intelligenten und vor allem "bewundernswert theatralischen Hochleistungssport" gemacht: "Ein Ballermann verblüffender Verfremdungskunst" – (vor dieser hinreißenden Formulierung möchte man vergnügt vor Meister Wengierek niederknien!). Mittlerweile habe der begeisterte Antikapitalist dieses Format "inflationär allüberall und in vornehmlich größten Häusern vervielfacht und, nebenbei bemerkt, zu allerhand Geld gemacht hat." So sei Polleschs Diskurstheater "verkommen zum ausgeleierten, zunehmend kryptischer werdenden Redeschwall-Betrieb".

Als jüngstes Beispiel für diesen Verfall sei eben "Der General" an der Volksbühne zu betrachten. Da werde "unentwegt monologisch gebrabbelt, denn den beiden kampferprobten Volksbühnen-Aktricen Silvia Rieger und Lilith Stangenberg mangelt es an Sprechtechnik. Womöglich aber soll gerade dieses Defizit als bewusst eingesetztes Spielmittel gelten; fragt sich, warum." Was für Wengierek "allein übrig blieb vom Entertainment der frühen Pollesch-Jahre, war schließlich die Popmusik als schriller Weckruf für so manchen Kritiker-Kollegen aus dem Minutenschlaf. Zum Finale rieselt vom Bühnenhimmel reichlich Schnee aus Silberpapierschnitzeln. Tinnef – wie der ganze Abend."

(sle)

Kommentare  
Presseschau Pollesch: immergleicher Kram
Endlich hats mal jemand ausgesprochen. Pollesch verarscht die Häuser mit seinem immergleichen Kram und tut so, als wäre das diskursives-prozessuales was-auch-immer. Das Schlimme ist nur, dass die Häuser (...) den Raum, das Geld, die Kapazität geben. Volle Zustimmung!
Presseschau Pollesch: missverstanden
Kann man jemand ernst nehmen, der Pollesch einen "begeisterten Antikapitalist" nennt? Hat der den Theatermacher nicht von Beginn an offenbar missverstanden? Und warum soll ich seiner Diagnose dann jetzt glauben?
Presseschau Pollesch: unangenehm und ungenau
Was für eine unangenehme (niederknien vor dem Meister) Zusammenfassung einer ungenauen Kritik.
Presseschau Pollesch: Oberfläche der Realität
@ Besucher: Ich würde nicht sagen, dass Pollesch ein "begeisterter Antikapitalist" ist. Im Gegenteil, der sagt zumindest, dass er weiss, dass auch er selbst als Regisseur ganz schnell zum Sklavenhalter werden kann, auch wenn er scheinbar antikapitalistische Inhalte verhandelt. Der weiss, dass es hinter der Oberfläche der Realität entweder eine diffuse Blase von Humanität oder den Polizeistaat gibt. Tja. Die Sache ist ja die, dass wir so oder so dran glauben müssen. Einerseits gibt es die materielle Realität des Marktes, in welcher der Mensch dem anderen Menschen ein Wolf ist und/oder nur seinen eigenen Interessen folgt und angeblich genau dadurch dem Gemeinwohl dient. Und andererseits gibt es die spirituelle Substanz, welche diese mechanische Interaktion zwischen Individuen idealistisch unterstützt. Komisch, dass Kapitalisten immer nur über so abstrakte Dinge wie Moral und Liebe reden wollen. Wohingegen Skeptiker über Geld bzw. das Politische und Ökonomische reden.
Presseschau Pollesch: unseriöse Profilierung
niedergang des pollesch-theaters? und was bleibt dann noch übrig? derselbe pollesch hat mit "kill your darlings" gerade erst das überwältigendste und großartigste theaterstück der letzten jahre gemacht, einen meilenstein. solche kritiker sind unseriös, die sich versuchen wichtig zu machen, indem sie pathetisch den "niedergang" eines künstlers herbeiphantasieren. das sind reine profilierungstexte.
Presseschau Pollesch: Verriss aus Liebe
Gerade erst? Das ist zwei Spielzeiten her, lieber sale! Und Leute, man muß auch nicht jede Kritik am Künstler gleich als Majestätsbeleidigung auffassen, finde ich. Auch Polemik muss doch erlaubt sein, ohne daß die Zeloten gleich aus den Ecken kriechen und "Verrat!" zetern. Außerdem: schon mal was vom Veriss aus Liebe gehört? Man will ja mehr gekillte Darlinge. Besser gearbeitete Stücke, (dafür gerne ein paar weniger vielleicht), nicht diese Schnellschüsse aus der Pollesch-Factory, wo es manchmal einen einzigen Satz gibt, der sich lohnt, und der dann wie ein Kaugummi über einen Abend zerdehnt wird. Und ihn trotzdem nicht füllt. Oder eine geniale Überschrift, die dann aber über einem dazu oft unverhältnismäßig leeren Abend prangt. Der Mann Pollesch, er kann es ja. Aber er macht es zu selten.
Presseschau Pollesch: Wie wenig Kritiker verstehen
eben. gerade erst. aber der betrieb verlangt ja andauernd neue produktionen. wenn dazwischen immer mal wieder zwischenstände dabei herauskommen, die sich alle paar jahre zu großartigkeiten verdichten, liegt das in der natur der sache, und bedeutet keinesfalls den "untergang" eines theaterkonzeptes. diesen herbeizureden, hat nichts mit kritik zu tun. das ist eher ein beweiß dafür, wie wenig manche kritiker von den prozessen verstehen, die die theaterarbeit ausmachen.
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