Prügelt sich auf dem Rang eine Dame mit einem Herrn

14. Juni 2013. Zwei Artikel in zwei verschiedenen Publikationen beschäftigten sich in der abgelaufenen Woche mit den Wiener Festwochen. Für das österreichische Nachrichtenmagazin Profil (10.6.2013) hat Karin Cerny ein langes Gespräch mit der in Wien stark angefeindeten, scheidenden Schauspieldirektorin der Festwochen Stefanie Carp geführt. In der taz (14.6.2013) winkt Uwe Mattheiß dem ebenfalls scheidenden Festwochen-Intendanten Luc Bondy ein BaBa hinterher.

Nach 16 Jahren bei den Wiener Festwochen wechselt Luc Bondy endgültig ans Théâtre de l'Odéon nach Paris. Uwe Mattheiß traf den Regisseur im Cafe Prückl an der Wiener Ringstraße und rekonstruiert in der taz, die Bedeutung der Intendanz Luc Bondys für die Entwicklung der Wiener Festwochen.

Segensreicher Ort

"Die Wiener Festwochen verbinden eine wohlbemessene öffentliche Finanzierung mit dem fast gänzlichen Fehlen von kostenintensiver Infrastruktur: kein Stammhaus, keine Abonnementsysteme, die mit Programm bedient werden müssen, keine Werkstätten", schreibt Mattheiß. Während "andernorts" öffentliche Förderungen stagnierten und die Budgets von den Fixkosten aufgezehrt würden, verschaffe ihre "schlanke Kostenstruktur" den Festwochen die Mittel, "ihre künstlerischen Interessen in der internationalen Theaterzusammenarbeit überzeugend zu vertreten". Bondy habe das Festival im Gegensatz zum Musik-Festival Salzburger Festspiele und in bewusster Konkurrenz mit Avignon auf Schauspiel fokussiert, den sich erweiternden Spielformen der Gattung einen Ort gegeben,wo er "Ensemblekonstellationen zusammenführte und künstlerische Fantasien ermöglichte, die im Alltag des Repertoiretheaters so nicht mehr zu realisieren" seien.

Anreger und Ermöglicher

Bondy habe den Apparat nicht auf eine, seine Person ausgerichtet, sondern konkurrierende und antipodische Künstler wie Peter Zadek zugelassen. "Viele der schönsten Arbeiten des vergangenen Jahrzehnts von Marthaler und Castorf" seien so in Wien entstanden. Bondy sei lieber "Anreger und Ermöglicher" gewesen als "nassforscher Macher". Zu seinen Qualitäten gehöre, in der Kunst für Dinge einzutreten, die er "jenseits des eigenen Geschmacks" wichtig finde, wie etwa das Engagement von Christoph Schlingensief im Jahr der schwarz-blauen Regierungsbildung in Österreich. Damals habe sich auch Bondy zum "politisch streitbaren Intendanten" gewandelt.

Kritik am Führungsstil

Bondys Führungsstil habe MitstreiterInnen große "inhaltliche Autonomie" gelassen. Was aber in Wien die "Beckmesser" auf den Plan gerufen habe. "Man leiste sich einen Regisseur als Intendanten und die jeweilige Schauspieldirektorin mache dessen Arbeit." Bondys künstlerische Resultate würden in Wien "goutiert", sein "Führungsstil" nicht unbedingt".

Auf die Kritik, die in Wien an Luc Bondy und seinem Führungsstil laut geworden war, gibt Stefanie Carp im Profil eine ebenso entschiedene wie verärgerte Antwort. Es sei doch selbstverständlich, dass der Regisseur Bondy zu den Festwochen besonders seine Inszenierungen beisteuere, den Rest besorge eben, üblicherweise, die Programmdirektorin. Bondy sei "ja nicht als Kurator engagiert, sondern als Intendant". Er sei Intendant, weil er "ein berühmter Regisseur" ist, nicht weil er "ein berühmter Kurator ist". Er habe für die Festwochen inszeniert und sie "sozusagen präsidiert".

Frage und Antwort

Ob sich Bondy denn vorher Inszenierungen angesehen habe, die Carp einladen wollte, will Frau Cerny wissen. Die antwort: "Nein, aber warum auch? Hat übrigens auch niemand von ihm verlangt." - Aber wieso man den Bondy dann überhaupt als Intendanten hätte haben wollen? - Carp: "Woher soll ich das wissen? Vermutlich hat man ihn gefragt, weil er ein international sehr anerkannter Künstler und charmanter Mensch ist. Es gibt viele Festivals, die ähnlich funktionieren. Das ist nicht ungewöhnlich. Vielleicht war Bondy etwas zu lange da. Aber das ist nicht seine Schuld." - Hätte Bondy in Wien präsenter sein und während des Festivals mehr Vorstellungen besuchen sollen? - Carp: "Ich finde solche Repräsentationsfragen völlig unerheblich."

Gebrochene Wiener Verprechungen

Als Programmdirektorin habe sie versucht, trotz den konservativen Ansprüchen, die Festwochen eine "moderne, internationaler und fordernder " zu machen, oft habe es deshalb Streit gegeben, aber zum großen Teil sei es ihr gelungen. Es wäre natürlich "schöner gewesen", wenn alle, inklusive Musikdirektor und Geschäftsführer, "produktiver zusammengearbeitet hätten".

Carp kritisiert, dass sie "angeworben" worden sei, mit der "Verlockung", in allen Dingen Gestaltungsmacht und –freiraum zu haben. Als sie dann nach Wien gekommen sei, hätte sie erlebt, dass Erneuerung nicht erwünscht gewesen sei. Und dann hätte sich die "Intrigenmaschine" mit voller Wucht in Gang gesetzt. "Meine eigenen Mitarbeiter wurden gegen mich in Stellung gebracht, Bondy in der Ferne aufgehetzt, Projekte zu verhindern versucht. Das ganze Programm." Bis heute habe sie nicht verstanden, warum "dieselben Leute, die mich gerade überredet hatten, meinen Berufs- und Lebenszusammenhang in Berlin zu verlassen", kaum dass sie in Wien eingetroffen sei, ihr zu verstehen gegeben hätten, wie "äußerst unerwünscht" sie wäre. Trotzdem habe sie viele ihrer "Vorstellungen von einem erweiterten und sich zu anderen Kunst- und Diskurssparten öffnenden Schauspielprogramm" durchsetzen können.

Erfolg und Familiensilber

Carp empfindet die Wiener Kritik an ihrer Arbeit als undankbar: "Dabei hatten meine Programme gute Zuschauerzahlen und erstaunliche, manchmal natürlich auch polarisierende Resonanz. Auf jeden Fall hatten sie Aufmerksamkeit und Zustimmung." Trotzdem sei sie behandelt worden, als habe sie das "Familiensilber" entwendet.

Es wäre ganz einfach für die Wiener Programmierung, so Carp, das Berliner Theatertreffen zu wiederholen. Ein großer Teil des Publikums, fixiert auf das deutsche Stadttheater, ließe sich so zufriedenstellen. Aber das sei nicht Aufgabe eines selbst produzierenden Festivals.

Castellucci und gelungene Insznierungen

Die Proteste gegen Romeo Castelluccis "Über das Konzept des Angesichts von Gottes Sohn" in Wien seien harmlos gewesen verglichen mit den Protesten zuvor in Paris. "Das Tolle" an den Arbeiten von Romeo Castellucci sei, dass er in den Menschen einen so "starken emotionalen Konflikt" erzeuge, dass er mit seinen Bildern und Situationen auf der Bühne so sehr errege. Bei "Purgatorio" im Theater an der Wien hätten während der Premiere eine Dame und ein Herr begonnen sich auf dem Rang zu prügeln. Das würden nicht viele Regisseure schaffen.

Eine Inszenierung sei geglückt, wenn sie die Gefühle und Reflexionen überfordere. Wenn sie Sehnsucht wecke nach einem anderen Zustand des Lebens oder der Wirklichkeit. Wenn sie starke Gefühle auslöse, anarchisch sei und befreiend und insofern irgendwie erlösend.

Luc Bondy antwortet

Eine Woche nach dem Gespräch mit Stefanie Carp im Profil reagiert Luc Bondy. Er gibt der Wiener Tageszeitung Der Standard seinerseits ein Interview (18.6.2013): Darin wirft er der Wiener Kritik vor, ihn schlecht behandelt zu haben. "Ihre Zeitung [Der Standard] hat mich als Regisseur oft stiefmütterlich behandelt, [das Nachrichtenmagazin] Profil die ganze Zeit bösartig." Nein, mehr Antisemitismus als anderswo gebe es in Wien nicht, sagt Bondy, auch wenn es in der Tageszeitung Die Presse "Bemerkungen" gegeben habe. Dafür gebe es warme Zustimmung des Wiener Publikums.

Im Profil (10.6.2013) hatte Stefanie Carp sehr distanziert von seiner Intendantentätigkeit gesprochen. Darauf Bondy: Er sei überrascht gewesen, dass sich Stefanie Carp von der immer voreingenommenen Journalistin des Profils habe "instrumentalisieren" lassen. "Vielleicht fehlt der brillanten Schauspieldirektorin der Wiener Festwochen im Unterschied zu ihrer eleganten Vorgängerin Marie Zimmermann das, was man Wirklichkeitssinn nennt."

Anreger

Die Wiener Festwochen befänden sich finanziell in einer "ganz besonderen und luxuriösen Lage. Zum Programm-Machen geht es gar nicht besser". Er glaube nicht, "dass Stefanie Carp sich hier in einer gezwungenen und schlechten Lage befand". Er habe als Intendant "vieles angeregt". Für eine "spezielle Form von Cross-Over-Theater" habe er Stefanie Carp als Schauspieldirektorin engagiert. Er habe mit Veronica Kaup-Hasler Schlingensief gemacht, er habe mit Marie Zimmermann Peter Zadek, Simon McBurney gemacht. Ariane Mnouchkine, Robert Lepage und Peter Sellars seien vor seiner zeit für die Festwochen entdeckt worden. "Frau Carp konnte wunderbar in dieser Kontinuität arbeiten." Im Unterschied zu einigen anderen sei er überzeugt, dass die Durchschlagskraft der Wiener Festwochen in der "Vielfalt der Stile" liege.

(jnm)

Kommentare  
Presseschau Wiener Festwochenbilanz: Intrigenmaschine
Das ist ja erfrischend ehrlich von Frau Carp. So unverblümt wird doch selten aus dem Nähkästchen geplaudert. Vielen Dank für die Einblicke in die "Intrigenmaschine".
Presse Wiener festwochen: falsch zusammengefasst
"mit der in Wien stark angefeindeten, scheidenden Schauspieldirektorin der Festwochen Stefanie Carp" - also das finde ich völlig missverständlich und so auch falsch aus dem Interview zusammengekürzt. Ein Großteil der theaterinteressierten Zuschauerschaft hat das Programm interessiert bis begeistert und manchmal auch verständnislos wahrgenommen. Davon zeigen doch auch die Besucherzahlen, die meist sehr, sehr gut waren. Carp spricht doch eher von der politischen Ebene, von den Entscheidungsträgern und den Intrigen innerhalb des Festivals. Das muss man schon unterscheiden ...
Presse Wiener Festwochen: wir brauchen Sie!
ich teile sehr ihre meinung und frage mich schon länger, warum so eine streitbare kluge person nicht schon längst ein intendanz bekommen hat.im vergleich zu dem ganzen angepassten bequemen, immer gleichen mainstream, wäre es ein glück für das theater in deutschland.ein wunsch und eine bitte an frau carp:bitte geben sie nicht auf!!!wir brauchen sie, damit die brave berechnende konsenzscheiße eine mutige farbe hinzugewinnt.
Presse Wiener Festwochen: Carp war Direktorin in Zürich
frau carp durfte sich bereits an marthalers seite als co-direktorin am schauspielhaus zürich versuchen.
leider war sie da nicht immer im bilde , wer noch mal an ihrem haus engagiert ist.
trotzdem wünsche auch ich ihr kraft , sich von dem wiener stadel nicht entmutigen zu lassen
Presse Wiener Festwochen: kein leichtes Leben in Wien
Persönlich fand ich, dass die Vorgängerin (Marie Zimmermann) das interessantere Programm angeboten hat. Und wahrscheinlich auch das größere oder sensiblere Opfer der „österreichischen Kulturintrigen“ war. Aber wohl unbestritten bleibt, dass Kunstschaffende, die nicht unbedingt zur „Bussi-Bussi“- Gesellschaft von Wien, Niederösterreich oder Salzburg gehören oder sich wenigstens durch Charity-Tätigkeit absichern, kein allzu angenehmes Leben in unseren österreichischen Kulturkreisen führen.
Presse Wiener Festwochen: Luc Bondy spricht selbst
Luc Bondy zum obigen Thema im STANDARD.
http://derstandard.at/1371169780640/Ich-hatte-immer-wieder-Eifersuchtsanfaelle
Auch zusammengfasst in der Presseschau.
Presseschau Wiener Festwochen: gut gefahren mit Bondy
Oh schön, Bussi, Bussi und sogar einen Orden zum Abschied im Café Prückel. Da ist er doch standesgemäß wienerisch verabschiedet worden, der Luc Bondy. Und er ist noch nicht mal richtig weg, schon zerreißn sichs Maul über ihn, die Leit. Das ist typisch Wien. „Wiener Kritik halt: voreingenommen“ sagt da Bondy auch treffend. Aber das der „Tartuffe“ in Deutschland besser besprochen worden sein soll, ist auch so eine nette Voreingenommenheit von ihm. Vielleicht einzig Stadelmaier in der FAZ. Der hat Bondy immer gemocht.
Das es nach wie vor Vorurteile in Österreich gegenüber Juden in höheren Positionen gibt, ist aber nicht ganz von der Hand zu weisen. Claus Peymann hat das auch erst jüngst im Podiumsgespräch mit Marina Weisband in der Böll-Stiftung versucht herunterzuspielen, und seine Wiener verteidigt. Aber vielleicht war das nur ironisch gemeint, wer weiß. Mir ist es jedenfalls aufgefallen.
Man ist doch all die Jahre in Wien wirklich gut gefahren mit dem großen „Frühstücksdirektor“ Bondy. Er hat doch genau das gezeigt, was man da sehen wollte. Man mag halt nicht, wenn man zurückkritisiert wird. Da sind sie a bisserl empfindlich in Wien. Ich bin gespannt, wie man erst reden wird, wenn Frie Leysen Ende des Jahres ihr Schauspielprogramm vorstellen wird. Im Rückblick werden sie Bondy dann schon lieben und sich nach ihm zurücksehnen. Das war bei Claus Peymann genauso. Aber auch das ist typisch wienerisch. Man mag das Neue nicht, bis es die richtige Wiener Patina angenommen hat, und dann lässt man es nicht mehr los und es lässt einen nicht mehr los. Vielleicht ganz gut, dass Bondy sich nochmal für einen Neuanfang in Paris entschieden hat.
Presseschau Wiener Festwochen: Leysen = Carp, zugespitzt
Genau deshalb freue ich mich - sogar als echter Wiener! - auf das Programm von Frie Leysen, die den von Stefanie Carp eingeschlagenen Weg sicherlich (und hoffentlich) noch zuspitzen wird.
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