MacGyvers Patenkinder

von Bernd Mand

Mannheim, 24. Juni 2013. Also gut, dass Schiller die Menschen schon allein um ihrer selbst willen gerne hat spielen sehen, muss wirklich nicht noch einmal erwähnt werden. Der Homo Ludens, der den Weg durch die Schönheit zur Freiheit findet, gehört zum apfeltrunkenen Zopfträger wie die Gasse zum Tell und die Limonade zum Schatz. Daher soll an dieser Stelle der kurze Querverweis zum 27-teiligen Brieflehrgang "Über die ästhetische Erziehung des Menschen" genügen – wir fangen einfach gleich an zu spielen. Und wo könnte man das besser als in einem dunklen Kellergeschoss im Hafenviertel, fern ab von elterlicher Fürsorge und rundgelobten Hochglanzprospekten vor saturiertem Publikum in plüschigen Theatersesseln.

Schnitzeljagd im Keller

Das Künstler- und Spielerkollektiv machina eX, das sich darauf spezialisiert hat, Point&Click-Adventures in interaktives Theater zu übersetzen, war bereits bei der letzten Ausgabe der Schillertage im Rahmen von "X Wohnungen" in Mannheim zu Gast. Diesmal hat es seinen unterirdischen Rätselparcours in Zusammenarbeit mit dem Künstlerhaus zeitraumexit aufgebaut: ein mehrräumiges Spielfeld, das den Besucher – also in diesem Fall ja auch Spieler – ohne große Vorworte in ein Schnitzeljagdabenteuer mit maßgeblichem Selbstbeteiligungsanteil schickt.

blindvariation 560 christiankleiner hMit machina eX auf Schnitzeljagd im Keller – die Zuschauer dürfen in "Blind Variation #3" mitspielen und sich dabei ein bisschen so fühlen wie die Patenkinder MacGyvers. © Christian KleinerAuf den ersten Blick ist die Geschichte simpel, der eigene Spielanteil hoch in diesem theatralen Computerspiel, das sich überraschend analog darstellt und seine Technik ausgeschlafen in der Illusion verpackt. Mit der Fotografin Maxi, die für ihren Unterhalt Taxi fährt, und dem selbsternannten Karma-Fachmann René folgt man den ausgelegten Spuren. Diese führen sie tief in ihre Vergangenheit und zum Dritten im Bunde, dem viel zu schnell alternden Zero, der ihnen und den Mitspielern eröffnet, das alle Drei Schöpfungen aus dem Genlabor und dabei noch künstlich gezüchtete Kopien von menschlichen Vorbildern sind. Eine Wahrheit, die bitter schmeckt und am Ende die große Fortschrittsfrage stellt.

Bis dahin hat man als eifriger Mitspieler einen Stromkreislauf gebastelt, agentenmäßig einen Mikrofilm entziffert, nach Schlüsseln und Gummistiefeln im Wasser gefischt und in bester Gameshow-Tradition das herzrüttelnde Geräusch gehört, das einem den Jackpot verheißt (jedenfalls dann, wenn man das große Preisrätsel am Ende auch gelöst hat). Und man fühlt sich beinahe selbst schon wie das Patenkind von MacGyver.

"Eine ist sie für alle, doch siehet sie jeder verschieden"

Doch das ist nur die eine Hälfte der Medaille, wie einem klar wird, nachdem man wieder ans Tageslicht gestiegen ist. Ausgehend von Schillers Ballade "Das verschleierte Bild von Sais" haben die jungen Theater- und Medienfüchse ein Spiel gebaut, das sich mit seiner Form nicht nur dem großen Thema des Schillerfestivals ("Die kritische Masse") in einem lauten Ruf nach Selbstbeteiligung und Selbstermächtigung begegnet, sondern auch den romantischen Diskurs über das Wesen der Wahrheit wieder aufnimmt. Schillers Epigramm "Eine ist sie für alle, doch siehet sie jeder verschieden; Daß es eines doch bleibt, macht das Verschiedene wahr" kann dabei als Motor des Abends gesehen werden, der bei allem Spiel das Fragen nicht vergisst. Und sich das Antworten nicht zu leicht macht.

Denn auch Novalis steht mit seinem Wahrheitsbegriff Wache (in "Hyazinth und Rosenblüthe" als Reaktion auf Schillers allgemeingültigen Ansatz beschrieben) und flüstert einem beharrlich ein, dass die geteilte Wirklichkeit durchaus etwas anderes beschreibt als die Wahrhaftigkeit des eigenen Empfindens. Aber bevor wir weiter abdriften, zu Locke, Kant und Habermas kommen oder am Ende noch die Geschichte von den blinden Männern und dem Elefanten erzählen, sagen wir lieber gleich, dass hier schlichtweg ein wirklich feiner Theaterabend gebaut worden ist, der sich mit tradierten Schubladenetiketten wie Klassizismus, Romantik oder Sturm und Drang bei seiner Schiller-Rezeption nicht abfindet. Und den Blick auf das Wesentliche lenkt: den Menschen selbst.

 

Blind Variation #3
von machina eX und zeitraumexit
Regie und Idee: Anna Fries, Yves Regenass, Laura Schäfer, Philip Steimel, Text: Olivia Wenzel, Sound: Malu Peeters, Bühne: Marie Luise Schlegelmilch.
Mit: Janina Schröder, Florian Stamm, Dominik Weber.

www.schillertage.de
www.machinaex.de
www.zeitraumexit.de

 

Kritikenrundschau

"Man sucht nach Schlüsseln im Wasser, man öffnet Kisten, man tastet mittels Schwarzlicht nach geheimen Zeichen an der Wand. Es dauert, es wird mühsam, aber dann klappt es: Es öffnet sich eine weitere Türe. So, und darauf kommt es an", schreibt Franz Schneider in der Rhein-Neckar-Zeitung (27.6.2013). Denn genau das sei "Point'n'Click", eine Art interaktives Theater, dessen Fortgangstempo in komplexeren Stücken auch der Zuschauer mitbestimmen kann, ja muss. Und "eine kleine Bewegung kann bisweilen reichen. So muss beispielsweise im Nebenzimmer eine elektrische Schaltung nach indischem Muster zusammengefügt werden." Man solle ein Problem nicht möglichst schnell lösen, sondern versuchen, gemeinsam ungewohnte Aufgaben zu bewältigen, das sei die Botschaft von Machina Ex.

 

Kommentare  
Blind Variation #3, Mannheim: Korrektur
Sound: Malu Peeters ;-)

(Danke, ist korrigiert!
MFG, Georg Kasch / Redaktion)
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