Yo no soy bonita – Angélica Liddells feministische Performance beim Festival Foreign Affairs in Berlin
Blut aufs Brot
von Esther Slevogt
Berlin, 27. Juni 2013. Die Szenerie mutet ländlich-archaisch an, ein Hauch von Bernarda Albas Haus vielleicht sogar: links ein altes Bettgestell aus Holz, der dazugehörige Nachttisch steht ein Stück entfernt. Irgendwann wird auf einem Video eine Frau zu sehen sein, die das Kopfteil dieses Bettgestells wie einen Pflug über einen kargen Acker zieht. Dann befindet sich auf der Bühne noch ein Stuhl und ein kleiner Erdhügel, auf dem ein toter Hase liegt und dem Setting eine Prise Beuys hinzufügt. In der Ecke gegenüber steht hinter aufgeschichteten Heuquadern ein weißes Pferd und verströmt wohligen Stallgeruch.
Mit 46 ist eine Frau nur noch Müll
Doch wohlig wird dieser Abend nicht werden, und das weiße Pferd später zum Symbol für Unschuld und ihrer gleichzeitigen Verkehrung in sexuelle Obsession. Hinter einem Matratzenturm tritt in Ballerinas und einem schweren schwarzen Mantel bald eine zierliche Frau mit langem schwarzen Haar hervor, und leert erst mal gierig eine Flasche Bier, bevor sie die Flasche zerschlägt und die Scherben über eine bombastische Geburtstagstorte streut und damit ungenießbar macht.
"Ich bin jetzt 46", sagt sie. "Und mit 46 ist eine Frau nur noch Müll." Das ist ein ambivalenter Satz im Kontext dieses gut einstündigen Soloabends, den die spanische Regisseurin und Performancekünstlerin Angélica Liddell "Yo no soy bonita (Ich bin nicht schön)" überschrieben hat und dessen deutsche Erstaufführung nun als Spätvorstellung am Eröffnungsabend des Festivals Foreign Affairs auf der Hinterbühne des Hauses der Berliner Festspiele zu sehen war: ein Abend, der von der Frau als Objekt sexueller Gier (und Gewalt) von Männern handelt, geboren nur, um ge- beziehungsweise missbraucht zu werden. Und gelegentlich nach Gebrauch auch auf den Müll geworfen zu werden. Einmal im Laufe des Abends wird es eine Aufzählung von missbrauchten und ermordeten Mädchen geben. "Ich habe noch nie einen Mann getroffen, der unschuldig ist", hört man an diesem Abend auch einmal.
"Ich will ein Scheiß-Mann sein"
So gesehen könnte das Altwerden für eine Frau auch das Herauswachsen aus der Zone bedeuten, in der sie zum Objekt männlicher Gier degradiert ist. Aber wo kein Selbstwert empfunden wird, kann wohl auch keine Befreiung gelingen: "Man hat mich gelehrt, mich dafür zu hassen eine Frau zu sein, statt meinen Körper selber zu besitzen. Ich will ein Scheiß-Mann sein", lässt also Angélica Liddell die Figur sagen, die sie verkörpert, und die sie mit der autobiografisch anmutenden Erzählung einer traumatischen sexuellen Missbrauchserfahrung als Neunjährige ebenso ausstattet wie mit ihrer Verfremdung in artifiziellen Videobildern. Sie zeigen eine gespenstische Frau irgendwo auf einem Feld zwischen Olivenbäumen (?), wo sie am Ende seltsam heulend und stöhnend mit entblößtem Unterkörper zwischen den Fragmenten eines Haushalts steht, den man jetzt auch auf der Bühne sieht.
Dort wird man Zeuge eines merkwürdig disparaten Abends, der mit einiger Hingabe das Bild der Frau als Opfer malt. Der sich zotig eigenen sexuellen Sehnsüchten ebenso widmet wie den immer ein wenig abfällig geschilderten männlichen Begierden. Die Frau, die sagt, dass sie nicht schön ist, weil schöne Mädchen leichter zu Missbrauchsopfern werden, beklagt gleichzeitig ihr Älterwerden, tanzt, singt mit rauchiger Stimme und schwerer ironischer Verzerrung französische Liebeslieder mit, die über Band eingespielt werden. Oder Opernarien. Mit Rasierklingen ritzt sie irgendwann ihre Knie auf, um dann das herabfließende Blut mit Brot vom Bein abzuwischen und zu verspeisen. Immer wieder leert sie Bierflaschen in sich aus. Windet sich, tanzt, schreit. Stößt Sätze voll grimmigen Pathos' aus.
Katholische Bilder im protestantisch geprägten, religionsskeptischen Berlin. Auch ein wenig überholt in den feministischen Positionen vielleicht, die hier höchst opferverliebt zelebriert werden. Ich leide, also bin ich? Dann denkt man an den furiosen Richard III.– Abend, mit dem Angélica Liddell vor zwei Jahren in Berlin für Aufsehen sorgte, und hinter dem dieser Abend merkwürdig blass bleibt.
Yo no soy bonita (Ich bin nicht schön) (DEA)
von Angélica Liddell
Regie und Performance: Angélica Liddell, Video: Vicente Rubio, Licht: Carlos Marquerie.
Eine Produktion von Atra Bilis Teatro / Iaquinandi S.L., in Koproduktion mit Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía (Madrid).
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause.
www.angelicaliddell.com
www.berlinerfestspiele.de
"Der Besuch bei Angélica Liddells 'Yo no soy bonita' ('Ich bin nicht schön') war dann der Absturz aus lichter Höhe in die düsteren Höllen der Selbstzerstörung", schreibt Michaela Schlagenwerth im Rahmen ihrer Sammelbesprechung des Eröffnungsabends von "Foreign Affairs" in der Berliner Zeitung (29.6.2013). "Einer Geschichte des Missbrauchs, ein wortgewaltiger Monolog mit Pferd, Bier & Blut. Eindrucksvoll, hart und radikal trostlos."
Der Furor, mit dem Liddell über die "Scheißmänner" schimpfe, sei anfangs noch witzig, schreibt Sandra Luzina im Tagesspiegel (29.6.2013). "Der Schimmel auf der Bühne ist Sinnbild für Schönheit und Reinheit – und phallisches Begehren. Stoisch erduldet das Pferd die szenischen Exzesse der schwarz verhüllten Performern." Wenn sie sich selbst die Knie aufritze und das Blut mit einem Stück Brot aufwische, wenn sie sich mit kochender Milch die Finger verbrenne, wirke sie wie eine Light-Version von Marina Abramovic. "Doch es ist beklemmend, wie sie mit quälenden Details vom Missbrauch neunjähriger Mädchen in einer Kaserne erzählt und sich dabei mit verführerischen Gesten dem Pferd nähert." Die Scham und das Schweigen zu überwinden, darum gehe es Liddell.
In der Süddeutschen Zeitung (1.7.2013) berichtet Eva-Elisabeth Fischer vom Auftakt zu Foreign Affairs, bezeichnet dabei Angélica Liddells "Yo non soy bonita" "gnadenlos exhibitionistisches Solo" und "flagellantische Dauererregung", erwähnt noch ein "wohlfeiles Beuys-Zitat" und wechselt dann das Thema. Aus der Kürze der Auseinandersetzung darf man wohl auf Fischers Missfallen schließen.
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"Er fand: Man muß nicht alles sehen, was man verstehen kann (aber alles verstehen, was man sehen kann - Freiheit den gefesselten Fähigkeiten)."
Durch die Differenzierung, dass ich mich nur auf Frau Slevogts Kritik in Verbidnung mit dem Garcia-Abend, den ich selbst gesehen habe, beziehe, dachte ich eigentlich, wäre die Einordnung hier legitim.
Wer Almodóvars Film "La mala educación – Schlechte Erziehung" gesehen hat, der erkennt auch dort sehr gut, auf welche Weise die katholische Kirche mit der Beschämung von Menschen Macht ausübt und daraus zugleich eine perverse Lust bezieht.