Presseschau vom 20. September 2013 – Das österreichische Magazin "Profil" interviewt Veronica Kaup-Hasler, Intendantin des Steirischen Herbst
Keiner Verwertbarkeit untertan
20. September 2013. Wir Festivalmacher waren "die Vorreiter des neoliberalen Arbeitsdenkens", sagt Veronica Kaup-Hasler, Intendantin des Grazer Festivals "streirischer herbst" im Interview mit Karin Cerny vom österreichischen Magazin "Profil" und plädiert für ein neues Arbeitsethos: "Wir können keine kritischen Inhalte auf der Bühne behandeln und zugleich den Künstlern Bedingungen zumuten, die zunehmend unseriös sind."
So gebe es beim steirischen herbst inzwischen klare Richtlinien zur Bezahlung von Künstlern: "Ich versuche in der Konsequenz weniger zu produzieren, um besser bezahlen zu können. Oder eben auch kleinere Arbeiten zu beauftragen. Wenn es eine Masse an Künstlern gibt, die alle schlecht bezahlt sind, stagniert die Szene." Fesivalkuratoren seien dazu da, den Künstlern im Rahmen ihrer Möglichkeiten die besten Arbeitsbedingungen zu bieten und damit "Räume zu schaffen, in denen zeitgenössische Kunst produziert werden kann" statt Strukturen auszubeuten und durch Überproduktion zu einer Dumping-Preiskultur beizutragen.
Die Behandlung soziale Fragen kann aus ihrer Sicht auch nur bedingt Aufgabe des Theaters sein, und vor allem nicht als kulturpolitischer Auftrag. So etwa sei es schwierig, "wenn die Politik versucht, soziale Probleme, die sie selbst nicht lösen kann, auf das Feld der Kunst zu verlagern". Die Politik habe in Österreich beispielsweise verabsäumt, positive und lustmachende Integrationsmodelle zu entwickeln. "Aber dann von der Kultur zu erwarten, sie müsse das kompensieren, halte ich für problematisch. Gute Kulturpolitik muss die Vielfalt im Auge haben und sich dafür starkmachen, dass Kunst, die in kein Raster passt, die nicht einer Verwertbarkeit unterliegt – sei sie ökonomisch oder eben sozial – auch in den Blick genommen und gefördert wird. Kunst, die per se widerständig ist, hat ohnehin immer weniger Chancen."
(sle)
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+++ Mark Brown, "Alle im Webberland. Macht die Kreativwirtschaft Kunst zur Ware auf dem Markt des Entertainment? Ein Aufruf zum Widerstand gegen den kommerziellen Imperativ anlässlich des Festivalsommers 2013", in: Theater der Zeit, September 2013, Heft Nr. 9.
+++ Jaques Rancière, "Ist Kunst widerständig?", 2008, Merve Verlag Berlin. Zitat daraus: "Nicht die Kunst ist politisch, sondern sie treibt mögliche Einsatzräume des Politischen hervor". Es geht nicht um Repräsentation, sondern darum, dass die Form, in welcher "wir" uns vergemeinschaften, beweglich und flüssig bleiben muss, sich nicht verfestigen darf. Bereits eine alternative Wahrnehmung und ein anderes Denken der angeblich "uns" allen gemeinsamen Realität können verändern. Tja. Schön wär's. Und dafür braucht's vor allem Vertrauen:
+++ Jean-Luc Nancy, "Die herausgeforderte Gemeinschaft", 2007, diaphanes. Zitat daraus: Das Vertrauen "legt bloß, was vom Gemeinsamen nicht gegeben ist, nichts ist, keine Sache ist, sondern das ist, was sich möglich macht, indem es sich vertraut - einem 'Selbst', das nicht gegeben ist. Ich lese noch einmal den Text von Blanchot: 'Die Fremdheit dessen, was nicht gemeinsam sein kann, ist das, was diese Gemeinschaft begründet, ewig provisorisch und immer schon im Stich gelassen.'" Soweit so gut. Hoffentlich kommt kein Wissenschaftler bzw. Idiot auf die Idee, dieses "im Stich lassen" wörtlich zu nehmen bzw. in die Tat umzusetzen - Funktion von Metaphern/Sprachbildern nicht verstanden?