Das beste Theater der Welt?

8. November 2013. Alexander Menden hat für die Süddeutsche Zeitung (8.11.2013) das "Secret Theatre"-Projekt am Londoner Lyric Hammersmith besucht und porträtiert, das derzeit in gleichsam anonymisierten Produktionen ("Show 1", "Show 2") Stücke wie "Woyzeck" und "Endstation Sehnsucht" in (zumindest in London) ästhetisch ungewohnten Versionen spielt. In dem umfangreichen Artikel werden dabei die traditionellen Unterschiede des britischen Theaters, das sich selbst gerne als "bestes Theater der Welt" feiert, und des deutschen Theaters pointiert herausgestellt.

So spricht etwa der Schauspieler Leo Bill "über die Erwartungshaltung des Londoner Theaterpublikums im Vergleich zu dem, was er im Mai beim Berliner Theatertreffen beobachtet hatte: 'Ich hatte das Gefühl', sagt er, 'dass die Leute in Berlin vor allem auf eine Erfahrung aus waren, über die sie diskutieren konnten – sei sie gut oder schlecht. Hier bei uns wollen die Leute unterhalten werden. Du bezahlst 80 Pfund, siehst dir Judy Dench an, und wehe, wenn's kein netter Abend wird.'"

Zu oft, so Menden, habe man in London "das Gefühl, schon beim Lesen des Stücks zu wissen, was man auf der Bühne sehen wird: Viel Schauspielerei vom Hals aufwärts, Psychologisierung, das Lauern auf Lacher. Britisches Theater ist oft furchtbar berechenbar." Sean Holmes, der das "Secret Theatre"-Projekt leitet, meint, dass das am System liege: "Normalerweise läuft es so, dass eine Gruppe von Schauspielern, die noch nie in dieser Konstellation miteinander gearbeitet haben, von einem Regisseur für ein einziges Stück engagiert werden. Sie haben vier Wochen Probezeit. Dann wird das Stück gespielt, und dann geht man wieder auseinander." Die Initialzündung für Holmes' Projekt "war vor zwei Jahren eine Gemeinschaftsproduktion des Lyric Hammersmith mit den Münchner Kammerspielen und der estnischen Gruppe NO99. Da inszenierte Sebastian Nübling mit internationaler Besetzung Three Kingdoms von Simon Stephens." Holmes hat Stephens nun "als Dramaturg ins Boot geholt".

Der Einfluss des deutschen Theaters auf das "Secret-Theatre"-Projekt sei "unbestreitbar". Aber es gehe "nicht um die kritiklose Kopie einer Tradition, die genauso viele Auswüchse und unhinterfragte Manierismen aufweist wie die britische. Sondern um eine aufregende Synthese: Die unvergleichliche britische Sprachbeherrschung und Charakterzeichnung, gepaart mit mehr Mut zur Körperlichkeit, mehr intellektueller Neugier auf die Abgründe vermeintlich vertrauter Texte und mehr selbstbewusster Durchformung. Sollte das dauerhaft gelingen, wäre das Ergebnis: das beste Theater der Welt."

(wb)

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