Gemeinschaft ohne Wir

9. November 2013. In Berlin gibt es eine Freie Szene. Und die braucht Geld. Doch wie kann man freie Kunst schaffen, wenn man im Antragswesen feststeckt? Und nur noch schreibt, was die Förderjury gerne hören will? In der Berliner Gazette denken Tanja Krone und Sandra Man, Autorin und Künstlerin, darüber nach. Mehr in der Zusammenfassung.

"Das Unglück der Freien Szene liegt im 'Frei', das nichts sagt und nichts meint. Es scheint erstmal für nichts anderes zu stehen als für ein loses Beschäftigungsverhältnis", so die Autorinnen. Das Potenzial der freien Szene sei jedoch, die Frage nach der Kunst zu stellen. Unter welchen Bedingungen sie sich entfalten könne, und unter welchen eben nicht, "ist die Diskussion, die wir entschiedener als bisher führen wollen." Denn irgendetwas verhindert derzeit eine produktive Entwicklung der Freien Künste. "Und das liegt nicht nur an der krassen Unterfinanzierung der öffentlichen Fördertöpfe, von denen alle Freien Kunstschaffenden abhängig sind." Wenn wir die öffentliche Förderpolitik mit ihren Ausschreibungen, Jurys, Fristen etc. jetzt gleich als "Antragswesen" ansprechen, "dann machen wir das, um die Perspektive vom Wieviel auf das Wie zu verschieben". Die Antragszwänge würden bei allem Innovationsgerede zu Wiederholungen und Bestätigungen führen und dazu, inhaltlich und thematisch auf das zu setzen, was scheinbar gerade angesagt ist.

So kontrolliert das Antragswesen alles Experimentelle, alles Prozesshafte, alles Undisziplinierte von vornherein. "Man macht nicht der Kunst einen Antrag, sondern dem Betrieb." Und so läuft alles im Bestätigungsleerlauf. "Es wird dauernd reproduziert und alle machen und kriegen, was sie sowieso erwarten, weil sie es nunmal bestellt haben." Das sei aber nicht "nur" für diejenigen ein Problem, die sich als KünstlerInnen verstehen, sondern auch für diejenigen, die als ZuschauerInnen, BesucherInnen wahr- und ernstgenommen werden möchten.

Heißt, "es geht nicht nur um Geld, sondern um viel mehr: Es geht darum, das 'Frei' in Freier Szene als Unbedingtheit zu erfinden, zu behaupten und zu erkämpfen, als Spielraum für den existenziellen Wunsch nach Ausprobieren, Versuchen und Andersmachen." Deswegen könne  man die Freie Szene nicht zu einer homogenen Gruppe erklären. "Es ist  unmöglich, die Freie Szene zu einem kompakten 'Wir' zu formieren. Auch wenn es für alle Seiten praktischer wäre."

Fazit: "Wir sind ein unordentliches Wir. Die Freie Szene ist eine vielfältige Substanz. Und das ist bestimmt kein unglücklicher Begriff. Wir können uns trauen, 'Freie Szene' nicht länger und ausschließlich als Inbegriff derer zu sehen, die kein Geld haben und welches brauchen und für die man standortrelevante Argumente bemühen muss. Es geht um etwas ganz anderes: Freien Existenzen eine Szene schaffen."

 

Kommentare  
Freie Szene Berlin: Weitermachen
Liebe freie Theater - Szene Berlins,

es gibt immer wieder wunderbare Produktionen, die anderes probieren, sich am Leben und Sterblichsein in aller Vielfältigkeit versuchen und gar nicht daran denken, Projekte zu heißen. Ist jetzt nicht gemeint.

Aber- aus gegebenem Anlass einer weiteren Veranstaltung, in welcher es von rechts nach links, oben und unten, quer durchs Publikum und zurück um das Prekariat freien Künstlertums - bewaffnet mit leidend in die Gegend gehaltenen überzogenen Kreditkarten - ausgiebig lautstark schmerzhafte Egoturnereien um das Berühmtsein oder nicht Sein heißluftherzballonte.... - es ist bei aller Notwendigkeit zum Ideenklauben in der eigenen Erfahrungswelt erlaubt, sich nicht nur um sich selbst, sondern auch mal umzudrehen. Es ist machbar, andere, fremde Lebensrealitäten nicht nur deshalb zu erforschen, weil sowas Kulturförderung bekommt - sondern genau da einfach mal zuzuhören, wo das Ganze scheinbar mal nichts mit einem selbst zu tun hat.

Es ist einfach so wichtig, dass es diese freie Szene gibt. Bitte nicht an den eigenen Strukturen kaputt gehen lassen.

Zutiefst verbunden. Weitermachen.
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