Moritat vom Loser mit den gelähmten Beinen

von Harald Raab

Heidelberg, 23. November 2013. Harry Schnee ist nicht Willy Loman, Dirk Laucke nicht Arthur Miller. Lauckes neues Stück "Samurai" ist nicht der "Tod eines Handlungsreisenden", obwohl das inhaltliche Grundkonzept verblüffend ähnlich ist: Das Zerfasern eines kleinen Leben, das Platzen eines Traums. Kein American Dream, sondern ein sehr deutscher Traum vom Häuschen mit Garten, schnuckeligem Frauchen, Ansehen durch Arbeit, famosen Kindern und ewiger Gesundheit. Dirk Laucke hat wieder ein Loser-Stück geschrieben: mit dem kämpferischen Titel "Samurai".

Doch Harry ist ein Duckmäuser und deshalb Arbeitsplatzbesitzer. Aber von wegen glücklich und zufrieden. Seine Lösung, aus der Frust-Angst-Falle zu entkommen, ist auch keine. Per Autounfall will er seinem mickrigen Allerweltsleben ein Ende setzen. Nicht mal das klappt: Querschnittgelähmt muss er weitermachen – im Rollstuhl. Anton, sein Berufskollege und Beinahe-Schwiegersohn, hält die gewerkschaftliche Solidarität hoch, hat noch Ideale. Dafür ist er seinen Job los. Ansonsten ist er ziemlich neben der Kapp, wie man in Heidelberg sagt. Ein Gutmensch halt, mit Alkoholproblemen. Harrys Töchterchen Jule hat kein Händchen für Männer, dafür ein Kind und zwar von Anton. Dem Frusti-Trio beigesellt ist Krankenschwester Karin, ehemüde, und Joseph, Spezialist fürs Blau- und Krankmachen.

samurai2 560 florianmerdes uOlaf Weißenberg (Harry Schnee), Christina Rubruck (Rita) und Steffen Gangloff (Joseph
Neumann) © Florian Merdes

Larmoyanz der Anspruchsgesellschaft

Regisseur Jens Poth peilt mit seiner Uraufführung so etwas wie das gute alte dramatische Theater an, brav erzählend, mit Anleihen beim Komödienstadel, Ausflügen ins Melodramatische und einigen Ausrutschern auf Schülertheaterniveau. Es will keine runde Sache aus dieser Produktion werden. Dazu ein reichlich fantasieloses Bühnenbild von Simone Wildt, halb deutsches Resopalwohnzimmer, halb japanisches Kirschblüten-Interieur. Was einem halt so zu einem Stück einfällt, das vom Japanfimmel eines kleinen Angestellten handelt. Wildt ist auch für die Kostüme verantwortlich und kann konsequenterweise auf einige Figuren im Kimono nicht verzichten.

Laucke macht es allerdings der Realisierung seines Stücks auch nicht leicht. Er arbeitet sich an vielem, zu vielem ab: Entfremdung der Arbeit im Kapitalismus, Sinnentleerung des Lebens, Beziehungskisten, Pflegenotstand. Es wird gelabert ohne Ende: die Larmoyanz einer Anspruchsgesellschaft.

Vergebliches Streben in grauer Wirklichkeit

Doch irgendwie bleibt alles Theater, weit weg von der beschriebenen Realität. Es ist wie Affen-Kucken im Zoo. Das heißt aber nicht, dass die Heidelberger Aufführung nicht auch berührende Momente hätte. Olaf Weißenbergs Harry, kariertes Hemd, Hosenträger, dick der Bauch, ist die arme Sau, der Spießer, das kleine Würstchen. Er ringt um so etwas wie Würde und flüchtet sich zuletzt in fernöstliche Trostsprüche: "Die Leere hat Gutes, nichts Böses." Ein Asphalt-Samurai mit gelähmten Beinen.

Prinzipientreue bis Lächerlichkeit, diesen Mix bekommt Weißenberg wohl dosiert hin. Sein Dialog mit Anton (Clemens Dönicke) von Rollstuhl zu Rollstuhl beinhaltet die ganze Misere des Lebens zwischen vergeblichem Streben und grauer Wirklichkeit. Clemens Dönicke muss seinen Anton mit Gitarre und banalen Songs meist als Loser-Klischee absolvieren, hat aber als zugedröhnter Gast in Harrys Sushi-Runde auch einen starken Auftritt. Töchterchen Jule wird von Nanette Waidmann allerdings recht eindimensional gestaltet. Schwester Karin (Christina Rubruck) ist das klassische Karbolmäuschen aus den Herrenwitzen: Blondchen im weißen Kittel, das aufreizend mit dem Po wackeln kann. Joseph (Steffen Gangloff) erntet seine Meriten als Krankenhaus-Kasper mit Rapper-Qualität. Wie ein Schlossgespenst taucht ab und an Harrys verstorbene Frau Rita (Christina Rubruck) auf.

Moritatensänger von gescheiterten Existenzen

Oft wird die knappe, schnoddrige Sprache von Dirk Lauckes Texten gelobt. Dem Volk könne er so recht aufs Maul schauen, heißt es stets. Anhand der Heidelberger Uraufführung kann man dieses Talent leider nicht so recht nachvollziehen. Hier gibt sich Theater mal wieder prolo. Authentisch wird es aber noch lange nicht, wenn Klischee-Sprech locker-flockig dahergerotzt, genölt, genuschelt wird.

Für Verlierer und andere am Leben Scheiternde ist der junge Hallenser Laucke Deutschlands Bühnenspezialist Nummer eins. Er ist mit seinen beinahe 20 Stücken aber kein Rächer der Enterbten und auch kein Agitprop-Eiferer. Er ist eher ein Moritatensänger von Existenzen, die nicht gelingen wollen – ja, nicht gelingen können, in dieser vom Autor so wahrgenommenen kapitalistischen "Scheißwelt".

Das gilt freilich nicht für ihn selbst, hat er doch mit seinen Underdog-Theaterstücken Preise über Preise eingeheimst: Kleist-Förderpreis, Förderpreis zum Lessing-Preis und siehe da – sogar den Dramatikerpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft. So harmlos ist er beim Establishment also gelistet, daß ihn sogar die Vertreter der Wirtschaft auszeichnen. Arthur Miller hat für seinen "Tod eines Handlungsreisenden" den Pulitzer-Preis bekommen. Ob Dirk Lauckes "Samurai" auch eines Preises würdig werden könnte, das zu zeigen, bleibt wohl einer ideenreicheren Produktion vorbehalten. Einigermaßen solides Theaterhandwerk allein – das reicht nicht.

 

Samurai (UA)
von Dirk Laucke
Regie: Jens Poth , Bühne, Kostüme: Simone Wildt, Musik: Wendelin Heiny, Dramaturgie: Patricia Nickel-Dönicke.
Mit: Clemens Dönicke, Steffen Gangloff, Christina Rubruck, Nanette Waidmann, Olaf Weißenberg.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.theaterheidelberg.de

 

Kritikenrundschau

Es werde einem in "Samurai" nicht erzählt, "warum einen das Ganze überhaupt interessieren soll, noch wieso ausgerechnet dieses Geschichtenknäuel hier auf der Bühne entwirrt wird", schreibt Bernd Mand im Mannheimer Morgen (27.11.2013). Alles passiere "mit der Betriebs- und Erzähltemperatur eines oberflächlich zusammengeschusterten Fernsehfilms", das Ganze sei "bei weitem keine sauber gebaute Angelegenheit." Es sei nicht einmal zu spüren, "dass Autor und Regisseur ihre Figuren ernst nehmen und respektieren". Mand kommt – in Anlehnung an ein Programmheftzitat Lauckes – zu einem denkbar harten Urteil: "Wir waren wütend (nicht nur manchmal), oft traurig, und wir hatten beim Zuschauen recht wenig Spaß. Und würden daher den Theaterabend doch ganz gerne aus unserem Leben streichen."

Auf SWR2 Kultur aktuell (26.11.2013) spricht Eberhard Reuß immerhin von einem "flotten Stück", in dem der Autor viele Zeitebenen miteinander verschränke. "Die Bezüge zu Arthur Millers 'Tod eines Handlungsreisenden' attestiert auch Autor Dirk Laucke im Programmheft. Aber sein 'Samurai' kommt viel flapsiger daher." In der Regie von Jens Poth schließlich redeten die Figuren "im guten Timing munter miteinander, übereinander, nebeneinander und doch aneinander vorbei."

Im Darmstädter Echo (7.12.2013) schreibt Frank Barsch: "Regisseur Jens Poth lässt konsequent kein Häppchen auf dem Teller, und Dirk Laucke bringt seinen mühsam aufgereichteten Helden dorthin zurück, wo er am Anfang war." Am Ende seien alle Figuren immer noch kaputt, hätten aber ihre Probleme erkannt. "Dass sie immer dann komisch werden, wenn sie ihre Verantwortung verleugnen, ist das Gute an Poths Inszenierung und Lauckes Stück. Damit ist die Lage zwar ernst, aber nicht hoffnungslos."

 

Kommentare  
Samurai, Heidelberg: Kritik der Kritik
So tief in die Performerwelten ist die Dramen-Kritik inzwischen gesunken, dass sie suggeriert, ein Autor solle doch bitte nur über die Scheißwelten schreiben, in denen er selbst versinkt.
Samurai, Heidelberg: wen interessiert schon Halle?
Kann es sein, das Dirk Lauckes Welten von einem heidelberger Stadttheater mittlerweile so weit entfernt sind, dass sie ihre seltsame Beziehung als gescheitert erklären müssen? Welcher Heidelberger war denn mal in Halle und wen interessiert das?
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