Autonomie gegeben

26. Januar 2014. Für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (26.1.2014) hat Julia Encke die Schauspieler der sogenannten Gotscheff-Familie zusammengetrommelt, um sich in der Kantine des Deutschen Theaters in aufgekratzt fröhlicher Runde über den jüngst verstorbenen großen Regisseur Dimiter Gotscheff zu unterhalten. Mit dabei sind Almut Zilcher, Samuel Finzi, Wolfram Koch, Margit Bendokat, Marie-Lou Sellem, Sebastian Blomberg und Bernd Grawert sowie der Dramaturg Ivan Panteleev.

Die Schauspieler erinnern sich an ihre Erstbegegnung mit Gotscheff; am längsten ist die bei Margit Bendokat her, die ihn noch während seiner Assistenzzeit bei Benno Besson an der Ost-Berliner Volksbühne in den 1970ern kennenlernte: Ein "bildhübscher junger Kerl" sei er damals gewesen. "Ganz schön scharf. Ich fand ihn toll, aber er mich nicht so."

Sie sprechen über Gotscheffs gespanntes Verhältnis zu seinem Heimatland Bulgarien (Almut Zilcher: "Er kam nicht klar mit dem Postsozialismus.") und über den Verlust, den Gotscheffs Tod ihnen bereitet (Samuel Finzi: "Was mir fehlt, seitdem er gestorben ist, ist die Konzentration, die er hergestellt hat." Margit Bendokat: "Für mich ist es ganz furchtbar. Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Ich habe auf nichts anderes mehr Lust.")

Viel geht es um die gemeinsame Probenarbeit und die Ästhetik des Regisseurs. Er habe ein "Theater des Scheiterns" gesucht, sagt Marie-Lou Sellem und wird für diese "so programmatisch" klingende Wendung von Finzi sogleich kritisiert: "Von Prozess zu sprechen reicht doch." Finzi über die Probenarbeit: Gotscheff "sprach in Metaphern. Eigentlich hat ihn keiner so richtig verstanden. Aber es ging auch gar nicht ums Verstehen."

Wolfram Koch: Wenn wir mit Gotscheff, Mitko, geprobt haben, waren es ganz kleine Sätze, kleine Bewegungen, Assoziationen, die mir gereicht haben, um ganze Figuren zu finden, kleine Zwiegespräche. Mehr braucht man ja nicht." Und Almut Zilcher dachte lange: "Zu mir sagt er ja gar nichts!" Aber: "Wie er mir zugeguckt hat – das hat mir alles entlockt. Dieses warme, geduldige Gucken, das mir meine Autonomie gegeben hat."

(chr)

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