Frido Solter attestierte ihr einst eine "lyrisch schwingende Sinnlichkeit wie Anna Magnani", heute gehört sie zu den größten Charakterdarstellerinnen, die Bühne und Film in Deutschland haben: Christine Schorn ist zum Niederknien. Allein diese Stimme! Klar schimmernd wie Messing, gleitet sie ganz nach Belieben ins Nölige oder Derbe, klingt schnell weinerlich oder aristokratisch und doch immer enorm Schorn’sch. Selbst wenn man sie optisch kaum erkennt wie in Jürgen Goschs immer noch laufendem Onkel Wanja (tief vermummt und gekrümmt als Marina) – ihre Stimme verrät sie.

schornchristine 280h arnodeclairChristine Schorn © Arno DeclairSie ist ja längst eine lebende Legende, als jahrzehntelanges Mitglied im Ensemble des Deutschen Theaters und nicht wegzudenken von der Leinwand, wo sie schon 1979 "meine" Alte war (die sich natürlich als gute Fee entpuppte) im DEFA-Märchenklassiker "Die Gänsehirtin am Brunnen" und knapp dreißig Jahre später die Mutter in "Frei nach Plan". Im Film ist sie längst häufiger anzutreffen als auf der Bühne, seit sie 2008 in Rente ging. Was für ein Verlust! Man muss sich nur an ihre letzte DT-Rolle erinnern: Selten hat sich mir eine derart widersprüchliche Figur so ins Herz gefräst wie ihre Riet in Judith Herzbergs Über Leben. Wie ihr Ton zwischen Liebeseinforderung und Beleidigtsein, dummdreister Ahnungslosigkeit und fürsorglicher Zuneigung schwankte, dabei ihr Gesicht bürgerliche Fassade blieb und sich ihre Emotionen in die kleinen Augen zurückzogen, machte Riet zum Zentrum eines erstklassigen Charakter-Panoramas zwischen lauter jüngeren Stars.

Einen tendenziell unsympathischen Charakter so zu formen, dass man doch mit ihm mithofft, mitleidet, das gelang ihr auch in der besten aller grandiosen "Tatortreiniger"-Folgen, wo sie in "Nicht über mein Sofa" eine herrlich zwischen standesdünkelnder Blasiertheit und Mutterwitz pendelnde Dame spielt, die sich nebenbei als Mörderin aus zweifelhaften Motiven erweist. Gerade weil man sie so lieben muss in ihrer manipulativen Klugheit, wird Bjarne Mädels Aufklärungsarbeit zu so einem zwiespältigen Vergnügen – irgendwie hofft man ja, dass sie mit ihrem Verbrechen durchkommt.

"Ich hasse es, wenn man klüger spielt als seine Rolle. Deshalb verteidige ich sie und lasse sie offen, damit der Zuschauer die Figur zu Ende denkt", hat sie einmal gesagt. Das ist ebenso klug wie wahr. Eigentlich möchte man sich am liebsten selbst etwas wünschen zu ihrem Ehrentag: sie noch sehr oft zu erleben, im Kino, im Theater. Wir gratulieren Christine Schorn sehr herzlich zum 70. Geburtstag!

(geka)