Einer und eine - Das Theater Der Keller in Köln zeigt Martin Heckmanns bitter-süßer Komödie um zwei Akademiker im siebten Himmel
Abrüsten vor dem Sex
von Friederike Felbeck
Köln, 14. Februar 2014."Ich wollte eigentlich gar nicht zum Kühlregal." Das ist der lakonische Kommentar des intellektuellen Jakob zu seinem fehlgeleiteten Handeln. Es treibt ihn in die Arme der mit einer Portion frischen Himbeeren und Schlagsahne just vor dem Kühlregal havarierenden Grete, deren Blicke sich von nun an an ihm festsaugen. Es ist Liebe auf den ersten Blick, dabei promoviert er über Interaktionstheorie und sie ist Literaturwissenschaftlerin mit Hang zu Rilke. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit finden sie sich im Neonlicht des Supermarkts. Am Ende tauscht man Telefonnummern und will sich wiedersehen.
Speeddating bei Rewe
Das Kölner Theater Der Keller begeht den Valentinstag mit einer Aufführung von Martin Heckmanns "Einer und eine". In Zeiten von "C-Date", "match patch" und Speed-Dating, das heutzutage sogar von der katholischen Kirche für alleinstehende Gemeindemitglieder angeboten wird, nimmt sich das zufällige Kennenlernen im Supermarkt geradezu altmodisch aus. Allein, wer einmal kurz vor Mitternacht bei Rewe vorbeischaut, kennt die bunte Klientel, die dort verloren durch die halbleeren Gänge schlendert. Fehlen nur noch die Namensschildchen auf dem Revers zum organisierten Single-Treff.
Das bereits Mitte der 1950er Jahre gegründete Theater Der Keller hat unter der neuen Direktion von Heinz Simon Keller schon einen beachtlichen Erfolg eingefahren: Die Inszenierung von Dennis Kellys "Waisen" wurde gerade mit dem Kölner Theaterpreis ausgezeichnet. Nachdem das Privattheater 2012 nur knapp der Insolvenz entgangen ist, steigen die Zuschauerzahlen aktuell wieder und das Konzept von zeitgenössischen Stücken mit "gesellschaftlicher und politischer Brisanz" scheint aufzugehen.
Kundenberater in der Freizeit
Denn Heckmanns Stück ist auch eine Sozialstudie. Die gefrusteten Akademiker können von der reinen Geisteswissenschaft natürlich nicht leben. Sie übersetzt Bedienungsanleitungen und er – eines der schönsten von zahlreichen Bonmots des Abends: "In meiner Freizeit arbeite ich als Kundenberater bei einer Bank." Und so starren sie, anstatt sich in den Augen des anderen schwindlig zu sehen, vor allem in sich selbst hinein und suhlen sich in dem dort zusammen getragenen Wust an Bildungsbürgertum, das sich ihnen wie eine Steilwand des Nanga Parbat entgegenstellt. Katharina Waldau und Marc Fischer, die reifer und älter sind als die beiden Figuren im Stück, spielen Grete und Jakob vertraut, aber mit viel Brizzeln und Funken, die zwischen ihnen sprühen.
Moderiert und angetrieben werden die beiden Protagonisten von zwei Dämonen in Schwarz, die aussehen, wie den "Vampire Diaries" entstiegen. Sie sind zugleich Spielemacher und Coaches der verhinderten Liebenden. Sie schlüpfen wahlweise in die Rollen von Uschi, der neugierigen WG-Mitbewohnerin, sind Mutter, Arbeitgeber und Doktorvater. Lissa Marilena Schwerm, die meistens ein leicht amüsiertes Glucksen in der Stimme und ansonsten hammerscharfe Pailletten besetzte Hosen trägt, dekoriert die bis auf vier Stühle leere Bühne des Theaters der Keller mit Seifenblasen, während Jonas Müller-Liljeström die Filmmusik zur Liebeszene aus dem Smartphone spielt.
Erotik mit Philemon und Baucis
So treiben sie das Paar in spe in immer höhere Sphären der Liebe hinauf. Die beiden Eggheads durchlaufen verschiedene Stationen wie Telekommunikation, freies Feld, Restaurant und Vorspiel bis sie unter der belastenden Überschrift "Sex", die auf die Bühnenrückwand aus transparenten Plastikvorhängen projiziert wird, zur Sache kommen. Der Regisseur Martin Schulze inszeniert feinfühlig und selbstironisch, diskret, aber nie schamhaft, wie die beiden erst einmal "abrüsten" müssen, bevor sie sich hingeben können, und wie sich in ihr erotisches Abenteuer immer schon gleich Philemon und Baucis und Gedanken an eine Dauerbeziehung mischen.
Für Heckmanns bissige Komödie ist der Abend im Theater Der Keller auch eine späte Uraufführung. Wenig geglückt war der Versuch anlässlich der Premiere am Nationaltheater Mannheim 2012 seine raffinierten Wechsel aus Erzählung und Aktion wieder rückgängig zu machen. Dabei fällt Heckmanns Akademiker-Bashing gelinde aus. Diese Kaste, an der sich Woody Allen, Yasmina Reza und andere abgearbeitet haben, strotzt nur so von Zitaten, aber vor allem klafft die Wunde, die Augustinus, Rilke und Co. in ihre trocken-banale Wirklichkeit gerissen haben. Fast endet die Liebe von Grete und Jakob nach ein paar Nächten wieder. Aber – auch dank der turbulenten Bemühungen ihrer beiden Engel-Dämonen – nehmen die beiden allen Mut zusammen und wollen es noch einmal versuchen. Und das nimmt man ihnen dank eines furiosen Finales, in dem die vier Akteure (fast) aus ihren Rollen fallen, am Ende sogar ab. Dann wird auch Augustinus "Liebe und tu, was Du willst" ein bisschen wahr und hinter Klischees und Pointen, jenseits von verkopften Ladehemmungen, fängt das gemeinsame Leben an.
Einer und eine
von Martin Heckmanns
Regie: Martin Schulze, Bühne und Kostüme: Sylvie Naunheim, Musik: Dirk Raulf, Dramaturgie: Guido Rademachers.
Mit: Katharina Waldau, Marc Fischer, Lissa Marilena Schwerm, Jonas Müller-Liljeström.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, eine Pause
www.theater-der-keller.de
Die Inszenierung bringt das Dilemma einer bindungsängstlichen Generation prägnant auf den Punkt, schreibt Barbro Schuchardt in der Kölnischen Rundschau (18.2.2014). Die überzeugenden Schauspieler werden in keiner Situation der Lächerlichkeit preisgegeben. "Und ein Quäntchen Trost ist auch dabei: An der Käsetheke im Supermarkt kann die große Liebe lauern. Man sollte nur beherzt zugreifen."
Martin Schulze habe das Stück als Versuchsanordnung inszeniert, und zwar "unmittelbar, voyeuristisch, schwer zu ertragen," wie Tanja Brandes im Kölner Stadtanzeiger (27.2.2014) schreibt, "und gleichzeitig anrührend, ehrlich, auf herzzerreißende Weise komisch." Besonders hervorgeboben werden aus dem Ensemble Marc Fischer und Katharina Waldau, denn sie spielen, so die Kritikerin, ihre Figuren "wundervoll schonungslos" ohne sie je der Lächerlich preiszugeben.
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