Blaue Flecken auf unserer Haut

von Kai Bremer

Münster, 16. Februar 2014. Es gibt ja nicht wenige Stadttheater, die zu punkten versuchen, indem sie auf neue Dramatik setzen. Die Folgen dieser Politik sind hinlänglich bekannt und kritisiert. In Münster setzt man seit dem Intendantenwechsel vor anderthalb Jahren auf eine etwas andere Strategie: Zwar haben auch Uraufführungen den Weg auf die Bühne gefunden, vor allem aber sind es deutsche Erstaufführungen englischsprachiger Dramatik, die neben den klassischen Verdächtigen den Spielplan bereichern. So eröffnete die Intendanz von Ulrich Peters Alexi Campbells boulevardeske "Apologia", kurz darauf folgte eine Szenensammlung von Caryl Churchill und vor knapp einem Jahr inszenierte Schauspiel-Chef Frank Behnke Tennessee Williams Frühwerk "Frühlingsstürme". Diese Ausrichtung ist nicht dumm. Schließlich kommen so weit prominentere Namen auf die Bühne als bei den meisten Uraufführungen.

Gestern nun war erneut Tennessee Williams dran, und zwar drei seiner zahlreichen Szenen, die auch höflich Einakter genannt werden: "Grüne Augen", "Sprich zu mir wie der Regen, und ich hör dir zu …" und "Ich kann mir ein Morgen nicht vorstellen". Inszeniert wurden die drei Zwei-Personen-Stücke von Frederik Tidén, der sich im letzten Jahr im Körber Studio Junge Regie an einen anderen Großen der amerikanischen Dramatik herangewagt hatte, an Eugene O'Neill. Die drei Stücke sind allesamt Konfliktszenarien zwischen einer Frau und einem Mann (Lilly Gropper, die schon bei "Frühlingsstürme" überzeugte, und Dennis Laubenthal). Sie spielen vor einem Wandrechteck mit abgewetzter Tapete in und rund um ein Bett (Bühne und Kostüme Kerstin Bayer).

Bourbon und Bomben

Mit "Grüne Augen" verneigt sich Tidén zunächst vor Williams' Realismus: Die Arme und Beine des Mädchens zeigen zahlreiche Hämatome. Die Frage ist nur, ob ihr die von ihrem jungen, dauernd an der Bourbon-Pulle nuckelnden Ehemann zugefügt wurden, der in fünf Tagen zurück nach Vietnam muss und des Morgens besoffen zurück aus den Straßen von New Orleans ins Hotelzimmer gekommen ist, oder von einem anderen Kerl, den sie zwischenzeitlich aufgerissen hat.

Gropper überzeugt als Südstaatengöre, in deren Welt die "Nigger" dafür da sind, dass sie ihr das Frühstück servieren, und die Männer, dass sie in der Armee Befehlen gehorchen und ihren Frauen den Sold zukommen lassen. In dem Moment, da dieser aber ausbleibt, hat sie nur noch Verachtung für ihren Mann, der an seinem Kriegsdienst zu zerbrechen droht: ein amerikanischer Abgrund, wie man ihn von Williams kennt. Tidén aktualisiert diesen Zeitbezug nicht und lässt so das Stück voll zur Wirkung kommen. Allerdings unterlegt er die Szene sporadisch mit drohenden Brummtönen, die auch Bombermotoren sein mögen. Achtung! Gefahr für Leib und Leben! Angesichts der blauen Flecke auf ihrer Haut, war das freilich auch vorher schon klar.

Freundschaft mit den toten Dichtern

Nun hätte es sich Tidén recht leicht machen und auch die beiden anderen Einakter derart realistisch einrichten können. Aber zumindest beim zweiten Stück verfährt er anders. "Sprich zu mir wie der Regen, und ich hör dir zu …" ist das Gespräch zweier Liebender, die sich kaum noch was zu sagen haben. Tidén verkürzt es radikal zu einem Zwischenspiel aus zwei Monologen. Zunächst sitzt nur Laubenthal im Halbdunkel auf dem Bett und erzählt über ein Standmikro die Geschichte eines Mannes, der irgendwo in New York in einem Hotel aufwacht und versucht, sich zu orientieren. Währenddessen huscht Gropper immer wieder vorbei. Schließlich setzt sie sich neben ihn und erzählt ihre Geschichte, wie sie in ein Hotel am Meer zieht, um dort alt zu werden und eine "Freundschaft mit den toten Dichtern" zu pflegen. Zwei, die zwar nebeneinander sitzen, aber nichts gemeinsam haben, keine Gegenwart und keine Zukunft.Icantimagine2 560 OliverBerg u"Ich kann mir ein Morgen nicht vorstellen" mit Lilly Gropper und Dennis Laubenthal © Oliver Berg

Im Unterschied dazu verpasst Tidén dem letzten Stück "Ich kann mir ein Morgen nicht vorstellen" wieder eine gehörige Portion Realismus, auch wenn seine Figuren nun bleich geschminkt sind und Lilly Gropper mit blonder Lockenperücke puppenhaft ausstaffiert ist. Das Hass-Gespräch der Zynikerin mit ihrem psychisch labilen Freund oder Bekannten setzen Gropper und Laubenthal akkurat um. Ihre Stimme schneidet, seine Schultern hängen. So weit, so gut. Das Problem ist nur, dass Tidén sie zunächst als Schwerkranke ins Bett setzt und sich zuletzt gar als solche über den Boden schleppen lässt. Derart deutet die Regie ihren Sadismus als Folge ihrer Verzweiflung angesichts ihrer gesundheitlichen Situation.

Eine solche Interpretation ist angesichts von Williams' sonstigem Realismus nicht unplausibel, in ihrer wohlfeilen psychologischen Reduktion allerdings weder notwendig noch überzeugend. Zumal gerade dieser Text den Realismus nicht unbedingt nahe legt. Hätte Tidén das berücksichtigt, wären in Münster nicht nur drei weitgehend unbekannte Kurzdramen von Tennesse Williamas zu bewundern gewesen, sondern auch eine Facette innerhalb seines Schaffens, die viel zu selten zu sehen ist.

 

I Can't Imagine Tomorrow
von Tennessee Williams
("Grüne Augen", DEA; "Sprich zu mir wie der Regen, und ich hör dir zu …"; "Ich kann mir ein Morgen nicht vorstellen", DEA)
Deutsch von Wolf Christian Schröder
Regie: Frederik Tidén, Bühne und Kostüme: Kerstin Bayer, Dramaturgie: Kathrin Mädler.
Mit: Lilly Gropper, Dennis Laubenthal.
Dauer: 1 Stunde 5 Minuten, keine Pause

www.theater-muenster.com

 

Kritikenrundschau

"Regisseur Frederik Tidén nähert sich den düsteren Szenarien mit großem Ernst", schreibt Helmut Jasny in den Ruhr Nachrichten (17.2.2014). Dabei lasse er allerdings Möglichkeiten für Ironie und Brechungen, die in den Stücken durchaus vorstellbar wären, weitgehend ungenutzt. Der Akzent seiner Inszenierung liege in der Darstellung des Hoffnungslosen und in der Verfahrenheit der Situationen. "Große Handlungsfähigkeit" bewiesen Lilly Gropper und Dennis Laubenthal bei der Darstellung der verschiedenen Paare. "Ob sie offensiv und körperbetont agieren wie im ersten Stück oder betont leise und hintergründig wie im zweiten – immer nimmt man ihnen ihre Rollen ab."

Kommentare  
Williams-Einakter, Münster: Symbolist? Realist?
Warum eine Realismus-Debatte mit Williams führen, der bekanntlich - entgegen des landläufigen Klischees - einer der letzten großen Symbolisten ist.
Thema verfehlt, lieber Bremer.
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