Das markante Leben

5. März 2014. Der Theaterregisseur und Schauspieler Fritz Marquardt ist tot. Das meldet die Onlineseite von Theater der Zeit. Marquardt verstarb am 4. März in Pasewalk im Alter von 85 Jahren. Als "singuläre Erscheinung" würdigte nachtkritik.de-Redakteur Wolfgang Behrens den Mann mit der proletarischen Mütze und einem "überaus markanten, von Lebens- und Arbeitsstürmen gegerbten Gesicht" zum 80. Geburtstag im Juli 2008.

f marquardt 280h thomasaurin uFritz Marquardt 1994 nach einer Probe im
Berliner Ensemble  © Thomas Aurin
Vertrauter und Regisseur Heiner Müllers

Marquardt wurde 1928 bei Kriescht im heutigen Polen geboren. Nach Zivilgefangenschaft in Sibirien 1945 und einem Studium des Philosophie und Ästhetik in den 1950er Jahren in Ost-Berlin war er von 1959 bis 1961 Redakteur der Fachzeitschrift Theater der Zeit. Erstmals Regie führte Marquardt 1963 am Landestheater Parchim. 1969 kam er an die Berliner Volksbühne zum Oberspielleiter und späteren Intendant Benno Besson. Marquardt war ein enger Vertrauter des Dramatikers Heiner Müller, dessen in der DDR lange unterdrücktes Stück "Die Umsiedlerin oder das Leben auf dem Lande" er 1976, 15 Jahre nach der von der Parteiführung verbotenen Uraufführung durch B. K. Tragelehn, inszenierte. Er besorgte auch die Erstaufführung des von der Partei zensierten Müller-Stückes "Der Bau" (nach dem Erik-Neutsch-Roman "Spur der Steine").

Auf der Bühne und auf der Leinwand war Marquardt auch als Schauspieler zu sehen, u.a. in Filmen von Siegfried Kühn ("Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow", 1973). In den frühen 1990er Jahren gehörte er zum Direktorium des Berliner Ensembles, gemeinsam mit Matthias Langhoff, Peter Palitzsch, Peter Zadek und Heiner Müller. 1995 gab Marquardt den Posten ab und beendete mit Henrik Ibsens "Klein Eyolf" auch seine Regietätigkeit. Seither lebte er auf einem Bauernhof in der Uckermarck und trat nur noch gelegentlich als Schauspieler auf, etwa 1997 in Stephan Suschkes BE-Inszenierung "Die Bauern" (von Heiner Müller) und 2009 in Andreas Dresens Kinofilm "Whisky mit Wodka".

Expressiver Stil

Anlässlich seiner Gratulation zu Marquardts 80. Geburtstag schreibt Wolfgang Behrens: Für Marquardt wie für Müller sei die DDR "eine Arbeitsbedingung gewesen, im Guten wie im Bösen". Er war einer, "der nicht wegging (wie Palitzsch, wie Schleef, Dresen, Tragelehn oder Gosch), aber auch einer, der immer integer und in seiner Arbeit kompromisslos bis zur offenen Kampfansage blieb." Marquardts Ästhetik habe schon früh in seinem umstrittenen "Woyzeck" in Parchim (mit Jürgen Gosch in der Rolle des Doktors!) durch eine "expressive, nicht realistische Darstellungsweise für einige Verstörungen" gesorgt, was letztlich zu seiner Entlassung aus Parchim geführt habe. "So sehr Marquardt die Dinge, von denen sein Theater handelt, am eigenen Leib erfahren hat, so wenig war er daran interessiert, sie naturalistisch abzubilden."

(chr)

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Kommentare  
Fritz Marquardt: Erinnerungen und Nachlass-Hoffnung
Ein Großer. Seine Inszenierung von AVANTGARDE von Katajew in der Volksbühne vor ich weiß nicht mehr wie vielen Jahren gehört zum besten, was ich in diesem Leben auf dem Theater gesehen habe, ebenso wie seine Müller-Knetungen, ebenso wie sein Bochumer KLEIN EYOLF. Unglaublicher Arbeiter, immer verzweifelt, gleichzeitig einer der entschiedensten und empfindlichsten Beweisgeber für das, was die DDR den Westsektoren auf dem Theater jahrelang künstlerisch voraus hatte, vor allem, aber nicht nur, in Berlin. Und: ich hoffe, jemand kümmert sich penibel um seinen Nachlaß, er konnte nämlich mehr als inszenieren. Ich habe ihn hoch geachtet.
Fritz Marquardt: Olymp
Still und leise ein Abschied. Wieder ein großer Regisseur, der verstören konnte, trifft sich im Olymp mit den anderen.
Danke dir und ein wenig Vorfreude bleibt. Was treibt ihr da oben?
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