"Jetzt kommen die Erbsenzähler"

8. März 2014. Für den Standard (7.3.2014) interviewt Ronald Pohl den Intendanten der Berliner Volksbühne, Frank Castorf. Die beiden kommen auch auf die Krise am Burgtheater zu sprechen, wo Castorf derzeit inszeniert.

"Zahlen werden überall manipuliert", so Castorf. "Bei den großen Bankhäusern in Dimensionen, dass man denkt, da müsste etwas getan werden. Es wird aber nichts getan. Und dann ausgerechnet am Theater sein Mütchen zu kühlen..." Eine große Geste wäre es gewesen, zu sagen: "Natürlich, wir leisten uns den Luxus an der Burg, an der Staatsoper! Ist doch schon Deutschland so kleinkariert, so amerikanisch." Auf die Frage, ob die öffentliche Hand also für das Defizit einspringen müsse, antwortet Castorf. "Ja, muss sie. Ich hab' kein Mitleid mit der öffentlichen Hand."

Castorf würde stalinistisch durchgreifen

Castorf selbst hätte die Krise übrigens mit härterer Hand geführt, macht er deutlich. "Bei einer Abstimmung wie der des Ensembles hier am Burgtheater würde ich sagen: Ich habe hier Hausrecht! Ihr könnt das gerne auf der Straße machen! Ich würde da sehr stalinistisch werden, ohne Anflug von Demokratie."

Außerdem echauffiert sich Castorf über seinen Kollegen Frank Baumbauer und dessen Ausspruch, dass Intendant ein Beruf sei: "Stellen Sie sich vor, Peter Zadek, Doppelpunkt: 'Intendant ist ein Beruf!' Das waren Monomanen, und das war das Großartige des Theateraufbruchs in den 1960er-, 70er-Jahren. Was diese Leute für die Sozialhygiene der Gesellschaft geleistet haben. Das war die Maßlosigkeit. Jetzt kommen die Erbsenzähler."

(mw)

 

Mehr zu den Vorgängen am Burgtheater gibt es in der Chronik der laufenden Ereignisse

Kommentare  
Presseschau Castorf über Burg: Nur weil die Bänker Scheiße bauen ...
Wie soll man diesen Größenwahn jemandem erklären, der täglich zehn Stunden für seine Arbeit unterwegs ist, Steuern zahlt und am Ende 1100 Euro netto nach Hause bringt? Mensch Castorf, was redest du da? Nur weil die Bänker Scheiße bauen, darf das Theater das noch lange nicht. Gerade deswegen darf es das nicht!
Presseschau Castorf über Burg: vergangene Größe
Castorf verweist ganz richtig darauf, dass die Monomanen in den 60er und 70er Jahren ihre Hochzeit feiern durften. Jetzt ist es 2014. Neben abschätzigem, narzissitisch gekränktem "jetzt kommen die Erbsenzähler" fällt dem Großregisseur nichts ein zur Gegenwart außer einem beleidigten Rekurs auf vergangene Größe. Das ist dann wohl eine Bankrotterklärung hinsichtlich Zeitgenossenschaft im Hinblick auf den eigenen Beruf. Denn Intendant ist natürlich ein Beruf - nur weil das viele Regisseure, Dramaturgen, kaufmännische Leiter etc. nicht verstehen wollen, entstehen so grandios beschissene feudale Strukturen unter denen restlos alle am Theater beschäftigten leiden. Die Zeit des selbstberauschten Rumwurschtelns, Rumbrüllens und Dekretierens auf dieser wichtigen Leitungsposition sind hoffentlich bald vorbei. Es gibt keinen Beweis dafür, dass derartige Unprofessionalität irgendwie der Produktion von Kunst helfen würde. Die Funktion Intendant dient fast immer nur dazu das Ego der Person bis zur Verblödung aufzublasen. Der entstehende kritikfreie Raum um diese Sonnenkönige ist unabhängig von der Einzelperson einfach nur Scheiße für eine gute Entwicklung des gesamten Hauses. Aber aus diesem vordemokratischen, herablassenden Geist kommentiert ja auch eine Frau Beier die Vorgänge an der Burg. Bitte Nachtkritik nehmt euch dem Thema Zukunft des Stadttheaters ein Mal aus der Perspektive auf die strukturelle Problematik des momentanen Intendantenunwesens an. Da hakt's in ganz großem Maße.
Presseschau Castorf über Burg: sympathisch
ja, buh, stimmt schon. und hartmanns verhalten und katastrophal und zwar für das theater im gesamten deutschsprachigen raum!
ABER ich finde castorfs "theater darf alles" dennoch sehr sympathisch. man muss theater nicht immer ständig mit irgendwas vergleichen, um dessen berechtigung zu erklären. und bitte schon gar nicht mit banken. kunst ist nicht finanzwirtschaft.
Presseschau Castorf über Burg: Raum für Egomanen
Zu 2: Sehr guter Kommentar, kann in allem voll zustimmen! Füge noch hinzu, dass sich erst in diesen feudalen Strukturen diese Art von neurotischem Verhalten entwickeln konnte. Aus diesem überalterten System sind sicher einige künstlerische Produktionen hervorgegangen, vermutlich trotz - nicht wegen der diktatorisch anmutenden und kranken Verhaltensweisen vieler Intendanten oder Regisseuren. Es ist zu konstatieren, dass sich die Strukturen nicht von selber ändern, denn die Interessensverbände (wie der Bühnenverein oder die Dramaturgische Gesellschaft) sind vielmehr geneigt, genau dieses Stadttheatersystem so zu erhalten, nicht weil es der Freiheit Kunst dienlich wäre, sondern weil sich darin das kranke geschundene Künstlerego am besten ungestört und ohne Widerspruch entfalten kann. Die Nachfolger der "Rumwurschtler", "Brüller" und (...) Manipulatoren sind schon längst auf Position gebracht worden. Solange gilt, dass ich am Theater mit nichts begründen muss, was ich mache, solange intelligente Konzeption gegen abstumpfendes "vor sich hin Proben", also genannt "kreativer Probenprozess", ausgespielt wird und im Namen der künstlerischen Freiheit die Qualität einer Aufführung meistens dem Zufall überlassen bleibt, solange am Theater bei Bedarf jeder alles kann, Dramaturgie, Regie, Ausstattung und Kostüm, egal, solange ist diesen Egomanen der Raum weiter völlig frei und offen.
Presseschau Castorf über Burg: Empfehlung
Nachtrag zu 4. Ansonsten empfehle ich die überaus gut geschriebene "Debatte über die Zukunft des Stadttheaters" von Bernd Stegemann hier auf Nachtkritik, insbesondere zum Thema den 11. Teil:
http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=9220:debatte-um-die-zukunft-des-stadttheaters-xi-bernd-stegemann-plaediert-fuer-das-kuenstlertheater&catid=101:debatte&Itemid=84
Presseschau Castorf über Burg: Danke
Danke an Castorf, endlich mal einer der den Mund auf macht.
Presseschau Castorf über Burg: Difficult Men
Es ist die Generation der Difficult Men, die langsam ahnt, dass ihre Privilegien endlich sein könnten, aber noch einmal in altem 68er-Machokitsch baden und das auch noch für besonders mutig halten. Es sind die Martensteins, Matusseks, und schon länger auch klar: selbst die Castorfs, die mitten im Speck sitzen, dies aber unabläßig als Außenseiterposition begreifen. Herrliche Gewalttägigkeiten bei Männern auf der Bühne als Waffe gegen das Gespenst der Korrekten, während man die Frauen am liebsten noch immer in Nuttenkostüme steckt. Herrlich, voll gegen den Mainstream, oho. Der Rest? Erbsenzähler! Rülps.
Presseschau Castorf über Burg: müde
1.
wenn mann nach 8stunden-harter-arbeit müde ist - soll mann sich für
das scheissebauen ANDERER auch noch interessieren? -
für was noch alles?!
Presseschau Castorf über Burg: trocken Brot
3. Kunst muss aber auch finanziert werden und lebt nicht nur von trocken Brot ALL-ein!
Presseschau Castorf über Burg: leidende Frauen?
@ Herrlich: Difficult Men? Das ist ja sehr diplomatisch formuliert. Als würde eine Kindergärtnerin sich vor ihre aggressiven Jungs stellen, indem sie sagt: "Die suchen doch nur nach ihrer Männlichkeit. Die suchen doch nur nach ihrer männlichen Rolle, nachdem sie durch die Frauenemanzipation völlig irritiert wurden." Ich würde gern mal wissen, warum Frauen dann unter solchen Männern und/oder ihren Untergebenen leiden müssen. So weit sollte der "gesunde Künstler-Egoismus" in meinen Augen dann nämlich nicht gehen.
Presseschau Castorf über Burg: Wenig diplomatisch
@Inga: Diplomatisch? Castorf in eine Reihe mit selbstbesoffenen, mehr als latent homophoben und sexistischen Männerdarstellern zu stellen, erachte ich als wenig diplomatisch.
Presseschau Castorf: am Ende klein und hilflos
@ Herrlich: Okay, Sie formulierten dann also ganz klar gegen Castorf. Stimmt's? Castorf will Jahnns "Die Krönung Richard III" ja laut Interview offenbar als Jahnns Autoren-Double inszenieren, welches nicht weiss, ob es Mann oder Frau ist. Zudem interessiert ihn das Thema des männlichen Selbstopfers. Na, toll. Männer, die erst das Leben anderer zerstören und dann auch noch ihrem eigenen Leben ein Ende setzen, solche Typen hatten wir in der Geschichte nun wirklich schon genug. Sind so ehemalige RAF-Helden, die am Ende ganz klein und hilflos werden, weil sie sich im Grunde nur über die Destruktivität und den Größenwahn, aufgrund fehlender Anerkennung und Liebe durch den eigenen Vater, definieren konnten und können. Sehr psychologisierend, diese Deutung, ich weiss, aber ich kann eben mit Männern dieser Sorte nicht so viel anfangen. Ich finde Männer toller, die auch mal Mädchen sein können ;-), und das in und mit ihrer vollen Männlichkeit. Sowas Selbstironisches kann Castorf leider nicht. Der kann wohl leider doch nur Macho und Chauvi. Und deswegen auch die Nutten, weil er das Weibliche in sich auf die Frauen verschieben und in diesen verachten muss. Bäh!
Presseschau Castorf: Frage
Wer kontrolliert eigentlich die Volksbühne? Für mich regt sich da ein Verdacht.
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