So geht es nicht mehr

10. März 2014. Vor dem Beginn der Tarifverhandlungen über die Lohnerhöhungen für die rund zwei Millionen Beschäftigten der Kommunen am 13. März 2014 appelliert der Deutsche Bühnenverein "angesichts der angespannten Haushaltslage der öffentlichen Hand" an die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, einen Tarifabschluss anzustreben, "den die Städte und Gemeinden für alle ihre Mitarbeiter, also auch für die angestellten künstlerischen und nichtkünstlerischen Beschäftigten der Theater und Orchester, finanzieren können".

"Wie es vielerorts in den letzten Jahren gelaufen ist, wird es aus Sicht des Bühnenvereins nicht mehr gehen", heißt es in der Pressemitteilung des Bühnenvereins. Die Erfahrung zeige: Man hätte in den Kommunen oft Lohnerhöhungen zugesagt, die auch von den Theatern und Orchestern zu zahlen sind, dann aber diesen mitgeteilt, das Geld dafür stehe aus öffentlichen Mitteln nicht zur Verfügung.

Die Forderung von ver.di für die anstehenden Tarifverhandlungen – eine Lohnerhöhung von monatlich 100 Euro sowie 3,5 Prozent zusätzlich – seien aus Sicht des Bühnenvereins durch Steigerung der Eigeneinnahmen der Theater und Orchester nicht zu finanzieren, "zumal die Vergütungen schon in den letzten zwei Jahren um rund 6,5 Prozent gestiegen sind".

Im Dezember 2013 ist das Rostocker Volkstheater aus dem Bühnenverein ausgetreten und warf dem Verband "Untreue" vor – die Interessen des Volkstheaters seien nicht angemessen vertreten worden. Ein neuer rückwirkender Flächentarif für Orchestermusiker hätte das Dreispartenhaus in seiner Existenz bedroht, begründeten der Geschäftsführer des Volkstheaters Stefan Rosinski und der designierte Intendant Sewan Latchinian den Schritt. Das Volkstheater habe an den Bühnenverein appelliert, bei der Orchestergewerkschaft DOV eine Sonderregelung zu erwirken. Nachdem solch eine Sonderregelung nicht zustande gekommen sei, sei dem Theater im Interesse seines eigenen Weiterbestehens nichts anderes übriggeblieben als der Austritt.

(Deutscher Bühnenverein / sd)

Mehr zur Tarifpolitik des Deutschen Bühnenvereins:

Rostocker Signal – Statement anlässlich des Austritts des Volkstheaters Rostock aus dem Deutschen Bühnenverein von Stefan Rosinski und Sewan Latchinian

Was darf die Kunst kosten? – Videoaufzeichnung des nachtkritik.de-Podiumsgesprächs vom 6. Februar 2014 anlässlich der Diskussion um den "Rostocker Alleingang"

Meldung vom 22. Januar 2014: Stellungnahme des Bühnenvereins zum Austritt von Sewan Latchinian

Meldung vom 20. Januar 2014: Intendant Sewan Latchinian legt Ämter im Deutschen Bühnenverein nieder

Meldung vom 5. Dezember 2013: Volkstheater Rostock verläßt den Deutschen Bühnenverein

 

Kommentare  
Bühnenverein warnt ver.di: nichts zu verlieren
Das Tolle an Leuten wie Rosinski ist, dass sie ihre Rolle absolut authentisch spielen. Schon dessen Biografie liest sich derart toll, dass ich jedes Mal denke, wenn jemand so etwas dem Theater als eine Figur anbieten würde, würde gesagt werden, dass das doch eine ganz erfrischende Parodie einer Biografie sei, dass jemand in so wenigen Jahren unmöglich ALLES gewesen sein kann. Alles sein zu können, ganz egal für wen oder was, absolut universell anwendbar zu sein, das ist die tatsächliche Qualität dieser Leute. Schön auch ihr Auftritt als geballte Managerkompetenz. Da wird dann auch schon mal ein Modell entwickelt, das einen griffigen Namen bekommt und vermarket wird, bis es auch der letzte Idiot verstanden hat. Und wenn es denn alles doch nichts taugt, (...), dann wird weitergezogen an das nächste rotte Haus. Solange es dem Publikum gefällt. Und so wird (...) von oben herab an die dort unten eine Ansage gemacht. Versuchsweise. Zu verlieren gibt es ohnehin nichts. Die Simulation von Kompetenz und wirklichem Interesse. (...) So gibt es am Volkstheater Rostock bislang genau zwei Leute, die frei gezahlt werden. Rosinski und dessen zukünftiger Intendant Latchinian. Für sie gelten keine klammen Kassen und kein Solidaritätsprinzip. Und so gilt es, den Angestellten gegenüber Wahrhaftigkeit zu wahren, aufrichtiges Interesse an Gemeinschaft und gemeinsamer Lösung.
Bühnenverein warnt ver.di: Sensibilisierung
da haben latchinian u. rosinski offenbar eine sensibilisierung des bühnenvereins geschafft. immerhin. danke.
Bühnenverein warnt ver.di: zwiespältiges Elend
Es ist eine Pressemeldung der besonderen Art, die der Deutsche Bühnenverein hier herausgegeben hat. Der Müllmann soll, die Krankenschwester und der Pfleger, die Reinigungskraft, die Bibliothekarin und der Hochschullehrer und viele andere kommunale Beschäftigte sollen sich mit einem „maßvollen, bezahlbaren Tarifabschluß“ zufriedengeben - nicht, weil alles andere maßlos und unbezahlbar wäre, nein, weil die „angespannte Haushaltslage der öffentlichen Hand“ andernfalls dazu führen könnte, daß die öffentlich-rechtlichen Theater und Orchester ein weiteres und diesmal noch verderblicheres Mal hereingelegt werden: ihnen werden Lohn- und Gehaltserhöhungen zugesagt, für die ihnen anschließend die Rechnung präsentiert wird, indem sie davon in Kenntnis gesetzt werden, daß sie diese Aufbesserungen aus den aktuellen – und, unter anderem so, ständig gekürzten – eigenen Etats aufzubringen hätten. Aber anstatt aus dieser inzwischen üblichen kommunalen Praxis den Schluß zu ziehen, daß die seit Jahrzehnten steuertechnisch und planmäßig betriebene Verarmung der öffentlichen Hand (die in der nunmehr in unserer Verfassung, also einem grundlegenden politischen Dokument, das eine völlig andere Sprache spricht, grotesk implantierten "Schuldenbremse" ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht) eine Fehlentwicklung darstellt, die eines föderalen Rechtsstaats generell unwürdig ist und gegen die es scharf zu protestieren gilt, entschließt sich der DBV, als ein guter Arbeitgeberverband, die Gewerkschaft ver.di mit Rücksicht auf die Lage der betroffenen Theater, Orchester usw. zu maßvollen Lohnabschlüssen zu ermahnen. Man stelle sich nur einmal vor, welche Wirkung diese Ermahnung auf die Menschen haben muß, die keine Theaterbesucher sind, aber zur Kenntnis nehmen müssen, daß just ihr Desinteresse am Theater ihnen, geht es nach dem Deutschen Bühnenverein, die Bezüge kürzt: weil sie nicht hingehen, fehlt den Theatern der gesellschaftliche Rückhalt, der allein (vielleicht) verhindern könnte, daß ihre Subventionen von Jahr zu Jahr sich verringern - die damit eintretende Finanznot der von ihnen nicht besuchten Weihestätten der „Hochkultur“ fällt auf sie zurück. Das ganze zwiespältige Elend eines Interessenverbands, der mit dem halben Hintern auf dem Stuhl „der Politik“ und mit der anderen Hälfte auf dem Hocker der Bühnenkünstler sitzt, von dem aus notwendig „der Politik“ widersprochen werden müßte, entlädt sich auf die Köpfe der zuständigen Gewerkschaft: ihre Lohnforderungen entscheiden, wie überall sonst so auch hier, über die Zukunft der Arbeitsplätze. Es wird höchste Zeit, die Gewerkschaft(en) durch eine deutliche Kritik dieses Gangs der neoliberalen Dinge von Seiten der Theaterleute zu stärken, auch und vor allem da, wo die Abhängigenverbände selbst vor einer solchen Kritik (die keineswegs den Umsturz ins Auge faßt) zurückschrecken. Die Theaterleute aber lassen es sich vorläufig angelegen sein, mit immer neuen, marktschnittigen Konzepten dieser Kritik auszuweichen.
Bühnenverein warnt ver.di: schon absurd
Immerhin bemerkenswert, dass der Verein aller Besitzstandsbewarenden am deutschsprachigen Theater zur Kenntnis nimmt, dass wir da ein riesiges Problem haben! Nur ist es nicht das Problem von VERDI, sondern zum großen Teil das Problem des Deutschen Bühnenvereins selber, der sich seit Jahren einer längst überfälligen Strukturreform in den Stadt- und Staatstheatern widersetzt. Es ist nicht zuletzt ein Verdienst des Bühnenvereins, dass Künstlergagen derart niedrig und Leitungs- oder Verwaltungsgehälter derart hoch sind. Wie man erfährt am Burgtheater verdient der Intendant mehr als der Bundeskanzler - nun das ist Österreich, aber auch an Staatstheatern in Deutschland liegt das Gehalt eines Intendanten etwa auf der Höhe eines Ministerpräsidenten. Es ist schon absurd wer hier wen zum Sparen aufruft. Es wird von dieser Seite immer angeführt, wir hätten zu wenig Geld für unsere Bühnen. Der Bühnenverein sollte sich dafür einsetzen, dass die Gelder (die doch immerhin noch reichlich zur Verfügung gestellt werden!) vielleicht besser verteilt und effektiver eingesetzt werden, auch in Zusammenarbeit mit den finanziell ausgebluteten Kommunen, anstatt darüber nachzusinnen wann und wie das ganze Konstrukt "Stadttheater" zum Weltkulturerbe erklärt wird. Es kann nicht angehen, dass effektiv nur etwa 15-20% des Geldes für die Deutschen Bühnen der künstlerischen Arbeit zufließt, während der Rest in Verwaltung, in zum Teil überflüssigen Personalkosten und/oder in völlig überzogenen Höchstgagen verdampft. Es geht schon lange nicht mehr um Sparen. Es geht schon längst um eine Debatte, wie wir Theaterkultur in Deutschland neu und wirklich frei gestalten können, denn unter dem Sparedikt und in dem Abhängigkeitsverhältnis der Künstler von den öffentlichen Geldgebern in dieser Art ist die künstlerische Freiheit bereits zu Tode gepflegt worden.
Bühnenverein warnt ver.di: Kritik am Opportunismus
Zu Nr. 4: Nach dieser Ihrer Logik wäre es geradezu zu begrüßen, wenn der öffentliche Geldgeber sich aus der Theaterfinanzierung zurückzöge! Hat nicht unlängst jemand (Peter Laudenbach in der SZ?) festgestellt, daß das Abhängigkeitsverhältnis der Theater von der öffentlichen Hand gerade das am wenigsten heikle sei? Von wem wollen Sie die Künstler denn abhängig machen? Natürlich „geht es schon lange nicht mehr um Sparen“ – darum geht es ja auch nicht, wenn eine der sogenannten Bankenrettungen ansteht (obwohl, fragen Sie mal die Griechen, die Spanier, die Portugiesen und, wenn es so weitergeht, wie sich die EU-Oberen das vorstellen, demnächst die Ukrainer!), will sagen, Geld ist in diesen Fällen in erstaunlicher Menge vorhanden. Es geht darum, daß eine zunehmend an Öffentlichkeit desinteressierte „Elite“ sich auf politischem Wege Einnahmemöglichkeiten zuschanzen läßt, die auf Kosten der Allgemeinheit gehen, weil sie selbst aufgrund ihrer Wohlhabenheit Infrastrukturen und eine Zukunftssicherung sich leisten kann, die der Allgemeinheit verwehrt sind. Darunter leiden nicht nur die Theater, darunter leiden die berühmten Badeanstalten, Bibliotheken, Schulen, Krankenhäuser, Museen, Jugendheime, Bildungsstätten usw. usw., kurz , hier wird - und nun wirklich zu Lasten kommender Generationen – den Geschäftemachern und Profiteuren zuliebe eine ganze Zivilisation zerstört, von den Renten und den Arbeitsplätzen hier gar nicht zu reden. An den Theatern wird vom künstlerischen bis zum technischen Personal, von der Ausstattung bis zur Gebäudeerhaltung gespart – nicht aus konzeptionellen, sondern aus finanziellen Gründen, das wollen Sie wohl nicht bestreiten. Natürlich kann man dieser zunehmenden Mangelwirtschaft innovativ begegnen – unlängst las ich, jemand habe wochenlang von Fliegen gelebt. Meine Kritik am Bühnenverein erstreckt sich auf seinen Opportunismus, seine Schönrednerei, seine (tatsächliche oder vorgetäuschte) Blindheit gegenüber dieser Entwicklung. Es ist nicht möglich, ein Anwalt der Theaterkunst zu sein und gleichzeitig einem Bürgertum zu dienen, daß außer Geldvermehrung kein Projekt mehr hat, in „der Politik“ aber jede Menge Helfershelfer findet.
Bühnenverein warnt ver.di: Bravo!
@ 3 und 5: Bravo für diese Einlassungen! Frank-Patrick Steckel wäre doch ein Mann fürs Burgtheater! Er ist der ideale Gegen-Hartmann.
Bühnenverein warnt ver.di: über Finanzierung nachdenken
Zu Nr. 5: In der Tat halte ich nichts davon, eine private und am Mäzenentum orientierte Mitfinanzierung von Kultur als Schreckgespenst ständig an die Wand zu malen. Warum halten wir Theaterleute uns denn immer für einzigartig kreativ und innovativ und sprechen es den Unternehmern und Wirtschaftsfachleuten so vehement ab?! Warum zeigen wir mit dem Finger auf die egoistischen und neurotischen Exzesse der Geldwirtschaft und haben in den eigenen Reihen ebenso viele Fälscher und Betrüger, die nur ihrem Profit und dem Ego dienen, vielmehr als der Kunst?! Immerhin kann man davon ausgehen, dass finanzstarke Unternehmer oder Privatpersonen, die Gelder für zum Beispiel Theater zur Verfügung stellen würden, wenigstens Interesse an der von ihnen finanzierten Kunst zeigen und das Ideal von künstlerischer Freiheit und das Ringen um Inhalte nachvollziehen können und unterstützen. Genau das ist leider bei den öffentlichen Geldgebern eben meistens nicht mehr der Fall. "Es geht darum, daß ein zunehmend an Öffentlichkeit desinteressierte „Elite“ sich auf politischem Wege Einnahmemöglichkeiten zuschanzen läßt, die auf Kosten der Allgemeinheit gehen, weil sie selbst aufgrund ihrer Wohlhabenheit Infrastrukturen und eine Zukunftssicherung sich leisten kann, die der Allgemeinheit verwehrt sind." - Diese Elite findet sich in den Reihen der subventionierten Theater als Abonnementen wieder, die "ihr" Stadt- oder Staatstheater so haben möchten, wie sie es wollen. Hier geht es also in der Tat um die Unterstützung einer mehr oder weniger reichen Elite, die eine Subvention der Kulturbetriebe gar nicht nötig hätte, deren Meinung und Ansicht über Theater aber den Spielplan und die Ästhetik maßgebend mit beeinflusst. Leider ist zu konstatieren, dass diese Sachlage auf den aller größten Teil der vielen (vielen!) Stadttheater zutrifft. Warum muss zum Beispiel ein mit 2 Millionen Euro subventionierter Theaterbetrieb ein Musical auf die Bühne stemmen, das in der Durchführung, Ausstattung und Qualität in der 50 Kilometer entfernten größeren Stadt weitaus besser aufgehoben ist und dazu noch Profit machen kann? Der Gedanke "Kultur für alle" ist in den letzten Jahrzehnten durch die Subventionspolitik nicht Wirklichkeit geworden. Im Gegenteil. Der prozentuale Anteil der Bevölkerung, die regelmäßig Stadt- oder Staatstheater besuchen ist extrem gering und beschränkt sich weitestgehend auf eben diese "Elite", für die dann Kultur "gemacht" wird. Die meisten künstlerisch und gesellschaftlich wirklich interessanten Arbeiten - auch in der Provinz - verschwinden in der Melange aus Unterhaltung und Oberflächlichkeit, die nun wirklich keiner Subvention bedürfte. Ja und in so fern muss man über die öffentliche Theaterfinanzierung in der Tat nachdenken. Es ist möglich und nötig darüber nachzudenken als "Anwalt der Theaterkunst", sich von den reichen Profiteuren der Subventionen und deren helfenden Verteiler in den Verwaltungen der Kulturbehörden zu befreien. Wie das von statten gehen kann, ob durch private Finanzierungen, Stiftungen oder/und Reorganisation der Verteilungsoptionen öffentlicher Gelder, ist eine Frage, der wir uns unbedingt stellen müssen, schnelle oder einfache Lösungen gibt es da nicht.
Bühnenverein warnt ver.di: Empfehlung
Empfehlung zu lesen hier auf Nachtkritik: http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=9220:debatte-um-die-zukunft-des-stadttheaters-xi-bernd-stegemann-plaediert-fuer-das-kuenstlertheater&catid=101:debatte&Itemid=84
Bühnenverein warnt ver.di: Elite-Begriffe
konkretblond: ich glaube Frank-Patrick Steckel und Sie haben einen sehr unterschiedlichen Elite-Begriff. Sie sprechen wohl eher von einer Publikums-Elite und Steckel von einer rein wirtschaftspolitisch agierenden Elite. Aber ich kann mich natürlich irren, weil ich da immer einfach nicht so schnell bin mit dem Gesinnungs-Statement-Management, das auf Nachtkritik mir über die künstlerisch relevanten Debatten die Oberhand zu gewinnen scheint… Mir scheint hier der Bühnenverein sowohl in die Gesellschaft hinein unsolidarisch mit Publikum als auch in seine von ihm zu vertretende Klientel der Theaterschaffenden hinein unsolidarisch zu argumentieren. Und ich bin einfach etwas schlichter gestrickt und denke da nur: wie charakterlos und unintelligent… naja,blödes Publikum halt, das weder von Politik noch von Theater Ahnung hat …
Bühnenverein warnt ver.di: Reichheit, Feigheit, Liederlichkeit!
Die Elite, von der ich spreche, kauft allenfalls die unerschwinglichen Karten beispielsweise der Salzburger Festspiele, lädt dann aber Jean Ziegler wieder aus. Es ist mit diesen Leuten keine gemeinsame Sache zu machen, begreifen Sie das doch, Nr. 7! Das Sprechtheater ist ihnen schon lange zu kritisch, zu obszön, zu verwahrlost. Lediglich die Oper hält noch ein paar ewige Werte bereit, bei deren Genuß sich der wohlhabende, gut vernetzte Steuerhinterzieher momentweise zu entspannen vermag. Was ihm im Sinne seiner geschäftlichen Interessen und der „Imagepflege“ paßt, wird er unterstützen, was nicht, nicht: FAUST geht immer, WINTERSCHLACHT nie. Das bürgerliche Theater war, trotz aller Regressionsphänomene, stark, solange das Bürgertum mehr sein wollte als eine teuer gekleidete, teuer wohnende, teuer speisende und teuer reisende Ansammlung luxushungriger Koofmichs, die die Erde seit dem (auch) von ihnen organisierten Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“ (man hört die klamme Beschwörungsformel) endgültig als den von der Schwäche ihrer ärmeren Mitmenschen ihnen übereigneten Ort betrachten. „Es war einmal ein Bürgertum, das sich die Forderungen nach Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit auf die Fahne geschrieben hatte...“ so finge das Märchen an, welches damit endet, daß auf der Fahne „Reichheit, Feigheit und Liederlichkeit“ stehen. Natürlich haben auch andere Kräfte als die geistige Verlotterung ihre Spuren gezogen: es ist nicht eben einfach, damit fertig zu werden, daß die Sonne sich nicht um die Erde dreht, der Mensch vom Affen abstammt und das Unbewußte regiert, auch für das Theater nicht, das viel zu wenig darüber nachdenkt, was diese Schläge in die Kniekehle des mündigen Bürgers für Folgen haben. Seien wir froh, daß überhaupt noch Menschen diese ruinösen Spektakel-Kaschemmen besuchen, die eine sterbende Zivilisation noch eine zeitlang über Wasser zu halten versucht, wie ein Schiffbrüchiger seinen Hut (Atommüll strahlt in jedem Fall länger). Versuchen wir gemeinsam das Beste aus dem zu machen, was uns vom Theater geblieben ist. Viel ist es ohnehin nicht mehr.
Bühnenverein warnt ver.di: Lamentieren weckt keine Begeisterung
Liebe Nummer 10!! :-) Ich habe das gute Gefühl, dass wir in unseren Einschätzungen gar nicht so weit auseinander liegen! Ich würde diesen Begriff von "Elite", von der wir reden, eben noch viel weiter fassen und behaupte, dass sich diese von Ihnen beschriebene Mentalität auch beim Bürgertum der weniger reichen Schicht verstärkt finden lässt. Es kommt halt doch immer drauf an in welcher Relation man sich gesellschaftlich befindet. Salzburg ist auch in Coburg oder Celle. Und der großen Mehrheit des Bürgertums dort ist das Sprechtheater ebenso zu kritisch, zu obszön oder zu verwahrlost. Das ist doch genau der Punkt! Auch in Coburg, Celle oder Lüneburg kann das Theater nur mit einem geschmeidigen Operetten- oder Komödienprogramm die Zuschauerzahlen halten, Spielpläne eben, die einer Subvention nicht bedürfen. Diese Zuschauerschichten begreifen sich als Öffentlichkeit und bestimmen eben zum aller größten Teil den Spielplan "ihrer" Häuser. Die Intendanten und Regisseure, ihrerseits abhängig von den Geldgebern der öffentlichen Hand, sind gar nicht in der Lage, Künstlertheater zu ermöglichen, selbst wenn sie es wollten. Moderne Literatur, neue Theaterformen, inhaltliche Diskurse werden nur noch bis zur Unkenntlichkeit kopiert und im normalen Probenprozess, wie in einem Durchlauferhitzer auf die Bühne gedrückt, zumeist als Feigenblatt für ein ansonsten reaktionäres und spießiges Wohlfühltheater.
Verstehen Sie? Ich plädiere nicht für die Abschaffung der Subventionen und möchte mich als Theatermensch nicht in der Abhängigkeit solcher "Koofmichs" wiederfinden! Nur: ich wache jeden Tag auf und - oh Schreck - ich befinde mich schon längst mittendrin! Und zwar in den öffentlichen Händen! Im Zwang der Produktionsmaschine für den bürgerlichen Sektor, der sich anmaßt zu bestimmen, wie wir als Künstler zu arbeiten haben. Wenn wir uns zufrieden geben und mit dem auskommen, was noch übrig bleibt, haben wir schon verloren. Dann sollten wir vielleicht wirklich aufhören. Ein Theater sollte geschlossen werden, wenn seine künstlerische Kraft kleiner ist, als seine Organisationsmacht. - Schauspieler sollten nicht dafür bezahlt werden, Kostüme von rechts nach links über die Bühne zu tragen, wenn sie nicht wissen, warum! Wir müssen ganz neu denken oder/und uns auf die eigentliche, ursprüngliche Aufgabe als Künstler besinnen, die uns ans Theater geführt hat. Wir können und dürfen uns nicht die Verantwortung nehmen lassen, Gesellschaft zu bespiegeln und die Menschen kritisch zu unterhalten! Genau das aber ist in höchstem Maße bereits geschehen und wir sollten uns nicht mit dem zufrieden geben, was davon übrig geblieben ist. Und manchmal muss man vielleicht auch mutig Gebäude einreißen und abtragen, wenn man fühlt und weiß, dass der Zusammenbruch kurz bevor steht.
Liebe Nummer 10, :-) es hilft auch nichts den alten Träumen und auch Realitäten nachzuhängen und zu trauern. Zumindest nicht über die Maßen.
Und sprechen wir über Finanzierung, so habe ich halt das gute Gefühl, dass nicht alle Reichen und nicht alle Unternehmer oder Unternehmen dieser reaktionären, überheblichen und kleingeistigen Mentalität anhängen. Es gibt Wohlhabende, die sich ihrer Verantwortung und der mit dem Reichtum verbundenen Verpflichtung sehr wohl bewusst sind. Es sind vielleicht nicht viele, und es sind eben auch Idealisten, aber es gibt sie. Wir sollten als Künstler mit genau diesen Leuten zusammenarbeiten und im Diskurs uns gegenseitig kennenlernen. Um aber das Interesse bei anderen zu wecken, muss man sich erst einmal selber über sein Interesse im Klaren sein. Lamentieren über eine schlechte Welt und Trauer über verlorene Ideale gehören eher nicht zu den Dingen, die Begeisterung und Faszination auslösen. In diesem Sinne versuchen wir doch lieber das Beste aus dem zu machen, was wir vom und am Theater wollen, als uns resignativ mit den Resten zu begnügen. Neue Wege für das Theater zu gehen, bedeutet garantiert auch neue und bestimmt nicht einfache Wege der Finanzierung zu ermöglichen.
Bühnenverein warnt ver.di: Dank
Lieber Frank-Patrick Steckel!

Ich danke herzlich für Ihren Text !
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