Viel zuviel Bauchnabel

19. März 2014. Vier Tage lang traf sich die Tanzbranche zur biennalen Leistungsschau der Tanzplattform Deutschland auf Kampnagel Hamburg. Eine vier-köpfige Jury hatte zwölf Neukreationen ausgewählt, Dorion Weickmann ist in der Süddeutschen Zeitung enttäuscht von dem, was sie sah, und gibt einer verfehlten Förderpolitik die Mitschuld.

In halbstündigen Präsentationsrunden sollen Talente ihre Projekte an Finanziers und Vermarkter bringen. "Aber die wenigsten Kandidaten können das Warum und Wohin des eigenen Ansatzes bündig skizzieren", so Weickmann. Das räche sich im Produktionsprozess und schlage aufs Endergebnis durch, wie Zufit Simons "I like to move it" verrate. Die Choreografin gehörte bei der Tanzplattform 2012 zu den Pitchern und war schon damals durch verblasenes Groupie-Gehabe aufgefallen.

"Wer aber sagtʼs der Lady? Agenten und Ausbilder halten sich mit Kritik zurück und schwören neuerdings auf die Feedback-Methode: Überzeugend oder dilettantisch, gelungen oder missraten – solche Urteile sind verpönt." Stattdessen werde der Nachwuchs mit Lehrbuchsentenzen – "Du hast Dich um eine Botschaft bemüht" – in Watte gepackt. "Derart dauergestreichelt hangelt sich mancher bis zum Bachelor-Abschluss in Choreografie durch, um danach das so hermetische wie subventionshungrige Szene-Netzwerk zu vergrößern."

Der Hang zum Salbadern und Fortstricken einmal gefundener Diskursmaschen mache freilich auch vor erfahreneren Herrschaften, nunmehr "mid-career-artists" geheißen, nicht halt. Isabelle Schads "Der Bau" zeige etwa, wo der Gegenwartstanz landet, wenn Konzept über Kreativität, Kopf über Körper, Hirn über Haltung siegt. Und auch Laurent Chétouanes "15 Variationen über das Offene" zerschellen an dieser Hybris, "weil sie – geradezu totalitär zeitgeistig – systemische Entgrenzung anpreisen und zugleich das verweigern, was Tanz ausmacht: Berührung, Kontakt und Kommunikation."

Das Ballett widerum werde strikt ausgegrenzt, "altmodisch, affirmativ, abonniert auf seichte Stadttheater-Muse, so lauten die Vorurteile". Diese Lücke erklären Jurorinnen mit Geld- und Zeitmangel in der Sichtungsphase, "wer hier tiefer gräbt, stößt allerdings auf freudianische Muster, auf Rivalität und Furcht. Der zeitgenössische Tanz arbeitet sich an einem Feindbild ab, mit dem er insgeheim liebäugelt. Handwerklich und ästhetisch profiliert, finanziell wie personell relativ verlässlich ausgestattet – damit punktet das Ballett, immer noch das Gros der festen Szene, gegenüber vielen Freien." Die wiederum seien insgesamt wagemutiger und mit choreografischen Multitalenten gesegnet. Das Modell könnte zukunftsweisend sein: "Warum nicht Ballettkompanie XY mit einem agent provocateur kombinieren – einem Sebastian Matthias, einer Meg Stuart, einer Antonia Baehr?"

Auf der Tanzplattform überwogen die kleinen Formate, was nicht nur mit Finanzknappheit zu tun habe. "Ursachenforschung wurde jedoch erst nach Festivalende betrieben, im Berliner Hebbel-am-Ufer-Theater. Tanzmacher und Kuratoren debattierten dort über die 'Krise der großen Form", die der belgische Choreograf Alain Platel kurzerhand umdrehte: "Whoʼs afraid of the big stage?' In der Tat versagen Ausbildungsstätten, Fördergremien und auch die Künstler, sobald es um 'think big' geht."

Fazit: "Wenn die Gegenwartschoreografie aus der Ego-Endlosschleife herausfinden soll, muss der Nachwuchs frühzeitig mit mehr als einer Handvoll (schlecht bezahlter) Darsteller arbeiten können. Wer öffentliche Gelder verteilt, muss das Gießkannenprinzip ad acta legen, auch wenn damit die eine oder andere gehätschelte Karriere endet. Und die Künstler müssen sich an Weltentwürfe wagen, deren Mittelpunkt nicht vom eigenen Bauchnabel markiert wird."

(sik)

 

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