Wenn alle Kakerlaken gegessen sind

von Leopold Lippert

Wien, 21. März 2014. Das muss man sich schon einmal trauen, so ein Dreipersonenkammerspiel mit einem Nullbudget auf die riesige Wiener Volkstheaterbühne zu hieven. Aber um Sparsamkeit geht es schließlich in Werner Schwabs "Die Präsidentinnen", um gebrauchte Fernseher, abgezählte Klopapierblätter und wiederverwertetes Gulasch. Der ausgeräumte Ort, an den Miloš Lolić seine Protagonistinnen, allesamt Putzfrauen, verfrachtet, ist auch ein existenziell entleerter: Bloß schwarze Stufen, dahinter ein überdimensioniertes Abbild des leeren Zuschauerraums als Bühnenbild, wie eine schlechte Rückprojektion in alten Hollywoodfilmen.

Erst zum Herrgott, hernach ins Bierzelt

Das Licht im Saal bleibt die ganze Zeit über an. Es gibt schließlich nichts Verborgenes mehr, nichts Skandalöses, das man noch extra ausleuchten müsste, weil es die Kleinbürger sonst im Keller verstecken oder im Klo runterspülen. Wir haben doch alles längst schon gesehen und konsumierbar gemacht, als Reality-Soap, Dschungelabenteuer oder Bachelorette-Kitsch, womit Schwab Anfang der neunziger Jahre noch die Krämerseelen empören wollte. Wer über Möchtegern-Promis im Kakerlakenkäfig lachen gelernt hat, den kann Mariedls bloße Hand tief im vollgeschissenen Abort ("Mariedl macht es auch ohne!") nicht mehr erschrecken.

Anstatt in den voyeuristischen Klamauk der durchschnittlichen Privatfernseh-Skandalisierung einzustimmen, interessiert sich Lolić für die tieftraurige Vereinzelung seiner Präsidentinnen. Klar, Erna (Katja Kolm), Grete (Claudia Sabitzer) und Mariedl (Martina Stilp) sind borniert, hysterisch, und monströs – Kleinbürgerinnenfratzen eben; aber sie sind auch verzweifelt auf der Suche nach ein wenig Menschenwürde in einem verpatzten Leben. Arbeit bedeutet für sie, verstopfte Klos von Scheiße zu befreien, und Freizeit ist, am Sonntag ins Hochamt zu gehen und sich danach im Bierzelt vom Tuba-Freddy begrapschen zu lassen. Wenn sie von Innerlichkeit sprechen, meinen sie harten Stuhlgang und "Geschlechtlichkeit". Fast wie zum Trotz hübschen sich die drei Putzfrauen gegenseitig auf, um dann als feine Damen erst dem Herrgott zu huldigen und sich danach der gierigen Musikantenlust hinzugeben.

Praesidentinnen2 560 ChristophSebastian uPräsidentinnen-Chic im Wiener Volkstheater: Martina Stilp, Claudia Sabitzer, Katja Kolm
© Christoph Sebastian

Schenkelklopfer vereiteln

Angesichts dieser zur Normalität gewordenen Lieblosigkeit finden Kolm, Sabitzer und Stilp keine rechte Freude daran, in den brachialen Wortirrsinn um Leberkäse, Selchfleisch und In-die-Klomuschel-Greifen einzutauchen und die fäkale Rampensau rauszulassen. Im Gegenteil: Hier wird erbarmungslos deklamiert, und Schwabs dialektale Kunstsprache in härtestes Bühnendeutsch übersetzt. Durch das Mikrofon, das ab der zweiten Hälfte für übereifrige Moderationen im Stile einer Nestroy-Gala herhalten muss, klingen selbst die österreichischen "Busserl" eigenartig kalt, als hätte sich jene menschliche Wärme, die es zum Busserl bräuchte, längst verflüchtigt.

Lolić vereitelt zielsicher jeden Schenkelklopfer. Der unvermeidliche Slapstick, den er zwischen Konfettibomben, deutschem Retro-Schlager und rhythmischer Messe ansiedelt, ist viel zu mechanisch und verstört mehr, als dass er amüsiert. Mehrmals jagt Lolić seine Protagonistinnen albern glucksend aus dem Saal und lässt ein ratloses Publikum zurück, das ohne den Schutz des Theaterdunkels nervös zu klatschen beginnt, unsicher, ob das vielleicht nicht doch schon das Ende sei. "Derweil werden die Menschen unruhig, weil es nichts mehr anzuschauen gibt", sagt Erna schließlich, als sie wieder zurückkommt. Was anzuschauen gibt's aber dann doch noch: Mit präzisen Griffen und ziemlich gleichgültig wird Mariedl mit dem Mikrofonkabel erdrosselt, um sich gleich danach gemeinsam mit ihren Kolleginnen abzuschminken, fast so, als ob es keinen Unterschied machte, ob sie lebendig oder tot sei. Und dann darf endlich wirklich geklatscht werden.

 

Die Präsidentinnen
von Werner Schwab
Regie: Miloš Lolić, Bühne: Hyun Chu, Kostüme: Nina Ball, Kampfchoreografie: Martin Woldan, Dramaturgie: Elisabeth Geyer.
Mit: Katja Kolm, Claudia Sabitzer, Martina Stilp.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.volkstheater.at


Kritikenrundschau

Norbert Mayer schreibt in der Presse (23.3.2014), Regisseur Milos Lolić sei dem Drama originell gerecht geworden. "Er hat es verschlankt, spart den tristen Realismus der ärmlichen Wohnung aus und lässt drei hoch motivierte Schauspielerinnen das Schwabische zum Klingen bringen." Es gebe leise Sätze, "die lassen den Atem stocken". "Sie werden in dieser gegen den Strich gebürsteten Aufführung präzis gesetzt. Allein schon deshalb lohnt sich der Besuch."

Im Kurier (22.3.2014) schreibt Guido Tartarotti, der Regisseur gehe ans Stück, "als wäre es ein ferner Klassiker: Respektvoll, formschön und erstaunlich distanziert." Auch das Publikum sehe Schwab mehr als interessantes Ausstellungsstück, nicht mehr als großartige Zumutung: "Es wird brav gelacht, wenn auch nicht zu viel, manche schütteln den Kopf, aber nicht zu heftig, vor allem wird aufmerksam zugehört. Am Ende gibt es freundlichen Applaus."

"Lolics Grundidee ist bestechend", findet Ronald Pohl in Der Standard (24.3.2014). "In drastischer Verkehrung der Verhältnisse besorgt er den drei Schmuddelschwestern einen großen Bahnhof." Die drei Deklassierten seien Showgirls. "Die Spuren unterschichtspezifischer Vernachlässigung lassen sie hinter Wolken von Haarspray verschwinden. Aufpoliert wird das Selbstwertgefühl." Geliefert werde im Wiener Volkstheater große, nuancenreiche Schauspielkunst. "Auch wenn man Die Präsidentinnen noch nie so schwelgerisch gesehen hat." Der Rezensent registriert zum Schluss "verblüfften Applaus".

Kommentare  
Präsidentinnen, Wien: die ins Theater gehen
Das "alberne Glucksen" kommt mir irgendwie bekannt vor. Das Abschminken auch. Kannste dir abschminken. Na, wenigstens ist Schwabs Text keine romantisierende Sozialschmonzette wie der Film "Ziemlich beste Freunde". Obwohl dieser auch seine komischen und lebensfrohen Seiten hat. Das Leben der Theaterputzfrauen, wichtiges Thema, weil sie unsichtbar sind und doch jeden Tag/Abend den Dreck der anderen wegmachen. Ich erinnere dazu auch an Bibiana Beglaus "edition X. Unbekannt" - Fragen hinter den Kulissen aus Theater der Zeit 10/2003, H. Nr. 10: "Glauben Sie, Theater ist wichtig in der heutigen Gesellschaft und wenn ja warum? - Doch, ja. Wenn die Menschen in das Theater gehen, sehen sie so viel an Sprache und Bewegung, Manchmal, wenn es gut ist, ist es ein Spiegel ihres Lebens und sie können etwas lernen." (Stojna Krosse, Reinigungskraft Düsseldorfer Schauspiel) Die Frage wäre hier jetzt für mich, wird eigentlich auch das Leben von Frau Krosse auf der Bühne repräsentiert? Oder ist das Frau Krosse eh egal. Sie spricht hier ja von den Menschen, die ins Theater gehen, also wohl meist den Menschen aus der bildungsbürgerlichen Mittelschicht.
Präsidentinnen, Wien: nicht so abgebrüht
Ich habe vor nicht allzulanger Zeit einmal das Stück in Reutlingen gesehen. Und Teile des Publikums schnauften lautstark und schüttelten den Kopf über das Fäkaliendrama. So gänzlich tolerant bzw. abgebrüht ist die Welt nun doch noch nicht, wie die Kritik unterstellt.
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