Dem Bösen gedanklich zuvorkommen

8. Mai 2014. In der Zeit porträtiert Peter Kümmel Hans-Werner Kroesinger als "wachen Menschen mit unermüdlicher Fragelust". Noch in der finstersten Vergangenheit entdecke Kroesinger "Licht, das uns beim Sehen helfen kann".

Hundert Jahre nach dem Ausbruch des ersten Weltkriegs, sage Kroesinger, gehe es darum: eine Gemeinschaft der Wachen zu bilden; die Übermalungen, Ausradierungen zu registrieren, welche an der Geschichte vorgenommen würden. "Man kann Kroesinger so verstehen: Aus der Art, wie einer die Vergangenheit neu erzählt, lässt sich absehen, was er in der Zukunft vorhat."

Kümmel trifft Kroesinger in Sarajevo, wo der für den dritten Teil seines Projekts "Schlachtfeld Erinnerung" recherchiert, das im Ganzen (mit den ersten beiden Teilen aus Istanbul und Belgrad) im Juni im Berliner HAU gezeigt wird.

Unser Abstand zu den Geschehnissen
Ob Gavrilo Princips Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand den Weltkrieg wirklich ausgelöst hat oder seine Tat nur eine von vielen Faktoren war, sei eine Frage, die Kroesinger nie beantworten würde, so Kümmel. "Von seinem Schlachtfeld-Projekt lernt man vor allem, dass eine Geschichte ihre Tendenz völlig ändern kann, wenn man sie früher als üblich beginnen lässt."

Erzählt werde im dritten Teil also die Vorgeschichte des Attentats – so, dass man nie den Eindruck habe, hier sollten Geschehnisse nachgespielt werden. "Es wird eher unser Abstand zu den Geschehnissen inszeniert."

Man merke Kroesingers Arbeit den Wunsch an, den Katastrophen unserer Geschichte die Autorität der Naturgewalt, des Unbedingten zu entziehen – "und sie sozusagen im Geist, mit vereinter Vorstellungskraft, zu verhindern: als sei es möglich, dem Bösen gedanklich zuvorzukommen".

Sarajevo sei ein guter Ort für solche Gedankenspiele – bei einer an das Theatererlebnis anschließenden Exkursion durch die Stadt gewinnt Kümmel "den Eindruck, dass das Sarajevo von heute in einem Kriegszustand lebt, der mit Bürokratie gestillt worden ist". Man bekämpfe sich, wo man könne. Zusammenhalt beobachtet er nur an einer Gruppe von Straßenhunden.

(sd)

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