Wir wollen es noch einmal wissen!

von Simone Kaempf

Berlin, 8. Mai 2014. Die Statistik spricht auch beim Theatertreffen ihre eigene Sprache, die der Dichotomie zwischen kleinen und großen Bühnen nämlich. Nicht, dass man das nicht bereits wüsste, aber die nackten Zahlen offenbaren ungeschönt das Ausmaß: Auf zwölf Städte gerade mal konzentrieren sich die Theatertreffen-Einladungen der vergangenen fünfzig Jahre. Je kleiner die Einwohnerzahl, je geringer die Chance, nach Berlin zu kommen: nur 21 aller bisher eingeladenen Inszenierungen stammen aus Städten mit weniger als 500.000 Einwohnern. Das heißt, beim Theatertreffen gezeigte Inszenierungen kommen mit fast absoluter Wahrscheinlichkeit aus Berlin, Hamburg, Köln, Stuttgart, München, Wien undsofort.

Sollte der alte Vorwurf, dass sowieso immer nur die gleichen Theater-Dampfer eingeladen werden, beim Theatertreffen bisher noch nicht Thema gewesen sein: Jetzt war es soweit, allerdings von TT-Jurorin Barbara Burckhardt höchstselbst resümiert in ihrer Keynote zur Diskussion über die "Ästhetische und soziale Bedeutung des Stadttheaters". Genauer jener Stadttheater, die kaum besucht werden von den Juroren auf ihrer Suche nach Bemerkenswertem, aller gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz. Und die doch die größten Probleme haben mit Kürzungen, demographischem Wandel und lokaler Kulturpolitik.

Hundert Davids gegen ein Dutzend Goliaths

Fällt in einer Debatte um das Stadttheater das Stichwort Politik, denkt man unweigerlich an Rolf Bolwin und den offiziellen Kurs des Bühnenvereins, Gründe für die schwierige Situation allein in der Politik zu suchen. Nein, Bolwin saß nicht auf dem Podium, und Burckhardt resümierte in ihrem Vorwort die komplizierteren Verkettungen, ohne die Schuld einer Seite in die Schuhe zu schieben, angefangen beim schwindenden Publikum, über den Druck, den die Kommunen immer stärker auf die Theater ausüben und gegen den man sich argumentativ schlecht wehren könne, weil auch der Bund ihnen immer mehr aufdrängt. Mit der Folge breiterer Spielpläne, die kein Risiko eingehen, aber mit denen kein überregionaler Kritiker oder Theatertreffen-Juror mehr reinzukriegen ist. Kurzum: ein Kreislaufsystem, in dem die kleinen Theater immer unsichtbarer zu werden drohen. Sie, die die absolute Mehrheit sind: hunderte gegen ein Dutzend großer Häuser, die beim Theatertreffen dauergebucht im Lichte stehen.

tt diskussion2 280 piero chiussiSewan Latchinian (Zweiter von links) ergreift
das Wort. Außerdem (von links): Barbara
Burckhardt, Vasco Boenisch, Simone Sterr,
Norbert Stöß. © Piero Chiussi
Auf dem Podium nun also Burckhardt, Simone Sterr, Intendantin am Landestheater Tübingen, der Schauspieler Norbert Stöß, der an etlichen kleinen Theatern gearbeitet hat, und Sewan Latchinian, derzeit noch Intendant in Senftenberg. Welche Aufgaben an ihre Theater eigentlich herangetragen werden: Dramenliteratur lebendig halten? Kunsterlebnisse liefern? Bildungsarbeit? Sozialarbeit? Diese Frage wurde erst einmal ans Publikum gerichtet, die per Handzeichen abstimmten und bei Sozial- und Bildungsarbeit durchaus nicht einig waren, etwas, was für die Theaterleiter längst keine Frage mehr ist. "Theater ist in kleinen Städten oft der größte Zuschussnehmer, schon deswegen muss all dies mit übernommen werden", so Sterr, "wenn man aber fordert, dass dafür Geld nötig ist, sieht die Diskussion wieder anders aus."

Raues Rostocker Klima

Dass diese im Norden rauer geführt wird als im Süden, belegen die Erfahrungen des weit herumgekommenen Schauspielers Norbert Stöß. In Konstanz habe es immer größere Toleranz gegeben, da habe man gesagt: "das hätt' ja net sein müsse", während in Lübeck gleich mit dem Brandbrief gedroht wurde, erzählte Stöss, derzeit am Berliner Ensemble engagiert. Dass man in der Provinz als Theatermacher glücklich werden kann, wenn man sich nicht provinziell verhält, war der Tenor dieser Diskussion. "Provinz merkt man immer dann, wenn Mittel extrem knapp sind. Man kommt in Bereiche, die existenziell werden, weil man mit Geld arbeitet, das nicht da ist", so Sterr.

Von besonders rauem Klima kann derzeit kaum jemand besser berichten als Sewan Latchinian, ab Herbst Intendant am Volkstheater Rostock und von der Kulturpolitik dort mit den Worten empfangen, dass für sie das Theater nicht mehr existent sei. Neue Millionen-Kürzungen stehen im Raum, aber im Herbst startet Latchinian mit mehr Premieren als das Jahr Wochen hat: 57 nämlich, die vier Sparten werden um Bürgerbühne und Puppenspiel ergänzt, Latchinian selbst wird 20 der Premieren als Regisseur verantworten. Womit dann auch im Podium die Frage aufkommt, wie das eigentlich geht: immer mehr Theater zu machen mit immer weniger Geld. "Wir wollen es nochmal wissen. Lieber klotzen statt kleckern", ist Latchinians Antwort, "es auf allen Ebenen nochmal versuchen, um das Image des Theaters im Land zu verbessern, sonst sind die Türen wirklich bald zu." Dass der Tarifaustritt auch Verzicht bedeutet, sei auch von der Hoffnung getragen, bald wieder aufstocken zu können.

Selbstausbeutung als andere Seite der Medaille

Wenn sich die Diskussion dann auch in Nebenthemen verläpperte: Auf eindrückliche Weise macht vor allem Latchinian deutlich, dass es ohne ein aufbäumendes modellhaftes "Trotzdem" nicht geht. Dass es darum geht, trotz allem weiter künstlerisch zu denken und gleichzeitig auf dem Kampfplatz um die öffentliche Förderung zu bestehen. Dabei ist nicht mal klar, ob dieser Einsatz den gefährdeten Theatern das Überleben sichern wird. Aber ohne geht es auch nicht.

Wie viel Selbstausbeutung das mit sich zieht, ist die andere Seite der Medaille, und fast hätte man das vergessen, hätte sich im Publikum nicht eine junge Schauspielerin gemeldet, bald in Oldenburg engagiert, derzeit noch in Essen, die daran erinnerte, dass die steigende Belastung vor allem zu Lasten der Schauspieler geht, dass es heißt, in bis zu sieben Produktionen zu spielen, wochenlang ohne freien Tag zu sein: "Im Ensemble ist immer jemand krank, und wer nicht krank sei, ist müde." Anscheinend längst ein Dauerzustand, um nach außen hin Erfolgsgeschichten zu schreiben.

 

Im Mittelfeld? Die ästhetische und soziale Bedeutung des Stadttheaters
Keynote von Barbara Burckhardt (TT-Jury)
Diskussion mit: Barbara Burckhardt, Sewan Latchinian (Intendant Neue Bühne Senftenberg), Simone Sterr (Intendantin Landestheater Tübingen), Norbert Stöß (Ensemble Berliner Ensemble), Moderation: Vasco Boenisch.

www.berlinerfestspiele.de

 

Mehr zur Debatte um die Zukunft des Stadttheaters auf nachtkritik.de: der Vortrag von Ulf Schmidt über das agile Theater, auf den der Dramaturg Bernd Stegemann und der Verleger Frank Kroll geantwortet haben.

Im Februar 2014 veranstaltete nachtkritik.de in der Berliner Volksbühne ein Podium über die Situation des Stadttheaters mit Rolf Bolwin (Deutscher Bühnenverein), Ulrich Khuon (Intendant des Deutschen Theaters), dem designierte Intendant am Rostocker Volkstheater Sewan Latchinian und dessen Geschäftsführer Stefan Rosinski, moderiert von Dirk Pilz. Eine Videoaufzeichnung des Gesprächs gibt es hier.

Unsere Theatertreffen-Festivalübersicht mit Nachtkritiken und Kritikenrundschauen zu allen Premieren, Shorties zu den TT-Gastspielen sowie Meldungen, Presseschauen, Diskussionsberichten.

 

Kommentare  
TT-Diskussion Provinz: bei genauer Betrachtung
Tatsächlich verzeichnet der Spielplan des Theater Rostock für die nächste Spielzeit lediglich drei echte Premieren im Bereich Schauspiel. Davon ist eine eine Romanadaption. Der Rest sind Wiederaufnahmen oder Produktionen des so genannten Bürgertheaters. Die zwei zusätzlichen Sparten erweisen sich bei genauer Betrachtung als a) Gastspiele der Puppenbühne Hiddensee und b) als ein Laientheater, welches sich vor allem über die Bildungsgutscheine des Arbeitsamtes wunderbar finanzieren lässt. Dass Latchinian nun auch noch behauptet, er würde neben seiner Intendantentätigkeit 20 Produktionen als Regisseur leiten, ist ein Tritt ins Gesicht derer, die als Regisseur ein ernsthaftes Interesse an dieser Tätigkeit zeigen und denen es genügen würde, vielleicht drei Produktionen pro Spielzeit als Gast an verschiedenen Häusern realisieren zu dürfen. Was nicht unerwähnt bleiben soll: Damit es in Rostock gar nicht erst soweit kommen kann, wurde der Etat für Gäste bereits vorab eingefroren.
TT-Diskussion Provinz: unermüdlich aufklärend
viele dank, wertes pünktchen, sonst wortgleich gast u.ä. - in rostock oder berlin, sind ja alle kollegen, oder journalisten oder zuschauer so blind und taub und blöd, dass wir gar nicht wüßten, wo der frosch die locken hat, wenn sie uns nicht unermüdlich aufklären würden. ich hole jetzt mal eine liste und dann hat ihr irrationales geposte hoffentlich ein ende ...
TT-Diskussion Provinz: Neuproduktionen
teil 2 zu 1.

hier in aller schnelle schon mal 15 neuproduktionen des schauspiels in rostock, und ich hoffe sie werden nicht auch noch leugnen, dass 15 mehr als 3 ist:

ingrid babendererde
wie im himmel
glückskind
eine spannende uraufführung in koproduktion mit der hmt, 8.5.15
der zerbrochne krug
ringelnatz
weisses rössl
szenen einer ehe
männer und frauen
das rostocker liederbuch
göttergatten, die wahrheit über meine ehe
präsidentinnen
aschenputtler
reinecke fuchs
tante und ich

also, bitte - pünktchen. lassen sies gut sein.
TT-Diskussion Provinz: Blick in den Spielplan
@mitarbeiterin: Schauen Sie in den Spielplan. Dort wo UA hinter steht, wird es eine Premiere sein. Im Bereich Schauspiel sind es nicht fünfzehn, sondern nur drei. Wo nicht UA hinter steht, ist es keine Premiere, sondern eine Wiederaufnahme oder Übernahme

http://www.volkstheater-rostock.de/user_files/test_1396344047_4897.pdf
TT-Diskussion Provinz: idiotensicher
zu 1. u. 4.
bevor es provinziell wird, noch ein allerletztes mal:
nur alle die premieren die im schauspiel n i c h t in der obigen liste der neuproduktionen genannt sind, aber als premieren angekündigt sind, sind keine neuproduktionen, z.b. geiziger oder schlechter sex. aber auch solche übernahmen werden inszenatorisch adaptiert, teilneubesetzt, weiterentwickelt. das weiß ich als mitarbeiterin. nun dürfte das aber auch idiotensicher geklärt sein .
TT-Diskussion Provinz: Premiere und Uraufführung
@4

kann es ein, dass sie den unterschied zwischen premiere und uraufführung nicht kennen?
TT-Diskussion Provinz: Abwertung des Begriffs Premiere
@5: Sie haben nun zugeben müssen, dass es im Bereich Schauspiel auch nicht fünfzehn Premieren sind. Dass von diesen fünfzehn Premieren bestenfalls drei Premieren echte Premieren sind, was selbst für ein Provinzhaus, wie das in Rostock, ziemlich armselig ist. Im Übrigen ist mit keinen Wort kritisiert worden, dass es zu Übernahmen und Wiederaufnahmen kommen soll. Und wenn diese euphemistisch als Rostocker Premiere bezeichnet würden, wäre es auch kein Problem. So ist die Kritik an der Inszenierung der designierten Intendanz Rostock vor allem eine Kulturkritik. Bislang waren es vor allem die Provinzintendanten, eben Latchinian, Spuhler und weitere, deren massenhaftes Inszenieren zur Abwertung des Begriffes Premiere geführt hat. Sie waren es, die damit angefangen haben, jede Veranstaltung, und sei es ein wenige Seiten umfassender Stoff, der lediglich ein einziges Mal als ein Anspiel gezeigt wurde, als eine Premiere zu bezeichnen. Den Preis dafür haben andere gezahlt.
TT-Diskussion Provinz: wahnhaft
ich arbeite an diesem Haus. was sie hier zusammenerfinden nimmt langsam formen an die wahnhaft wirken. sie müssen doch den unterscied zwischen ua =Uraufführung und Premiere erkennen. es scheint (...), dass sie ein Problem mit latchinian haben. aber in Rostock arbeiten noch ein paar mehr Menschen. also ich fände es ruecksichtsvollm wenn sie ihre verleumdungsposts einstellen könnten.
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