Gegen die Weltherrschaft der Wirtschaft

21. Mai 2014. Zur Zeit verhandelt die EU mit den USA über das Freihandelsabkommen TTIP, das Wachstum und Arbeitsplätze verspricht, von vielen Kulturschaffenden aber mit großer Skepsis und Sorge betrachtet wird.

Bereits vor einigen Tagen sprach Petra Pinzler von Zeit online (15.5.2014) mit Klaus Staeck, dem Präsidenten der Akademie der Künste Berlin, der gegen das Abkommen kämpft. "Was hier vorbereitet wird, kann zum endgültigen Siegeszug des Kapitalismus, des Neoliberalismus, werden. Das Endstadium!", so Staeck. TTIP sei "ein Angriff auf Demokratie und Rechtsstaat", etwa die Schiedsgerichte, vor denen ausländische Unternehmen künftig gegen Staaten klagen können. "Wenn das so kommt, verliert die Politik endgültig die Macht an die Konzerne. Es geht hier um die entscheidende Auseinandersetzung zwischen demokratisch verfassten Staaten und der Weltherrschaft der Wirtschaft." Was die Kultur angeht, ist noch nicht sicher, ob z. B. öffentlicher Rundfunk- und Fernsehen, Filmförderung, Buchpreisbindung wirklich geschützt und von den Verhandlungen ausgeklammert werden, wie es die Kulturstaatsministerin Monika Grütters verlangt.

Staatliche Kulturförderung als Wettbewerbsverzerrung?

Im Bereich der Kulturinstitutionen könnte ein amerikanisch dominiertes Handelsabkommen bedeuten, dass ein privat finanziertes Musical mit dem Argument der Wettbewerbsverzerrung staatliche Förderungen einklagt. Gegenüber Maria Ossowski vom Deutschlandfunk (19.5.2014) sagte Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates: "Unsere öffentlichen Museen, Theater, kulturellen Zentren (...), die wir ja quasi aus dem Markt herausgenommen haben und öffentlich finanzieren, sind natürlich für einen kommerziellen Anbieter ein Handelshemmnis." Dem Privattheaterunternehmer sei es natürlich lieber, "das öffentlich finanzierte Theater würde entweder verschwinden, also keine Finanzierung mehr erhalten" oder er als Unternehmer dieselbe Förderung bekommen. Dass einer solchen Klage stattgegeben würde, wäre nach dem Investitionsschutzabkommen und mit den privaten Schiedsstellen, die prüfen, ob Unternehmen durch staatliche Eingriffe Gewinne entgehen, nicht unwahrscheinlich. Auch diese Schiedsstellen würden im Geheimen verhandeln, ihre Entscheidungen seien nicht anfechtbar.

Letztendlich bevorzuge das Freihandelsabkommen "die großen Unternehmen: Google, Amazon, Youtube", so Zimmermann. Für diese gebe es in Europa eine "entscheidende Schranke, die eine unbegrenzte Expansion verhindert", führt Ossowski aus. "Das ist unser Urheberrecht", das im amerikanischen Recht ganz anders gehandhabt wird. Während bei einem amerikanischen Film etwa der Produzent der Urheber ist und z.B. über spätere Umgestaltung entscheidet, ist es in Europa der Regisseur des Films, wie Urheberrechtsexperte Gerhard Pfennig erläutert.

Kultur ist keine Handelsware

Am 20. Mai veranstaltete die Akademie der Künste zusammen mit dem Deutschen Kulturrat zwei Workshops und eine Abendveranstaltung zum Freihandelsabkommen und seinen möglichen Konsequenzen für Kunst und Kultur. In ihrem Statement sagte Monika Grütters laut Deutschlandradio Kultur (20.5.2014): "Unsere Kulturförderung in Deutschland zieht eine Lehre aus zwei Diktaturen in einem Jahrhundert, die lautet: Kreative und Intellektuelle sind eben das kritische Korrektiv. Das können sie aber nur sein, wenn sie nicht zwangsläufig gefallen müssen." Und wenn Kultur eben nicht zur Handelsware werde, so Grütters weiter. Sie warnte zwar vor einer Wagenburgmentalität der Kulturszene gegenüber den USA, betonte allerdings: "Öffentliche Kultur und Medienförderung ist unsere Stärke, in den USA dagegen kaum vorhanden. Denn wir haben es mit zwei diametral anders getakteten Gesellschaften zu tun."

Olaf Zimmermann, bei der anschließenden Podiumsdiskussion dabei, war Grütters' Bekenntnis dennoch "zu wenig. Selbst wenn der Kulturbereich ausgenommen wird, ist es für uns ein schädliches Abkommen, und deswegen finde ich, müssen wir uns als Kulturbereich auch gemeinsam dagegen aussprechen." Und auch Klaus Staeck fand deutliche Worte: "Die Amerikaner bewegen sich in diesen Verhandlungen nicht einen einzigen Millimeter, deswegen kann man von Verhandlungen eigentlich nicht sprechen. Das ist es, was mein Misstrauen noch einmal so verschärft, dass ich sage: Das ist der Kampf meines Lebens."

In der tageszeitung (21.5.2014) spöttelt Andreas Hartmann: "Noch weiß nicht einmal Kulturstaatsministerin Monika Grütters, wie sie zugibt, wer im Bereich Kultur mit wem über was genau bezüglich des sogenannten TTIP, des geplanten Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA, verhandelt. Aber sicherheitshalber macht sie sich schon jetzt wortmächtig stark dafür, um jeden Preis den ihr verantworten Bereich vor den Interessen der Amerikaner zu schützen." Er referiert die "Schrecken", die bei der Veranstaltung ausgemalt wurden, und kommentiert dann lässig: "Man könnte hierzulande ja mitkriegen, dass die Filme und Romane, die in Deutschland auch mithilfe von Subventionen entstehen können, international überhaupt keine Rolle spielen. Das, was aus den USA kommt, jedoch schon. So schlimm kann das von da drüben also gar nicht sein."

Ähnlich äußert sich Claudius Seidl in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (19.5.2014): "Dass die Berliner Philharmoniker entlassen werden, dass der Louvre und die Alte Pinakothek schließen müssen und dass da, wo heute die Münchner Kammerspiele ihr Theater haben, morgen die Firma Brooks Brothers eine Filiale eröffnet - das ist schon deshalb nicht zu erwarten, weil sich auch die Amerikaner gern solche luxuriösen Sachen wie Symphonieorchester und Kunstmuseen leisten (auch wenn dort die Spenden reicher Leute eine größere und Steuergelder eine kleinere Rolle spielen)." Für unsere Bühnen interessierten sich die Amerikaner schon gar nicht, "aber welcher Handel durch die Existenz unserer Staatstheater behindert würde, kann wohl auch keiner sagen".

Ernster werde es bei der Film- und Fernseh-Förderung und der Buchpreisbindung. Wer allerdings ein Interesse daran habe, "die Macht von Amazon zu begrenzen und den totalitären Anspruch zurückzuweisen, sollte in den Vereinigten Staaten nach Verbündeten suchen, nicht nach Gegnern".

Seidl ätzt weiter: "Dem einen oder anderen wird aufgefallen sein, dass hier nicht von der bildenden Kunst, nicht von der Architektur und von der Literatur nur am Rande die Rede war. Was daran liegt, dass, nur zum Beispiel, die Werke Gerhard Richters im Museum of Modern Art hängen, die Wolkenkratzer von Ole Scheeren in den Riesenstädten Asiens stehen und Daniel Kehlmanns Bücher auf der ganzen Welt gelesen werden, ganz ohne dass es dafür die Fürsorge des deutschen Subventionsbetriebs gebraucht hätte." Kurz: Wer "so schreibt, filmt, baut oder malt, dass die Menschen in Chinatown oder Little Italy sich für ihn interessieren", werde auch in Italien oder China ein größeres Publikum finden "als der, der seine Kunst vor allem an die Bürokraten in den Fördergremien, die Funktionäre in den Subventionsbehörden und die Langweiler und Neidhammel in den diversen Jurys adressiert".

Seidl verweist noch auf Silicon Valley als Realität gewordene Netz-Utopie, das ebenso aus den USA komme wie die Warnungen vor seinen totalitären Folgen.

(ape / geka)

 

Einen Mitschnitt der Podiumsdiskussion in der Akademie der Künste kann man am Freitag, den 23. Mai 2014, um 19:07 in der Sendung "Wortwechsel" auf Deutschlandradio Kultur hören.

Kommentare  
Presseschau Freihandelsabkommen: Europawahl!
Im Klartext: Dringend am Sonntag zur Europa-Wahl gehen und Parteien wählen, die sich gegen das TTIP aussprechen - Linke, Piraten oder Grüne.
Presseschau TTIP: Aushöhlung Urheberrecht
... aber doch bitte nicht die Grünen, die derzeit mit einem eigenen Positionspapier ganz ohne TTIP kräftig an der Aushöhlung des Urheberrechts arbeiten: http://www.gruene-bundestag.de/themen/digitale-buergerrechte_ID_4390734/nutzerinnen-in-der-digitalen-welt-verbraucher-und-datenschutz-staerken_ID_4391686.html
Presseschau TTIP: sog. Internet
@2

Ihnen ist schon bekannt, dass es ein so genanntes "Internet" gibt (auch bekannt als "Neuland")? Und dass das derzeitige Urheberrecht aus der Zeit davor stammt? Und dass es auch die Aufgabe des Gesetzgebers ist, Gesetze an sich verändernde Wirklichkeiten anzupassen? Ich weiß, ich weiß, hätte Gutenberg bloß nicht den Buchdruck erfunden. Alles wäre so viel einfacher.
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