König im Kongo

von Teresa Präauer

Wien, 24. Mai 2014. Die Harrods- und Pradataschen sind gefüllt. Macbeth und seine Lady, in Camouflage und Leopardenprints, rekeln sich lässig auf dem gemusterten Sofa und zählen ihr Geld: Der südafrikanische Regisseur Brett Bailey ist wieder bei den Wiener Festwochen zu Gast und zeigt diesmal eine Art Kammeroper – mit neun Sängern und zehn Musikern – nach Guiseppe Verdis "Macbeth". Bailey wählt einen der wenigen Opernstoffe, der nicht hauptsächlich um Liebe kreist, sondern vielmehr ein Getriebensein und Getriebenwerden von Mordlust und Macht nachzeichnet. Er scheint damit geeignet für die Transponierung nach Zentralafrika, an die Bürgerkriegsschauplätze des Ost-Kongo, wo die Bevölkerung unter den Folgen der Kolonialisierung und den neuen Mitteln von Politik und Wirtschaft zu leiden hat. Der Kongo gilt trotz reicher Vorkommen an Bodenschätzen als eines der ärmsten Länder der Welt.

Mordanstifter und Kriegstreiber

Verdi bricht Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Tradition des Belcanto, des schönen Gesangs, und forciert in seiner Version des Shakespeare-Dramas rund um General Macbeth, der durch Hinterlist und Heuchelei zum König wird, die Rolle der Lady Macbeth. Ihr und den Hexen und Geistern im Chor obliegt allein die Anstiftung zum Mord. Bei Bailey sind sie die Kriegstreiber. In seiner adaptierten, beinahe um die Hälfte gekürzten Fassung (Musik: Fabrizio Cassol) gibt es gleich zu Beginn einen Kommentar zur Blackfacing-Debatte, mit der Bailey nach der Berliner Aufführung von Exhibit B 2012 konfrontiert wurde: Drei schwarze Schauspieler haben weiß maskierte Gesichter.

Diesen drei Figuren werden auch die Stimmen der Hexen oder Geister in den Mund gelegt, die schwarzen Chorsängerinnen singen, die weißgesichtigen Businessmen bewegen dazu ihre Münder. Bei jedem Auftritt agieren sie, diese Investoren und Invasoren, wie Marionetten: in ihren Bewegungen ruckartig und eingeschränkt, dabei grenzenlos und ausbeuterisch in ihrem Wirtschaftstreiben.

Macbeth3 560 NickyNewman uBusinessmen in choreografierter Aktion © Nicky Newman

Im Hintergrund wirft der Beamer billige Grafiken von Mineralkristallen, Handys, Dollars und Waffen an die Wand. Sie ergeben bunte Muster wie jene der afrikanischen Waxprints: Textilien, die wiederum selbst in ihrer Geschichte eng verwoben sind mit der Kolonialisierung durch die Europäer. Die Bühne (Ausstattung: ebenso Brett Bailey) ist streng frontal aufgebaut und dreigeteilt, rechts die Instrumente, links der Chor, in der Mitte eine Bühne auf der Bühne, deren ebenfalls grafischer Look von starken Beleuchtungswechseln (Licht: Felice Ross) bestimmt wird.

"Echt irre!"

Als der erste Ermordete, König Duncan, begraben wird, ist in der Version von Bailey ein Foto neben dem Sarg aufgestellt: Ist darauf etwa Nelson Mandela zu sehen? Ein Blauhelm filmt das Begräbnis, auf seiner Kopfbedeckung steht "MONUSCO". Die vermeintlich friedenssichernde Einheit der UN filmt diese Szene mit und greift nicht ins Stück ein, – dafür, dass die MONUSCO den Schutz der Zivilbevölkerung vor Rebellen im Kongo nicht gewährleiste, ist sie in den letzten Jahren wiederholt kritisiert worden.

Das italienische Libretto wird in den Übertiteln der deutschen Übersetzung indiskret umgedeutet, – aus der bewussten Verfälschung ergibt sich paradoxerweise eine umstandslose Klarheit: "fuck" / "WTF?!" und "echt irre!", dass da einer ermordet worden ist. In der englischsprachig übertitelten Inszenierung von Bailey – vor der Premiere im deutschsprachigen Raum hat es seit 2002 zwei unterschiedliche Inszenierungen in Afrika gegeben – wird Macduff angeblich "Motherfucker" genannt. Darauf verzichtet die deutsche Übertitelung (Übersetzung: Simona Weber), die im Ganzen vielleicht etwas harmloser daherkommt.

Feiner, nie klamaukiger Humor

Verwoben, zitiert und verlinkt wird in Baileys Macbeth so einiges, und dass aus den vielen Bedeutungsebenen in der Summe keine allwissende Müllhalde erwächst, verdankt sich dem feinen, nie klamaukigen, Humor der Inszenierung, die immer wieder auch mit zart-schrägen revueartigen Choreografien von Natalie Fisher aufwartet. Die Singstimmen sprengen den Veranstaltungssaal des Odeons, eine Verstärkung durch Mikrofone wäre gar nicht vonnöten. Intensive Gesangspartien des Chores (im ersten Finale, hier übersetzt: "Erde, öffne dich, verbrenne den Mörder …") wechseln ab mit dem Sopran einer starken "First Lady" und einem König, dessen sotto voce, seine gedämpfte Stimme, beeindruckend dunkel tönt.

Zudem ergibt sich aus der Reduzierung des Orchesters auf eine kleine Besetzung inklusive Percussion – Premil Petrović dirigiert sein No Borders Orchestra mit Musikern aus dem ehemaligen Jugoslawien – eine mitunter prononcierte Rhythmik, die in der Partyszene von Macbeth und seinen Soldaten etwas Volkstanzhaftes andeutet, gegen Ende wiederum klingt, als blase die Trompete einen Trauermarsch. In der Trauer des Chores um die Ermordeten endet das Stück: So hat diese Inszenierung, neben vielen gelungenen und komischen, auch ihre berührenden Momente.

 

Macbeth
nach einer Oper von Giuseppe Verdi
Konzept, Inszenierung und Ausstattung: Brett Bailey, Musik: Fabrizio Cassol, musikalische Leitung: Premil Petrović, Licht: Felice Ross, Choreografie: Natalie Fisher, technische Leitung: John Page, Videotechnik und technische Assistenz: Carlo Thompson, Illustration und Animation: Video Roger Williams, Foto-Projektion: Marcus Bleasdale/VII & Cedric Gerbehaye, Text der Übertitelung: Brett Bailey, Kostüme: Penny Simpson.
Mit: Owen Metsileng, Nobulumko Mngxekeza, Otto Maidi; Sandile Kamle, Jacqueline Manciya, Monde Masimini, Siphesihle Mdena, Bulelani Madondile,Philisa Sibeko, Thomakazi Hollandund dem No Borders Orchestra
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.festwochen.at

 

Kritikenrundschau

"Mit großer Begeisterung und auch Betroffenheit wurde im Wiener Odeon Baileys 'Macbeth'-Deutung aufgenommen, ein weiteres Beispiel einer afrikanischen Aneignung und subjektiven Durchdringung eines ursprünglich europäischen Kunstwerks", schreibt Walter Weidringer in der Presse (26.5.2014). Mit einfachen szenischen Mitteln, aber ergänzt durch teils witzig aktualisierte Übertitel und Filmprojektionen mit expressiven Bildern und Hintergrundinfos, erzähle Bailey die Story mit drei großartigen Protagonisten und einem wandlungsfähigen Chor "als düsteres Beispiel für den alltäglichen Aufstieg und Fall eines Militärs". Fazit: "Die Welt wird er damit nicht ändern können. Vielleicht aber Menschen."

Für die Darstellung der düsteren Zusammenhänge eines real existierenden Bürgerkriegsalbtraums lasse Bailey Macbeth durch Mord zum Milizenboss aufsteigen, so Ljubisa Tosic im Standard (26.5.2014). In Summe wirken die Szenen dann aber doch etwas zu bieder, "dem Sujet eher angemessen sind die Vorgänge auf der Videowand: Da wird mit realem Fotomaterial drastisch Leid vor Augen geführt, während die Szenen mit ihrer schablonenhaften Figurengestaltung zu plakativ und harmlos um brisante Themen kreisen". Der belgische Komponist Fabrizio Cassol hat allerdings mit seiner percussionfreudigen Bearbeitung für das No Borders Orchestra unter Premil Petrovic eine überraschend brauchbare Version ersonnen. "Ein paar Buhs, indes sehr viele Standing Ovations."

Auf Welt Online (16.6.2014) schreibt Stefan Musil: "Die Themen im Musiktheaterprogramm der diesjährigen Wiener Festwochen hatten es in sich." Mit ungewöhnlichen Produktionen setzten sie "starke Akzente in die Wiener Repertoiregemütlichkeit". Bei Brett Baileys in den Kongo verlegtem "Macbeth" von Verdi habe Fabrizio Cassols musikalische Fassung "überzeugt" und den Ton Verdis "subtil" getroffen. Allerdings könne man der Inszenierung "den Vorwurf einer gewissen Plakativität, die sich auch durch fiktive Schreckensbiografien und mitleidheischende Kinderfoto-Projektionen einstellte", nicht ganz ersparen. Dennoch habe der Abend "In seiner urgewaltigen Kraft" einen tiefen Eindruck hinterlassen.

 

Kommentare  
Macbeth, Wien: Blackfacing?
"... Getriebensein und Getriebenwerden von Mordlust und Macht ..." passen gut nach Zentralafrika - Liebe... ? Fehlanzeige! - Na, Hauptsache, das Bild stimmt, gell?

Darüber hinaus, ist mir völlig entgangen, daß es in 'Exhibit B' um Blackfacing ging. Ich dachte vielmehr, es war eine Reflektion über die Repräsentation Schwarzer Körper in weißen Kontexten ... Ebenso ist mir offensichtlich entgangen, daß Brett Bailey einer derjenigen war, der die Blackface-Debatte mit angestoßen hat. Aber, vielen Dank, Frau Präauer, daß Sie das hier noch einmal klarstellen ...

(Werter Kolja,

die inkriminierten Passagen gehen allesamt auf Bearbeitungen der Redaktion zurück. Vielleicht hätten Sie weniger Anstoß genommen an der ursprünglichen Formulierung: "scheint geeignet für die Transponierung nach Zentralafrika". Da die Änderung offenbar missverständlich ist, habe ich die Änderung rückgängig gemacht.

Auch der Verweis auf "Exhibit B" stammt von mir, denn diese Arbeit wurde in Berlin sehr wohl im Zusammenhang mit der Blackfacing-Debatte diskutiert: http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=7316:die-debatte-um-brett-baileys-kolonialismus-arbeiten-auf-dem-symposium-qstages-of-colonialism-stages-of-discomfortq-beim-berliner-festival-qforeign-affairsq&catid=101:debatte&Itemid=84

MfG
Georg Kasch / Redaktion)
Macbeth, Wien: liebevolle Intervention
Sehr geehrter Herr Kasch,

vielen Dank für Ihre Antwort.

Ja, der Konjunktiv erscheint mir dann doch sinnstiftender zu sein, als so manches, scheinbar, unumstößliche Postulat.

Doch, erlauben Sie mir folgende Korrektur: Inkrimination war nicht mein Ziel - dann doch eher liebevolle Intervention, obwohl ich polemisch wurde ...

Und, mit Verlaub, ich finde in dem Artikel von Elena Philipp kaum einen direkten Bezug zur Blackface-Debatte.

Ich kann nicht wissen, ob Sie, Herr Kasch, am 3. Oktober 2012 im Haus der Berliner Festspiele waren ... Spätestens als Herr Prof. Köpping begann zu reden, war ein Teil des Themas erfüllt: "stages of discomfort" ... Alles Weitere ist bekannt ....
Kommentar schreiben