Bühnenverein warnt vor Mindestlohn-Gesetz
8,50€ ist für viele Theater zu teuer
10. Juli 2014. Der Deutsche Bühnenverein warnt in einer Presseaussendung vor den Folgen eines Gesetzes zum Mindestlohn, über dessen Entwurf am Freitag im Bundesrat abgestimmt wird, für die Theater und empfiehlt den Bundesländern, dem Gesetz nicht zuzustimmen, "ohne dass weitere Ausnahmen für die Theater und Orchester in den Gesetzentwurf aufgenommen werden". Die Ausnahmeregelung für Praktikanten, nach der kein Mindestlohn gezahlt werden muss, sei "unzulänglich". Sie greift nur dann, wenn das Praktikum eine Ausbildung vorbereitet und höchstens drei Monate dauert. Im Theaterbereich gebe es jedoch viele zeitlich längere Praktika, die oft erst nach Abschluss der Ausbildung stattfinden.
"Viele Betriebe können es sich nicht leisten, an alle Praktikanten 8,50 Euro die Stunde zu zahlen", zitiert der Bühnenverein seinen Direktor Rolf Bolwin. "Selbstverständlich sind wir dafür, dass Praktikanten angemessen entlohnt werden. Man darf aber nicht außer Acht lassen, dass am Theater viele Quereinsteiger arbeiten und viele Berufe keinen geregelten Ausbildungsweg haben", so Bolwin. Den jungen Menschen, die über ein Praktikum im Theater Fuß fassen wollen, werde dieser Weg in Zukunft verbaut.
Problematisch sei die Zahlung des Mindestlohns vor allem auch bei Schauspielern, die in der freien Szene arbeiten, da hier vielfach deutlich unter dem vorgesehenen Mindestlohn liegende Vergütungen gezahlt würden. Der Bühnenverein fürchtet deshalb, dass die freien Theater bei Inkrafttreten eines Mindestlohn-Gesetzes immer mehr gezwungen würden, "nach Wegen zu suchen, den Abschluss von Arbeitsverträgen zu umgehen".
(Deutscher Bühnenverein / ape)
Siehe auch die Presseschau vom 10. Juni 2014 darüber, wie die Theater- und Kulturszene auf einen Mindestlohn für Praktikanten reagiert.
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Wow.
In Göttingen z.B. (Junges Theater) sucht man einen Regieassistenten auf 400 Euro-Basis, die Arbeit ist aber die eines festangestellten Ensemblemitglieds. Die Reihe ist lang. Wer auf der Bühne Auswüchse des Kapitalismus kritisiert, gleichzeitig aber selbst von Ausbeutung profitiert, ist nicht glaubwürdig. Muss ich noch mehr schreiben?
Noch viel schwieriger wird die Argumentation gegen den Mindestlohn angesichts früherer Äußerungen: "Aber auch auf der Arbeitgeberseite existiert mit dem Bühnenverein ein Verbund, der sich zwei Dinge zum Ziel gesetzt hat: Erstens die Beschäftigungsverhältnisse in den Theaterbetrieben so auszugestalten, dass Künstlerinnen und Künstler von dem, was sie verdienen, leben können." (Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 125, II/2009) Dies nur als ein Beispiel.
Man fragt sich auch, wozu ein Theater tatsächlich sogenannte Quereinsteiger brauchen soll, wenn auf allen Ebenen in Deutschland zu viele Absolventen von Berufsschulen, Fachhochschulen, Kunstakademien und Universitäten keine angemessene Beschäftigung finden? Das kann doch nur dazu dienen, dass man Quereinsteiger deutlich schlechter bezahlen und in allen Arbeitsbedingungen von der Arbeitszeit, der Befristung des Vertrages bis zum Urlaub schlechter stellen kann als Fachkräfte, die den teilweise selbst schon schwierigen Tarifverträgen unterliegen würden.
So nach dem Motto: "Hoffentlich nehmen die uns das bisschen nicht auch noch weg!"
Nicht mal die städtische Müllabfuhr würde sich wagen so einen „Mist“ als Meldung herauszugeben.
Die Not der Betriebe weiter reichen an die Praktikanten. Wie erbärmlich. Da würde manche Dönerbude früher ihre Tore schließen. Ich nehme an, dass heute schon viele Assistenten in allen Bereichen unterhalb des Mindestlohnes liegen.
Verdammt. Zur Strafe sollte man alle zukünftigen Renten der Bühnenvereinsvorstände auf ein Minimum reduzieren, damit sie wenigstens im Alter einmal erleben, was sie dem Nachwuchs zumuten wollen.
Wehrt euch!
der Tunnelblick ist eine so häufige Abnutzungserscheinung wie die Fachidiotie. Nach erfolgreicher Selbstdiagnose sind alle öffentlichen Ämter aufzugeben.
Gleichzeitig möchte ich anmerken, dass man die Wahl hat, ob man eine Praktikantenstelle annimmt. Es ist ein Skandal schlechte Arbeitsbedingungen anzubieten, sie für sich anzunehmen und dadurch sie auch indirekt in eine gängige Praxis für Andere zu überführen, ist ein zweiter, sehr verwandter Skandal. Insofern ist eine überbezahlte Intendanz durch die Akzeptanz der Belegschaft möglich und gestützt. Da steht man vor dem alten Dilemma der Ausbeutung einer Fabrikarbeiterschaft, weil genug andere bereitstehen, die das akzeptieren. Ausbeutung ist hier immer als Differenz zu koexistierenden Arbeitsbedingungen gedacht. Die Ausspielung des expressiven Sinns von Arbeit gegenüber seinem instrumentellen macht künstlerische Arbeit prädestiniert für solche Meinungen á la Bolwin, die durchaus als repräsentativ zu sehen sind. Die lange Diskussion, die hier folgen müsste, spare ich aus.
Kurz: Der Artikel zerreißt sich aus den von meinen Vorredern genannten Gründen und anderen selbst. In dem Sinne danke für die gelungene Selbstparodie.
Trotzdem bleibt doch die Frage, was für eine Art Kultur das sein soll, die ihren Erhalt nur dann gesichert sieht, wenn sie sich gegen einen Mindestlohn ausspricht?
Durch nichts definiert man sich kulturell mehr, als durch das Verhältniss zu Armut und Schwäche. Und die fördert man, wenn man sich offiziell gegen einen Mindestlohn ausspricht.
Die Freiheit kann man negativ nutzen, um anderen Menschen zu schaden, z.B. auch, wenn es um sowas pauschal-ideologisches wie "die Revolution" geht. Oder man kann sie positiv nutzen, indem man sich unter Einbeziehung der Unterschiede wechselseitig anerkennt und respektiert und gemeinsam kämpft. FÜR eine bessere Welt, sorgen wir uns um unsere gemeinsame Lebensgrundlage, den Planeten Erde, und kämpfen wir nicht auch noch "unten" gegeneinander. Ich akzeptiere deswegen als "Führer" nur noch Menschen wie den "kleinen Prinzen", welcher an einer Blume schnuppert und uns so ver-führt, es ihm auf friedliche Weise gleich zu tun. Mehr Sinnlichkeit, weniger abstrakt-ideologisches Denken! Kein Mensch ist ohne Leidenschaften und damit unfehlbar wie der unendliche Geist. Aber jeder Mensch kann diese Leidenschaften positiv nutzen statt zerstörerisch. Das geht an den Bühnenverein UND die Betriebsräte an den Theatern.
"Im Theaterbereich gebe es jedoch viele zeitlich längere Praktika, die oft erst nach Abschluss der Ausbildung stattfinden."
Damit will man sich unbezahlte Praktika von Menschen nach der Ausbildung sichern, die länger als drei Monate dauern sollen. Man möchte also ausgebildete Menschen zu unbezahlter oder fast unbezahlter Arbeit verpflichten können und nicht irgendwelche "Mittelstandsgören".
Ich fürchte, dass schon viele Betriebe nur noch fortgeführt werden können, weil sie fest auf unbezahlte oder schlecht bezahlte Arbeit bauen und bei deren Wegfall um ihren Bestand bangen müssen.
Noch zugespitzter ist ja die Haltung gegenüber Schauspielern der freien Szene.
Natürlich ahnt man es, weiß man es, verdrängt es wieder, dass sogenannte Praktikanten ganze Stellen un- oder schlecht bezahlt ausfüllen. Man duldet es ebenso, was schon hochproblematisch ist.
Aber hier empfiehlt der Bühnenverein den Bundesländern im Bundesrat dem Gesetzesentwurf zum Mindestlohn nicht zuzustimmen, um einen „misslichen“ Zustand, gegen übliche Regelungen, als Standard zu etablieren. Niemand hat etwas dagegen, dass junge Menschen ein dreiwöchiges oder auch dreimonatiges Praktikum absolvieren, welches zu einer Ausbildung führen könnte.
Aber hier möchte man ausdrücklich eine Sonderregelung auch nach dem Abschluss einer Ausbildung für Praktika, die länger als drei Monate dauern. Wie soll der Gesetzesgeber diese Sonderregelung formulieren für einen staatlich finanzierten Betrieb? Und welche staatlichen Betriebe könnten diese Regelung dann noch für sich beanspruchen?
Ich finde, der Bühnenverein sollte diese Ausnahmeregelung selber formulieren, damit man genau sehen kann, was man sich so wünscht an Ausnahme. Eine Formulierung, wie man sie sich in einem Gesetz wünschen würde, wäre hier sehr angebracht. Soviel Klarheit sollte der Bühnenverein schon in seine Empfehlung an den Bundesrat einbringen.
Das hat aber nichts zu tun mit Praktikanten/Hospitanten: jeder, der am Theater arbeitet hat es getan: umsonst bei Proben zugeschaut, dabeigewesen, mitgearbeitet, ein Teil des Prozesses geworden, Kontakte geknüpft für spätere bezahlte Arbeit, von schlechten und guten Vorbildern gelernt, Kaffee gekocht und Bier geholt, und vorallem: sich dabei endgültig entschieden am Theater arbeiten zu wollen. Dies nun zu bezahlen halte ich nicht nur für ökonomisch unmöglich, sondern auch für künstlerisch völlig falsch. Abgesehen davon gibt es an vielen Theatern für Hospitanten kleinere Beträge oder Monatskarten. Das hat nichts mit Ausbeutung zu tun sondern mit Luxus-Problemen der 1. Welt.
wenn sie jemanden möchten, der ihnen ein Bier holt oder einen Kaffee kocht, sollten sie sich einen Butler anstellen. Den gibt es allerdings nicht für 8,50 die Stunde. Und natürlich hat es etwas mit Ausbeutung zu tun, wenn jemand nach seiner Ausbildung als qualifizierte Kraft monatelang ohne Lohn arbeitet, denn es geht offensichtlich nicht um Hospitanten, die sich für eine Produktion bei ihrem Lieblingsregisseur bewerben, sondern um Menschen, die ganze Stellen ersetzen.
Dabei dürfte es doch gar kein Problem mit den Hospitanten geben:
1. dreimonatige Praktika, die zu einer Ausbildung gehören sind möglich - damit ist so gut wie jede Produktionshospitanz abgedeckt.
3. Ein Praktikum nach einem abgeschlossenen Studium macht keinen Sinn. Die Möglichkeiten Kontakte zu knüpfen sind sehr begrenzt und werden gern rosiger dargestellt, als sie sind.
2. Ein Praktikum, das länger als drei Monate dauert ist in der Regel kein Praktikum, sondern die Besetzung einer Planstelle mit einem unbezahlten Mitarbeiter. Wenn die Intendanten die Abteilungen ihrer Häuser so ausgedünnt haben (Dramaturgie, Öffentlichkeitsarbeit, szenischer Dienst...), dass sie auf Praktikanten angewiesen sind, hält sich mein Mitleid in Grenzen. Also die Stelle Dramaturgieassistenz gestrichen und dafür ein Jahrespraktikum ... Frechheit.
Die Theater bekommen mit dem Mindestlohn ein ganz anderes Problem, über das sie wohl nicht sprechen wollen: Die Löhne für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die als geringfüg Beschäftigte an ihren Häusern arbeiten werden steigen, und gerade an den kleineren immens. (Vorderhaus, Wachpersonal, Reinigungskräfte, Pförtner). Mal schaun, wann der Bühnenverein darüber zu jammern beginnt.
Eine besondere Frechheit ist übrigens der Hinweis auf Schauspieler der freien Szene, denn er unterschlägt, dass dort die meisten Kollegen gar keine Normalarbeitsverträge bekommen, sondern als Honorarkraft arbeiten, was übrigens rechtlich höchst bedenklich ist. Für Honorar- und Werkverträge gilt der Mindestlohn aber gar nicht, hier werden also weiter Probenpauschale von 800 € für sechs Wochen Probe gezahlt werden. Eine Frechheit ist der Hinweis deshalb, weil das mit Regisseuren / Ausstattern / Musikern auch an kleineren Theatern passieren kann. Also über die einen sprechen und sich selbst meinen.
Schlimm das Ganze.
Sicher ist es nicht verkehrt, als Hospitant auch eine Anerkennung für gute Arbeit zu bekommen, und sei sie nur symbolischer Art. Die meisten Produktionen könnten ohne die Unterstützung durch unbezahlte Idealisten doch gar nicht stattfinden; ob nun am Staatstheater oder in der freien Szene, das nimmt sich meiner Meinung nach nicht viel.
Ob nun 8,50 pro Stunde für Hospitanten drin sein müssen, sei mal dahingestellt - der Vergleich zum Stundenlohn eines diplomierten Schauspielanfängers ist nicht so weit hergeholt. Andererseits ist dessen mieser Lohn nun auch keine Rechtfertigung dafür, andere komplett umsonst malochen zu lassen. Zumindest eine Jahreskarte oder auch mal zwei Freikarten für die Eltern der Hospitanten tun niemandem weh; im Zweifelsfall wird so noch die Auslastung gesteigert - gerade solche Gesten fehlen in der Theaterwelt häufig. Die meisten Hospitanten arbeiten rund um die Uhr. Wie sie und die meisten Assistenten bezahlt werden (und auch die allermeisten Schauspieler) steht auf einem anderen Blatt. Und was die kollektive Zuordnung in den Bereich der "Mittelschichtsgören" betrifft: Arbeit bleibt Arbeit und muss entlohnt werden.
Wenn jetzt jemand aus gutem Hause nach einer Schauspielausbildung ans Theater geht, soll die Person dann vielleicht umsonst spielen, weil Mutti und Vati es ja so dicke haben? Die Quersubventionierung des deutschen Theaters durch besserverdienende Familienmitglieder von Kulturschaffenden als Umkehrschluss zum Gedanken, verwöhnte Abiturientinnen würden mal für ein paar Wochen zum Kaffeekochen vorbeischauen, ist so ziemlich das dämlichste, was ich hier zu lesen bekommen habe.
Ich spreche sowohl aus Sicht eines Hospitanten, eines Assistenten als auch aus der eines gelernten Schauspielers. Dass die zumeist mageren Gehälter, mit denen die Knochenjobs am Theater vergütet werden, durch eine Form von menschlicher Wertschätzung um einiges erträglicher sein könnten, haben die meisten Führungskräfte leider bis heute nicht begriffen. Dabei kostet ein nettes Wort nichts, macht sich aber oft bezahlt.
Die Bereitschaft zur Selbstausbeutung liegt den meisten Künstlern und den Menschen, die in künstlerischen Betrieben arbeiten, wohl inne. So entsteht in der Regel auch gutes Theater: Menschen sind bereit, für eine Sache, von der sie überzeugt sind, an und über ihre Grenzen zu gehen. Das muss aber nicht heißen, dass es der Traum der arbeitenden Personen ist, am Hungertuch zu nagen. Ich persönlich kenne nach mehr als zehn Jahren am Theater niemanden, der sich gerne mit dem schäbigen Schick einer sogenannten Bohème schmücken würde.
Es ist NICHT geil, wenig Geld zu haben.