Autogramme, reine Liebe und Till Briegleb

22. September 2014. Auf die Frage: "Warum haut mich dieser Abend so um?" versucht die Autorin Helene Hegemann in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (21.9.2014) eine Antwort zu geben. Gemeint ist Jette Steckels Inzenierung von "Romeo und Julia" am Thalia Theater Hamburg.

Dass ihr Vater Carl Hegemann der Dramaturg der Inszenierung ist, stellt Helene Hegemann von vornherein klar. "Zu meiner Verteidigung kann ich sagen, dass mein Vater und ich fast nur noch über das gegenseitige Zusenden von Autogrammkarten kommunizieren." Und schließlich müsse sie einfach eine "Abhandlung über die falsche Wahrnehmung von Pop im Allgemeinen" an dieser Inszenierung aufhängen.

Theater als großes gesellschaftliches Ereignis

Denn zu Unrecht werde der Abend von Kritikern "fortgeschrittenen Alters" – angesprochen ist Till Briegleb – zu "Popcorn" und flachem Musical degradiert. "Warum sehen sie nicht, dass das, was hier passiert, den höchsten Anspruch, den man überhaupt an eine Bühnenaufführung stellen kann, einlöst?" Wie also macht Steckel "Theater wieder zu einem großen, gesellschaftlichen Ereignis", so dass in der Pause Theaterbesucher jeden Alters auf den Stufen sitzen und sich ungewöhnlicherweise freuen, dass es noch weiter geht?

"Das liegt zum einen an der Ernsthaftigkeit im Umgang mit dem Stoff – also daran, dass hier nicht auf zwanghaft originelle Weise mit Traditionen gebrochen wird, sondern Übereinstimmungen der Tradition mit modernem Chaos gesucht werden." Die hohe Intensität werde erreicht, indem die zwei bekannten Popmusiker auf der Bühne zu ihrem Startum stünden und die Musik nicht als begleitende Untermalung, sondern als gleichberechtigtes dramaturgisches Element funktioniere. "Wenn Anja Plaschg Me and the Devil singt und sich Romeo und Julia im Hintergrund gleichzeitig ausziehen, knallt das eine Wahrheit auf die Bühne, die anders nicht herstellbar ist." Oder: "Wenn zehn Romeos an der Rampe stehen und brachial laut auf E-Gitarren spielen, bringt einem das mehr über Shakespeare bei als zehn andere Aufführungen."

Reine Liebe anpruchslos finden

Zum Theater- und Kunstverständnis schreibt Hegemann: "In der Kunst kann man das machen, was im Leben nicht möglich ist." Kunst sprenge die Grenzen unserer vernünftigen Weltsicht, "sie entlastet uns – weil es die Kunst gibt, brauchen wir im Leben an unserer Liebe nicht zu sterben – es darf grässlich enden, es muss grässlich enden im Theater."

Wie bei Romeo und Julia. Doch die Kritiker erklärten gönnerhaft, bei der Inszenierung auch mal auf den höheren "Anspruch" verzichten zu können. "Ist der Wahnsinn der Liebe für Erwachsene so marginal? Ist das erwachsen? Dass man die reine Liebe anspruchslos findet? Sollte es nicht gerade erwachsen sein zu zeigen, dass es auch noch etwas Anderes gibt, als im System zu funktionieren?"

(mw)

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