"Spielbetriebsleiter" folgt "Kaukausischem Kreidegreis"

2. Dezember 2014. Die Berliner, aber auch die überregionalen Zeitungen schreiben alle über die Kür Oliver Reeses zum Nachfolger als Intendant des Berliner Ensembles ab 2017. Und zwar mit durchaus einander widerstreitenden Bewertungen.

Kein Grund zum Jubel, aber auch keinen zur Verzweiflung sieht Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (2.12.2014). "Der derzeitige Intendant des Schauspiels Frankfurt am Main ist ein solider, pflichtbewusster und beflissener Spielbetriebsleiter, mit ebenso solider Neigung zur Kunstausübung als Regisseur und Romanadaptator. Es hätte schon ein ruhmreicherer oder knalligerer Name sein können, schließlich waren bis zuletzt Luc Bondy und Leander Haußmann im Kantinengespräch." Aber auch an denen hätte es was zu mäkeln gegeben. "Seine eigenen Regiearbeiten zeichnen sich eher durch Zurückhaltung als durch einen eigenen Ausdruckswillen aus. Er ist als Dramaturg und gelegentlicher Autor eben auch ein Mann des Wortes. Auch wenn diese Einsicht mit Bitterkeit gewürzt ist: Das Künstlersein ist bei aller gebotenen Eitelkeit nicht seine erste Intention. Er wird auch in Berlin vor allem als kulturbetrieblich und kulturpolitisch sicher vernetzter Theateradministrator verdienstvolle Arbeit leisten."

Reese plane wenige Klassiker, aber ein "'Theater der Gegenwart', was nur durch ein 'Theater der Autoren' zu erreichen sei, und zwar im internationalen Rahmen", referiert Rüdiger Schaper im Tagesspiegel (2.12.2014) und meint: "Reeses Befund ist korrekt. Autoren brauchen Pflege, und die Theater müssen ihren 'Uraufführungswahn' aufgeben, wie der künftige BE-Chef fordert. Also auch mal etwas nachspielen, entwickeln, nicht gleich wegwerfen." Dass Reese sich von Anfang an um klares Profil bemüht, sei richtig, selbst wenn er das nachher nicht durchhalten könne: eigentlich keine Klassiker zu spielen. "Ein Theater in Berlin braucht eine klare Ansage. Das zeigt auch gerade wieder das Beispiel Maxim Gorki Theater."

Eine Umsetzung der Autorentheater-Pläne seien "aufs innigste zu wünschen", so Gerhard Stadelmaier in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (2.12.2014). "Reese hat seit seinem Amtsantritt 2009 das Haus am Main nach den Gemütlichkeitsekstasen der Eschberg- und den Schwurbel-Ödnissen der Schweeger-Zeit wieder – mal mehr, mal weniger – zu einer Anziehungsfläche gemacht" und "in der Großstadtwelt verankert". Seine Pläne seien, "wenigstens im Prognose-Modus, etwas Neues, Seltenes, will sagen: selten Gewordenes". Wo Peymann "als 'Kaukasischer Kreidegreis' sanft lustige Kringel hineininszeniert" habe, will Reese keine Roman- und Filmadaptionen bringen, "die er in Frankfurt alle naslang im Programm hatte", sondern große, neue Stücke "fürs große Format, auch und gerade von internationalen Autoren. Einen Spielplan ganz aus genuin dramatischen Novitäten! Dass man das noch erleben darf!" Inszeniert "von neuen Leuten, die er auf- und auszubauen sich zutraut".

Reeses wesentliche Leistung sei "die Balance zwischen Qualität und Gefälligkeit", so Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (2.12.2014). "Stilprägend ist das Frankfurter Schauspiel nie geworden. Reeses eigene Inszenierungen bekamen den Hang ins Boulevardeske, große Auszeichnungen blieben aus." Womit er beim Berliner Ensemble ganz richtig sei: "Das Haus ist eine Seniorenwohnanlage für Theaterlegenden, und darf als solches auch in Zukunft sicher nur maßvoll aus den Angeln gehoben werden."

"Der Gerüchte-Kandidat Luc Bondy wäre eine gute Wahl gewesen, Reese ist eine bessere", findet Matthias Heine in der Welt (2.12.2014). Mit ihm "könnte das Berliner Ensemble, das zuletzt zwar nach wie vor beim Publikum erfolgreich war, aber künstlerisch wenig bedeutend, wieder zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz für die anderen großen Berliner Häuser" werden und das Haus für neue Ästhetiken öffnen, "ohne das Stammpublikum zu verschrecken".

Peter Kümmel verabschiedet sich in der Zeit (4.12.2014) von Claus Peymann, dem ruhmreichen Intendanten, dessen Theater in früheren Jahren durch "Kampf, Zusammenstoß" und "die Geste der Rebellion" geprägt gewesen seien. In Berlin habe sich das geändert: "Die Stadt ließ den wütenden Mann in ihren Weiten auslaufen, man könnte auch sagen: auflaufen. Peymanns Kunst verging im Schatten ihres Schöpfers." Über die Berufung von Oliver Reese verliert Kümmel nur wenige Worte, stellt ihn aber als Gegenmodell zu Peymann dar: Reese sei "kein Kraftkerl und kein geborener Regisseur. Sondern: ein leitender Dramaturg, also der Mann, der dafür sorgt, dass der Verkehr zwischen den Fronten eines Theaters reibungslos läuft."

"Zwischen dieser runtergedimmten BE-Tradition" der letzten Peymann-Jahre und den "eigenen DT-Erfolgen liegt nun Reeses Weg", kommentiert Thomas Irmer im Freitag (5.12.2014). Der Kritiker erinnert daran, dass Reese an den "anspruchsvollen Hits der Hauptstadt" und den "hochschwingenden Inszenierungen" am DT "einen großen Anteil" hatte und die DT-Tradition in Frankfurt/Main "erfolgreich" fortsetzte.

(geka / chr)

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