Der Junge hat zu viel Fantasie

22. Februar 2015. Noch zweimal darf Frank Castorfs "Baal"-Inszenierung gemäß dem Vergleich vor dem Münchner Landesgericht I gespielt werden. Die Diskussion ums Urheberrecht ist damit nicht beendet. In einem großen Pamphlet für die Welt (21.2.2015) schlägt sich der Filmemacher, Schauspieler und Theaterregisseur Leander Haußmann auf die Seite seines Freundes Frank Castorf.

"Unter Regisseuren gilt Brecht als der Autor, den zu inszenieren einem Himmelfahrtskommando gleichkommt. Man wird schier erdrückt von soviel Sachkunde, die einhergeht mit Intoleranz und kunstfeindlichem Bürokratismus, grauhaarig und eitel in seiner ewigen, durch nichts hinterfragten, lehrerhaften, bildungsbürgerlichen, silberhaarigen, kordbejackten, nickelbebrillten, dünkelhaften Einfältigkeit – die uns im besten Fall vor die Schranken eines überforderten Richters bringt", schreibt Haußmann und erinnert sich ausgiebig der DDR-Zeit, als Castorf reihenweise bei den Autoritäten aneckte. Gegen ein Verbot seiner Inszenierung von Brechts "Trommeln in der Nacht" seinerzeit in Anklam, in der "(g)anz sicher" nicht "mehr Brecht drin" gewesen sei als heute im "Baal", hatte ihn noch Barbara Brecht-Schall verteidigt (die der Suhrkamp Verlag mit seiner Klage gegen den "Baal" vertreten hat).

Was haben Autoren am Theater zu suchen?

In knackiger Apodiktik äußert Haußmann Grundsätzliches zu seinem Verständnis von Theaterregie und Autorenschaft: "Warum darf der Autor nicht tot sein, da auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, und warum darf er auf der Bühne nicht leben, indem er sich ständig erneuern und befragen lässt? Traut man ihm nicht genügend Stärke zu? Autoren – und ich weiß, dass mir der Kollege Kehlmann da hart widersprechen würde – schreiben Bücher, Theaterstücke, Drehbücher. Das ist gedruckt, das entspringt ihrer Phantasie, das darf man nicht umschreiben und als eigenes Buch herausgeben. Aber was bitteschön haben die Autoren im Theater zu suchen? Da sollen sie sich raushalten, da passieren Dinge, von denen sie keine Ahnung haben."

Symptomatisch sei dieser Stellvertreter-Prozess für eine deutsche Geisteshaltung, die sich schon in der Schule zeige, wenn es immer mahnend heiße: "Der Junge hat zu viel Fantasie."

(chr)

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