Der missbrauchte Sozialstaat

7. Juli 2014. Unter der Überschrift "Wie lange hält Frankreichs Kultur das aus?" berichtet Jürg Altwegg in der Frankfurter Allgemeinen über die Streiks der sogenannten "Intermittents", die etwa zur Absage der Eröffnung des diesjährigen Avignon-Festivals führten. Es geht bei den Streiks um ein neues Abkommen bezüglich der Arbeitslosenversicherung freier Kulturschaffender, das Ende Juni in Kraft trat: "Es soll jährliche Einsparungen von 150 Millionen Euro bringen. Die Beiträge werden leicht erhöht und die Karenzfristen ein bisschen verlängert. Die Opfer sind zumutbar – aber sie betreffen die Schwächsten, deren Entschädigungen nicht übertrieben sind."

Altwegg beleuchtet aber nicht zuletzt auch die problematischen Seiten der Arbeitslosenversicherung in ihrer bisherigen Form: "Die Zahl ihrer Mitglieder ist in zehn Jahren von 100 000 auf 250 000 gestiegen. Diese Explosion hat nur wenig mit dem Wachstum der Kultur zu tun; der systematische Missbrauch, den die Politik 2003 zu bekämpfen versprach, hat sich inzwischen weiter verbreitet." Am Pranger stünden "viele Produktionsfirmen, die für Film und Fernsehen arbeiten – auch für die öffentlich-rechtlichen Sender. Bei der Kalkulation der Honorare für Kameramänner, Tontechniker oder Schauspieler berücksichtigen sie bereits die Gelder der Arbeitslosigkeit nach dem Engagement. Sie lassen die 'Intermittents' über das eigentliche Engagement hinaus auf Kosten der Kasse arbeiten – manchmal auch Sekretärinnen. Der Sozialstaat für die Kulturbranche wird auf skrupellose Weise ausgenutzt, von den Arbeitgebern sehr viel mehr als von den Kulturschaffenden."

Altwegg zufolge ist so eine eigenartige Schieflage entstanden: "Für jeden Euro, der an Beiträgen [in die Versicherung] einbezahlt wird, kommen fünf Euro und zwanzig Cent zurück. Jedes Jahr entsteht ein Defizit von einer Milliarde. Die Freiberufler der Kulturszene sind sehr viel bessergestellt als die Teilzeitarbeitenden."

(wb)

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