26. August 2014

Im geraubten Reichtum eingerichtet

Morgen kommt in Zürich beim Theaterspektakel Milo Raus neues Projekt "Civil Wars" heraus: Ein Kammerspiel mit Bach-Untermalung und Schauspieler-Quartett, mit Tschechow-Szenen und Seelen-Erforschung, wie der Zürcher Tagessanzeiger herausgefunden hat. "Ist das noch Milo Rau?" will das Blatt also wissen und hat Alexandra Kedves zum Interview mit Rau geschickt.

"Egal, wie oldstyle das klingt: Was heisst es, ein Mensch zu sein?", erläutert Milo Rau das Konzept seines neuen Stücks, "Tschechow forderte, dass nichts vergessen gehen darf, kein einziges Leben. Und um den Bogen zu meiner Europa-Reihe zu schlagen, die mit 'The Civil Wars' beginnt: Gerade gehen Millionen Menschen in Zentralafrika vergessen. Das Theater hat etwas vom Ringen um einen globalen Realismus in Zeiten eines zynischen Humanismus.

"The Civil Wars" sei eine grundsätzliche Selbstbefragung, und plötzlich tauche vieles wieder auf, was ihn früher beschäftigt habe. "Ich verstehe meine Arbeit als eine Stufenleiter: Am Anfang stand die radikale Dekonstruktion, die dem Alten den Boden unter den Füssen wegzog. Dann kam das Repräsentationstheater, die Darstellung dessen, was ist. Und nun könnte man vom 'Allegorischen Theater' sprechen: Es ist formal absolut einfach, jeder versteht es sofort. Präsentation der Tatsachen statt Repräsentation."

"In unserer gutbürgerlichen Wohlfühloase lebt man grundsätzlich in der Schizophrenie. Ich auch. Wir sind wie Tschechow-Figuren Ende des 19. Jahrhunderts, haben uns bequem in unserem geraubten Reichtum eingerichtet. Wir wissen, dass alles zu Ende geht, aber wir machen einfach weiter – bis die nächsten Kriege kommen."

Monatelang habe er zunächst erst bei den belgischen Salafisten, bei Rückkehrern und deren Angehörigen und dann bei Nationalisten und Rechtsradikalen recherhiert. Bis er verstanden habe: "Was diese Menschen glauben und was sie tun, ist nicht der springende Punkt. Die eigentliche Frage ist doch, was dieses Phänomen über unsere ­Gesellschaft sagt." Der globale Humanismus habe sich verabschiedet. Im grossen wie im kleinen Massstab seien die Menschen nur noch als Krieger unterwegs: "allein, in der Krise, kämpfend und orientierungslos."

"The Civil Wars" sei ein Stück Gesellschaftsgeschichte der letzten 30 Jahre: "Es geht um Migration, Extremismus und heisslaufenden Neoliberalismus, um Wurzellosigkeit und unsere merkwürdige Seele, in der diese objektiven Schrecken wie Gespenster wiederkehren."

(sle)

 

 

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