Presseschau vom 18. September 2014 – Die Zeit fürchtet um Pina Bauschs Erbe

Kein Dompteur

Kein Dompteur

18. September 2014. "Ins Bausch-Erbe sind allzu viele Leute verstrickt, menschlich, geschäftlich und künstlerisch: Tänzer, Ex-Tänzer, Ausstatter, Techniker, der Sohn und Stiftungsgründer Salomon Bausch, ein Pariser Verleger. Alle wollen mitreden, mitentscheiden", stellt Dorion Weickmann bei einer Exkursion nach Wuppertal fest.  "Wer möchte da schon Kompaniechef werden?" Bislang sei niemand für den Posten nominiert, obwohl der Stabwechsel 2015 stattfinden soll. "Wird diese Übergabe verpatzt, drohen der Nimbus wie die einst befreiende Dynamik des Tanztheaters in andächtiger Nostalgie zu verstauben", so Weickmann.

Wer immer 2015 an die Ensemblespitze rücke, müsse "aussortieren und Platz schaffen: für Uraufführungen, die den Ausstieg aus der Bausch-Endlosschleife markieren". Stefan Hilterhaus, Leiter des Essener Tanzzentrums PACT Zollverein, der am Zukunft Masterplan für das Tanztheater Wuppertal mitschreibt, schwebe, so Weickmann, "eine Respektsperson" vor, eine Art Dompteur oder Dompteuse für den "Übergang, den sanften Abschied von der Ära Pina Bausch". Der allerdings, ergänzt die Autorin, kaum gelingen könne, solange die "Sphinx von Wuppertal" von zahllosen Hagiografen als Heilige besungen werde, die sich für ihre Kunst geopfert hat. "Geneigte Buchautoren und der Bausch-Clan pflegen solche Legenden ziemlich hingebungsvoll."

Das Tanztheater, so Weickmanns eigene These, müsse sich emanzipieren, von der Bausch-Ikone und dem Erbe-Ballast. "Es muss sich verschlanken und verjüngen und seinen Vorsitz in exzellente Hände legen." Eine "Respektsperson" sei dafür die falsche Besetzung. "Zu harmlos, zu bequem." Das Wuppertaler Tanztheater brauche, wenn es überleben wolle, keinen Dompteur, keine Gouvernante und keinen Seelenpfleger. "Sondern eine profilierte Persönlichkeit mit klaren künstlerischen Ambitionen." Im Ballett funktioniere die Weitergabe von Werken oft reibungslos, "weil es sich bewegungssprachlich auf einen Kanon bezieht". Die moderne, die zeitgenössische Choreografie lasse sich dagegen viel schwerer vererben. "Nicht
umsonst hat Pina Bauschs ebenfalls 2009 verstorbener US-Kollege Merce Cunningham testamentarisch die Abwicklung seiner Kompanie bestimmt." Er habe auf diese Weise vermieden, was in Wuppertal drohe: "das museale Verdämmern bahnbrechender Kreationen".

(sd)

Mehr lesen: Der Tagesspiegel zur Zukunft von Pina Bauschs Wuppertaler Tanztheater – Presseschau vom 2. April 2014

mehr medienschauen