Keksdose Internet

von Georg Patzer

Karlsruhe, 12. Oktober 2014. Edward Snowden als Baby, Edward Snowden als Cowboy spielendes Kind im Kreis seiner glücklichen Familie, Edward Snowden mit seiner Freundin auf Hawaii. Dazwischen Bilder von seinem ersten Computer. Bilder, Bilder, Bilder: "Wie lässt sich der größte Überwachungsskandal der Geschichte in ein emotionales Bild fassen?" Das war die Ausgangsfrage für das Theaterprojekt "Ich bereue nichts" des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, für das der Regisseur Jan-Christoph Gockel, der Schauspieler Thomas Halle und der Autor und Dramaturg Konstantin Küspert verantwortlich zeichnen.

Wie fängt man damit an? "Das erste Bild, ein ungelöster Rubik's Cube. Aufblende. Das Hotel Mira in Hongkong. Fahrt durch die Eingangshalle, eine Lobby voller Leute. Gewusel. Ein junger Mann zwischen 25 und 29 Jahre alt, arbeitet an einem ungelösten Rubik's Cube, und dieser Rubik's Cube ist das erste Bild …"  Oder die Antwort des Direktors der NSA auf die Frage des US-Kongress, ob die NSA Daten von Millionen Amerikanern speichert: "No, Sir, not wittingly." (Nicht wissentlich.) "Nein, nein, persönlicher, das erste Bild, es läuft schöne Hawaii-Musik, es ist 8 Uhr morgens und Edward Snowden kommt vom Strandspaziergang nach Hause, seine Freundin empfängt ihn mit einem warmen Kaffee mit aufgeschäumter Milch und ein bisschen Zucker, er schlägt die Zeitung auf und liest diese Lüge vom Director of National Intelligence und beschließt in diesem Moment die Daten der Weltöffentlichkeit preiszugeben."

Der überwachte Schauspieler

Wie also kommt man dem ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden nahe? Vielleicht mit richtigen Bildern, mit Fotoalben, die im Zuschauerraum verteilt werden. Und mit Bildern, die von Thomas Halle auf der fast leeren Bühne gespielt werden: Snowden als Don Quijote. Oder als Kind in Cowboyanzug, dem die Mutter sagt, der Vater sei jetzt ausgezogen. Oder Thomas Halle selbst, nackt, mit einem großen Bildschirm vor sich, erklärt, dass er sich im Rahmen dieses Projekts hat überwachen lassen, "damit wir das irgendwie anschaulicher bekommen". Man sieht sein Bewegungsprofil durch Karlsruhe, nach Mainz, Frankfurt und Berlin.

ich bereue nichts1 560 felixgruenschlostaatstheaterk uThomas Halle macht sich ein Bild von Edward Snowden (und hat eines am Spiegel)
© Felix Grünschloß
Derart symbolisch ist manches an diesem Abend auf der Studiobühne: der nackte Mensch mit einem Bildschirm, durchleuchtet und sichtbar. Oder der "Ritter von der traurigen Gestalt", der genau sieht, dass die Windmühlen in Wirklichkeit böse Riesen sind. Oder am Schluss, als Snowden abtauchen muss und Halle sich einen altertümlichen Taucheranzug anziehen lässt. Es bleibt aber leider oft auch so oberflächlich.

Wir warten sehnlich auf die nächste Wanze

An anderen Stellen wird man mit Informationen und Daten bombardiert, mit Anweisungen, wie man es schafft, seine E-Mails zu verschlüsseln. Und währenddessen bekommt Halle die Ritterrüstung angezogen, bis er wirklich gut geschützt ist. Und erzählt von "Aktivisten in Tibet, in der Ukraine, in Ägypten, wo Facebook erst dazu genutzt wurde, um sich für die Revolution auf dem Tahrir-Platz zu verabreden, und dann wiederum vom Staat genutzt wurde, um diese Aktivisten zu finden, sie dann einzusperren und umzubringen." Es ist der alte Konflikt zwischen Sicherheit und Offenheit.ich bereue nichts 560 felixgruenschlossstaatstheaterk uGerüstet gegen das Daten-Bombardement © Felix Grünschloß

Das "Stück" zerfällt in einzelne Szenen, umrahmt von Inspizientenanweisungen, die Halle in ein Mikrofon flüstert, Musik von u.a. Bruce Springsteen, Ausschnitten aus Interviews von Snowden und Aussagen von Angela Merkel, für die "das Internet noch Neuland" ist. Es gibt witzige, kabarettistische Momente, wenn Halle das Internet mit einer Packung Kekse vergleicht und darüber nachdenkt, ob die NSA-Mitarbeiter immer dieselben Kekse essen oder nur den Schokoladenüberzug, oder wenn er sagt, "dass das neue iPhone, auf das wir alle so sehnlichst warten, auch nur eine Wanze ist, mit der wir zufällig auch telefonieren können."

Wo bleibt das emotionale Bild?

Thomas Halle gibt sein Bestes, virtuos und glaubhaft spielt er alle Rollen, und er spielt sie so, dass sie auch Rollen bleiben, Versuche der Annäherung. Immer wieder bricht er aus und wendet sich ans Publikum, das (symbolisch!) in einem hellen Raum sitzt und mit Keksen, Fotoalben und Ritterhelmen versorgt wird.

All das ist lobenswert und sehr aufklärerisch, aber keine Antwort auf die selbst gestellte Eingangsfrage des Theaters, wie man ein "emotionales Bild" von Snowden bekomme. Vieles an diesem Abend bleibt eine dröge Angelegenheit: Was bringt es für einen Erkenntnisgewinn, wenn wir wissen, dass Snowden ein Scheidungskind gewesen ist? Dass er sich beim Training für den Irakkrieg beide Beine gebrochen hat? Dass er immer ruhig war und nie laute Musik gehört hat? Seinen wahren Motivationen kommt das Theater damit nicht auf die Spur.

 

Ich bereue nichts
Ein NSA-Projekt von Jan-Christoph Gockel, Thomas Halle & Konstantin Küspert
Uraufführung
Regie: Jan-Christoph Gockel, Ausstattung: Julia Kurzweg, Musik: Matthias Grübel, Dramaturgie: Konstantin Küspert.
Mit: Thomas Halle, Angela Pfützenreuter, Julia Marquardt.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.staatstheater.karlsruhe.de

 

Kritikenrundschau

Auf der Bühne blättert man in Snowdens Familienalbum, und die szenischen Stationen von Snowdens Biographie illustrieren immer auch die Grenzen und Widersprüche der digitalen Utopie, schreibt Martin Halter in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (14.10.2014). "Manchmal klingt das wie eine 'Sendung mit der Maus' über den Überwachungsstaat." Aber immerhin werde Snowden nicht nur als Kronzeuge vor den Theateruntersuchungsausschuss geladen, sondern es wird ihm auch der Prozess gemacht. Fazit: "Das Bild, das in Karlsruhe von Edward Snowden entworfen wird, ist zwar verwackelt und unscharf, aber mehr als nur ein kryptologisches Skript für Nerds."

Kniebeugen an der Polestange - "das sind so die Bilder, die dem Theater einfallen, obwohl es doch eigentlich um einen Mann geht, der sein eigenes Leben infrage und das Interesse der Allgemeinheit über sein Eigeninteresse stellt", kritisiert Jürgen Berger in der Süddeutschen Zeitung (14.10.2014). Schauspieler Thomas Halle arbeitet sich auf der Suche nach einem Bild von Snowden an Bildern ab: "Snowden als Junge im Cowboy-Outfit, Snowden als Datenritter mit Rüstung. Oder er schlüpft in die Rolle des Theaterinspizienten." Das Familienalbum sei eine schöne Idee und markiert den Weg, der gesucht, aber nicht mutig genug beschritten wurde, "er beginnt dort, wo dokumentarisches Material fiktional weiterentwickelt wird".

Das Stück, das mit Ironisierungen und Brüchen arbeite, versuche "Anstöße zum Bewusstseinswandel der Zuschauer (und Internetnutzer) zu geben", schreibt Thomas Weiss im Badischen Tagblatt (14.10.2014). Die Suche nach der Person Snowdens (von Thomas Halle "virtuos" gespielt) werde dafür mit Reflexionen über die Verschlüsselungstechnik PGP, die Snowden und der Journalist Greenwald für ihre Korrespondenzen benutzten, verknüpft. Das Geschehen dieses "komplexen Abends" sei nicht immer theatralisch "überzeugend" gelöst.

 

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