Launige Luxusgeschöpfe

von Shirin Sojitrawalla

Wiesbaden, 13. Dezember 2014. Jonas Lüschers Novelle "Frühling der Barbaren" ragte aus den deutschsprachigen Neuerscheinungen des Frühjahrs 2013 wundersam heraus. Dabei ist es nur eine kurze Geschichte, nicht einmal 120 Seiten, die aber gleich mit mehreren unerhörten Begebenheiten aufwartet und dabei ins Herz der gegenwärtigen Finsternis zielt. Es ist eine moralische Geschichte, in der das Menschsein zur Mutprobe gerät. Im Zentrum steht Preising, ein wohlsituierter Schweizer Fabrikerbe, der sich gewählt und immer ein bisschen altmodisch auszudrücken versteht. Dieser Preising unterhält sich mit einem anderen Mann und Lüscher deutet an, dass die beiden sich in einer psychiatrischen Anstalt befinden. Doch beim Lesen vergisst man das und denkt, sie könnten ebenso gut im Gefängnis oder vor Gericht auf und ab gehen. Ein dritter Erzähler erweist sich bei Lüscher dann als allwissend und weiß naturgemäß alles besser.

Hochzeit im tunesischen Luxusressort

Andrea Vilter, Chefdramaturgin und Leiterin des Schauspiels, hat aus der Novelle eine Theaterfassung gemacht, die sich ans Original hält, keinen wesentlichen Satz vermissen lässt und das Gesagte auf mehrere Münder verteilt. Ulrike Arnold inszeniert das in der Wartburg mit zwei Schauspielern und einer Schauspielerin: Roland S. Blezinger spielt Preising als tumb schwerfälligen Nobody ohne erotisches Potenzial, der so gar nichts gemein zu haben scheint mit dem weltläufig gebildeten Preising aus dem Buch. Merkwürdig. Schweizer ist er anscheinend auch nicht mehr, jedenfalls spricht er das Wort Rösti wie ein Deutscher aus.

Wie dem auch sei, dieser Preising erzählt einem anderen (Stefan Graf) (s)eine Geschichte und die führt ihn und uns nach Tunesien in ein Luxusressort in der Wüste, bevölkert von einer exaltierten Gruppe betuchter Briten aus der Finanzwelt, die dort groß Hochzeit feiern wollen. In dieser Urlaubsoase trifft der sich auf Geschäftsreise befindende Preising auf Pippa, die Mutter des Bräutigams, die dem geldgeilen Gebaren der Hochzeitsgesellschaft wenig abgewinnen kann und inmitten der proletenhaft auftrumpfenden Luxusgeschöpfe wie ein schöner fremder Käfer leuchtet. Es dauert gar nicht lange, bevor sich die Ereignisse überschlagen, die Finanzmärkte kollabieren und alles in einer Tragödie endet, wobei im Zuge dessen noch manch andere Sauerei passiert.

fruehlingderbarbaren 560enaobst uWeltläufigkeit und Wandlungsfähigkeit: Roland S. Blezinger als Preising und Sólveig Arnarsdóttir in diversen Frauenrollen © Lena Obst

In Lüschers Novelle geschieht das in einer kaum zu ertragenden Kühle, die sich auch aus dem distanzierten Erzählstil speist, in welche die sich überschlagenden Ereignisse hineindonnern wie Kanonenschläge. Ulrike Arnold entscheidet sich erst einmal für eine launigere Gangart und für eine deutlich höhere Temperatur. Zu Beginn des Abends versucht sie, den meist in indirekter Rede daherkommenden Sätzen mit einigen Slapstickeinlagen zu Leibe zu rücken. Das wirkt die meiste Zeit recht bemüht und zeitigt wenig Witz. Dass Preising dann auch noch mit übersteuertem deutschen Akzent Englisch sprechen muss, macht es nicht lustiger.

Der Text passst auf die Bühne

Schwerer wiegt, dass der Text und auch die drei Schauspieler die zusätzliche Belustigung, die sich im Laufe des Abends dann passend zur ansteigenden Tragik verliert, gar nicht nötig hätten. Allen voran Sólveig Arnarsdóttir, die an diesem Abend alle Frauen verkörpert, überwältigt mit manch einem großen Auftritt. Etwa als feinnervige Pippa, die ihrem Mann Sanford die unverschämte Geschmeidigkeit junger Leiber neidet und deren Gram sich einem feinen Schleier gleich über ihr trauriges Gesicht legt. Oder als resolute Hoteldirektorin Saida, die in Herrscherpose über die Bühne stöckelt und falsche Geradheit ausdrückt. Oder auch als Pippas Gegenspielerin Jenny, die Affäre, die ihren Mann um seinen soziologisch geschulten Verstand bringt, was uns eine hinreißend tapsige Verführungsszene beschert. Auch Stefan Graf, der auf der Bühne nicht selten den agil reizbaren Erzähler gibt, spielt an diesem Abend mehrere Rollen, etwa den stotternd liebeskranken Sanford und den brutal dummen Quicky.

Dabei bleibt die alte Frage, warum man aus dieser Novelle unbedingt einen Abend für die Bühne machen musste, müßig, denn der Text ist nun einmal dermaßen gut, dass man leicht nachvollziehen kann, warum man ihn für die Bühne fruchtbar machen wollte. Das gelingt an diesem Abend aber nur bedingt, in der ersten Stunde leidet das Bühnengeschehen zu sehr unter seiner Spannungslosigkeit, was auch die orientalischen Klänge und Lichtspiele nicht überdecken. Je mehr aber die Eskalation der Geschichte voranschreitet, desto besser scheint auch die Inszenierung Tritt zu fassen und wir mit ihr. Bloß: Mit der ironischen Eleganz und moralischen Wucht der Vorlage hat der Abend nichts gemein.

 

Frühling der Barbaren
von Jonas Lüscher
In einer Theaterfassung von Andrea Vilter
Regie: Ulrike Arnold, Ausstattung: Julia Ströder, Dramaturgie: Anna-Sophia Güther.
Mit: Stefan Graf , Roland S. Blezinger und Sólveig Arnarsdóttir
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.staatstheater-wiesbaden.de

 

Kritikenrundschau

Eva-Maria Magel schreibt im Rhein-Main-Teil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (15.12.2014), der Abend sei "weniger Stück als eine handliche Zurichtung dieses Textes für die Bühne". "Solches Erzähltheater auf Romanbasis ist schon lange in Mode, mit Glück zieht es die Zuschauer wirklich in den Bann. In Wiesbaden tut das Theater, trotz der beherzten Schauspieler und allerhand Einfällen auch nicht viel zum Text dazu." Manches werde gestrafft und konzentriert, "Nuancen springen dabei über die Klinge". Die Schärfe der ursprünglichen Versuchsanordnung wirke dadurch nicht mehr ganz so hart, die Ironie werde in Komödie verwandelt. Allenfalls die Hälfte des Abends trage zum Amüsement bei.

Viola Bolduan spricht im Wiesbadener Kurier (15.12.2014) von einer "authentischen" Übersetzung auf die Bühne und einer "klugen" Kürzung. Eine "konsequent ablaufende Handlung, eine nachzuvollziehende Geschichte", werde dennoch nicht daraus, man solle das Buch besser vorher gelesen haben. "Was der Bühne an theatralen Umsetzungsmöglichkeiten bleibt, nutzt Regisseurin Ulrike Arnold weidlich: Das Stück gewinnt kontinuierlich an Fahrt und Lautstärke, die drei Darsteller sehen sich im Tempo ihrer Rollenwechsel immer mehr gefordert".

Auch wenn es "nicht die merkwürdige Ruhe" von Lüschers Novelle ist, "die auf die Bühne herübergerettet wurde, auf der es gerne auch spaßig zugeht, so ist es doch ein entspannter Abend, der damit den erschreckenden Gegensatz von Erzählton und Erzähltem ohne weiteres transportieren kann", findet Judith von Sternburg von der Frankfurter Rundschau (online: 15.12.2014). Die Aufteilung des Erzählers auf drei Schauspieler findet die Kritikerin nur "in Maßen überzeugend". Arnold aber sorge dafür, dass sich das Ensemble langsam in die Geschichte hineinverwickele, sie konstatiert gar einen "Triumph des Geschichtenerzählens." Das alles sei "lustiger als bei Lüscher" und man sei "über die 105 pausenlosen Minuten wirklich sehr interessiert". Lüscher gebe dem Theater, "was es dringend braucht: Eine zeitgenössische Geschichte, die ein Hammer ist."

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