Ausgegrenzte aller Länder, vereinigt euch und spielt!

von Isabel Winklbauer

München, 5. April 2014. Die Rahmenhandlung von Eyal Weisers "This is the Land" ist so kompliziert, dass man einen Knoten im Kopf bekommen könnte. Realität ist: 2011 erfand das israelische Ministerium für Kultur den Zionist Creation Award, einen Preis, der seitdem vorbildliche zionistische Kunst auszeichnet. Viele Regisseure boykottierten den Preis, der Kunst unverfroren in den Dienst der Politik stellt. Andere tobten, weil ihre Arbeiten nach Gutdünken abgelehnt wurden. Die fiktive Reaktion auf diesen Eklat liefert nun der israelische Regisseur Eyal Weiser, indem er von einem imaginären Gegenfestival ausgeht, dem Festival all derer, die beim Zionist Creation Award abgelehnt wurden. So einen "Salon der Abgelehnten" gab es auch in der Pariser Kunstszene des 19. Jahrhunders, wo die Nachwuchsmaler um einen Platz in der Jahresausstellung, genannt Salon, rangen; er ist durchaus ein Traditionsformat. Weiser lädt nun zum "Zionist-Creation-Salon der Abgelehnten". Was bedeutet, dass hier Kritik am Zionismus erlaubt ist.

Die Zuschauer lernen drei Abgelehnte kennen, die von Weisers Schauspielern ganz leger und damit hyperrealistisch gestaltet werden. Modedesignerin Gali Sudansky (Efrat Arnon) packt etwa wie hypnotisiert ihre Schaustücke aus Haushaltsboxen aus, legt sie sich nacheinander an und posiert darin in professionellen Modelposen. Dabei gibt sie die unglaublichsten Gerüchte aus der Zionistenküche zum Besten. Die jüdische Bevölkerungsmehrheit sei in Israel gefährdet, weiß sie etwa, daher suche die Heimatbehörde jetzt in der Mongolei nach einer sagenhaften, jüdischen Volksgruppe, die sie heimholen wolle. In der Wüste Negev unterhalte das Militär ein zweites Tel Aviv, an dem Angriffe geübt würden, und das mit illegalen, afrikanischen Einwanderern besiedelt sei... Ach ja, und koschere Schweine mit mehreren Mägen seien auch schon in Züchtung. Man kommt nicht umhin, die Zionistin für paranoid zu halten.

"This is the land": Erfundene Holocaust-Biografien
Ayala Opfer (Natalie Fainstein) berichtet von einer schizophrenen Nachbarin, die schrecklich leidet, und deren Holocaust-Traumata sie – da die Dame nicht mit ihr redet – in einem selbst erfundenen Tagebuch  nachschreibt. Sie malt sich die erlittene Verfolgung durch die Nazis aus, die Deportation ins Konzentrationslager, den grauenvollen Gang in die Gaskammer. Nur: Die schizophrene Nachbarin ist gar kein Holocaust-Opfer, sondern eine ehemalige Geschichtslehrerin. "Wir erfinden fiktive Holocaust-Biografien für Fremde", sagt Ayala Opfer, "weil es uns Sicherheit gibt. Ich bin schockiert, wie wir Israelis den Holocaust überall als Grundübel annehmen. Ich stelle meine Wurzeln in Frage."

rj 560 thisistheland gadidagon uBomben-Beatboxing: "This is the land". © Gadi Dagon

Neta Weiner schließlich erzählt als Regev Huberman eine verrückte Familiengeschichte über vier Generationen. Leider verpuffen inhaltlich große Teile seines sprachlichen Kunststücks durch den rasenden Vortrag in drei Sprachen: Englisch, Hebräisch, Arabisch. Dennoch begeistert er, unter anderem mit Beatboxing – nur dass er kein Schlagzeug nachmachte, sondern Maschinengewehre und Handgranateneinschläge. Geräusche, die in Israel wesentlich normaler sind als in München.

"Life & Strive": Lasst uns Millionäre sein!
Zuvor, am Eröffnungs-Nachmittag des zehnten Radikal jung Festivals für junge Regisseure (hier die Eingeladenen im Überblick), hatten die Zuschauer schon Bekanntschaft mit anderen Universen gemacht. In der "Lottery" von Saar Székely und Keren Sheffi erteilt ein Computer den Teilnehmern per Zufallsgenerator Rollen und Handlungsbefehle. In der ebenfalls interaktiven Produktion "Life & Strive" geben Anat Eisenberg und Mirko Winkel den Zuschauern die Möglichkeit, sich als Steinreiche auszugeben und eine echte, derzeit auf dem Markt angebotene Luxusimmobilie zu besichtigen. Sogar ein Stylist mit Kleiderauswahl war vor Ort, um die zu Schauspielern transformierten Zuschauer glaubwürdig herzurichten.

rj 560 lifestrive uUnd wo wäre dann das Ankleidezimmer? "Life and strive" © Radikal jung/Münchner Volkstheater

Im schwarzen Luxusbus ging es anschließend zum Besichtigungstermin im luxussanierten Sozialwohnungsbau in Schwabing, hoch hinauf in ein Drei-Millionen-Penthouse mit Dachterrasse. Vor dem auf Verkauf gebürsteten Makler ließ so mancher "Zuschauer" mit Vergnügen den Geldsack heraus hängen ("Haben Sie nicht mal was zum Knabbern hier?"). Ein Heidenspaß – mit bitterem Realitäts-Kern: Derartige Millionärswohnungen, deren Quadratmeterpreise gut 25.000 Euro erreichen, werden in deutschen Städten immer gefragter. Ihnen zuliebe wird, entgegen aller Mietpreisbremsen oder sonstiger Luftversuche, regelmäßig Wohnraum für Normalsterbliche "umbewertet".

 

Life & Strive
Regie und Konzept: Anat Eisenberg und Mirko Winkel
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

This is the Land – Der Zionist-Creation-Salon der Abgelehnten
Regie: Eyal Weiser, Fotografie und Video: Rami Maymon, Nadav Aronowitz, Choreografie: Stav Marin, Kostüme & Requisite: Tamar Levit, Bühne: Yinon Peres.
Mit: Efrat Arnon, Natalie Fainstein, Neta Weiner.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.muenchner-volkstheater.de

Mehr zum Radikal jung Festival 2014: Alle eingeladenen Produktionen.

 

Kritikenrundschau

Für Michael Stadler funktioniert "Life & Strive", das in Istanbul Premiere hatte, auch in München: "Die Nervosität, die man als Fake-Millionär bei der Besichtigung hat, legt sich bald", schreibt Stadler in der Münchner Abendzeitung (7.4.2014). "Man fragt sich, was man tatsächlich machen würde, wenn man Millionär wäre – oder selbst Vermieter in einer Stadt, wo solche Preise möglich sind." "Unbequeme Wahrheiten, im Kleid einer Performance zwischen Wirklichkeit und Fiktion", bringt "This is the Land" von Eyal Weiser für Stadler. Als deutscher Zuschauer ringe man mit dem Verständnis – "ein wenig ist das so, wie wenn ein bayerischer Kabarettist in Israel auftreten würde, um Pointen über den Status quo der deutschen Politik abzuschießen. Was viel harmloser wäre." Vielleicht sei das aber auch eine wertvolle Erfahrung: "informiert und überfordert zu werden, als Ansporn, viel mehr über den Tellerrand zu blicken".

Eyal Weisers Inszenierung (…) erfordere hohe Konzentration, schreibt Michael Schleicher im Oberbayerischen Volksblatt (7.4.2014) zu "This is the Land". "Ihre Stärke: Man kann sich nie sicher sein, ob nicht doch (und wenn ja, wie viel) Realität in diesen fiktiven Biografien steckt."

"Weisers Triptychon ist zum ersten Mal außerhalb Israels zu sehen, und man merkt ihm an, dass es nicht für den Export geschaffen wurde", schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (8.4.2014) über "This is the Land". Doch vieles verstehe man auch hier. "Eyal Weisers Arbeit ist scharf und böse", so Tholl. Das seien die beiden anderen israelischen Beiträge bei Radikal jung nicht. "Aber: Sie verändern den Zuschauer." Bei "Life & Strive" wisse man nie genau, was gerade Realität oder inszeniert ist. Insgesamt zeigt die Radikal jung Eröffnung für Tholl, "dass man auch in Israel neue Formen im Theater sucht".

Der Blick in die Welt der Superreichen sei "zumindest in der Münchner Variante" weit weniger interessant als das, was dabei mit einem selbst passiert, schreibt Sabine Leucht in der taz (9.4.2014) über "Life & Strive". "Vom Fleck weg hat man das Gefühl, in ein Klischee zu schlüpfen und ihm zugleich aufzusitzen." Das Spiel bringe bei manch einem die Fantasie in Bewegung, sodass man sich weniger als Voyeur denn als potenziellen Akteur der Verdrängung auf dem Wohnungsmarkts erfahre. "Das ist sehr unbequem."

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