Stumme Schreie

von Hartmut Krug

Salzburg, 15. August 2014. Menschenleer die von einem mächtigen schwarzen Kubus beherrschte Bühne. Das Gebilde steht wie eine Bockwindmühle auf einer beweglichen Spitze und schwankt hin und her. Dieser Raum scheint voller Eigenleben und Erfahrungen. Man hört Krach, vielleicht Kriegslärm. Und dann bahnt sich ein in diesem Bewusstseinsraum eingesperrter Mann mit einem Beil den Weg ins Freie. Es ist der Schauspieler Paul Herwig als Georg Trakl, der während des ersten Weltkriegs in einer Nervenklinik in Krakau festgehalten wird. Man untersucht ihn wegen eines Selbstmordversuches im Felde nach schlimmen Kriegserlebnissen im ostgalizischen Grodek.

Lebens-Schlacht

Regisseur Nicolas Charaux und Pia Greven haben ein sinnfälliges Bild für die Situation von Trakl nicht nur in der Klinik, sondern in seinem Leben gefunden. Das Objekt: Ein Raum mit Eigenleben, aber unbeeinflussbar. Herwig reagiert Trakls innere Kämpfe an dem Kasten ab, bewegt ihn mit Mühe, umkreist ihn, steigt hinein und hinaus, rennt hin und her, nimmt dessen Fetzen in die Hand, zerbröselt sie. Das ist, auch wenn dabei vieles szenischer Selbstzweck ist, erst einmal eine durchaus gelungene Performance.

derabschied6 560 bernhard mueller uSuche nach dem Weg ins Freie: Der Dichter Georg Trakl (Paul Herwig) © Bernhard Müller

Doch Herwig muss dazu einen Text von Walter Kappacher sprechen, der sich dokumentarisch durch Trakls Gedanken und Erlebnisse bewegt. Als Ich-Erzähler referiert er biographische Details, erklärt, wie er an der Welt leidet und dass es ihm unmöglich ist, mit dem Leben aus- und zurecht zu kommen. Dabei stehen sich Performance und Text nicht nur formal recht beziehungslos gegenüber.

Einfacher Soldat

Der Büchnerpreisträger und Romanautor Walter Kappacher, wie Trakl Salzburger, hat nach einem Text über Gustav Mahler 2011 den Salzburger Festspielen mit "Der Abschied" nun ein Auftragswerk über Trakl geliefert. Der Text arbeitet sich ordentlich durch die Erfahrungen des Dichterkollegen. Fast schulfunkhaft klingt das, wie da ein Leben umkreist wird. Trakl erzählt seine Kriegserlebnisse, von seiner (durchaus inzestuösen) Liebe zur Schwester, von seinen Gedichten, die er auch zitiert, dabei komprimiert und überhöht, was im Ich-habe-gedacht-und-gemacht-Monolog doch arg buchhalterisch wirkt. Wo zum Beispiel Franz Fühmanns wunderbares kleines Buch "Der Sturz des Engels" Trakls Werk und Leben sinnlich und sinnhaft durchdenkt, und es mit den Erfahrungen eines Lesers zusammenbringt, da wirkt Kappachers Text doch arg nüchtern nachbuchstabierend, beinahe referathaft.

derabschied5 560 bernhard mueller uTonloses Leiden: Paul Herwig  © Bernhard Müller

Der Schauspieler Paul Herwig, 2010 für seine Darstellung des Johannes Pinneberg in Luk Percevals Fallada-Inszenierung mit Preisen überhäuft, wirft sich mit (allzu viel) Kraft in die Rolle des verkapselten Trakl. Kahlgeschoren und in weißem Hemd über einer Uniformhose spielt er einen fast schweykschen einfachen Soldaten als Opfer des Krieges. Das Opfer als Mitleidstyp, gefühlvoll aber ohne echte Schärfe gegeben. Die Beschreibungen Trakls von seinen Dichter- und Verlagskollegen passen mit dieser Bühnenfigur nicht recht zusammen. Herwig bleibt durchgehend auf dem gleichen Ton, liebt einen darstellerischen Aktionismus, dazu expressive Veräußerlichungen und allzu bedeutungsvolle Mimik.

Stiller Selbstmord

Da leidet er tonlos und reißt mehrfach den Mund weit auf, als wolle er den berühmten Schrei von Munch und den stummen Schrei von Helene Weigel als Brechts "Mutter Courage" toppen. Und wenn er Wut äußert, dann aber laut und mit Kopf in die Höh. Wenn Erinnerung an einen Tanz, dann aber tanzend froh sein. So gibt Herwig eine schmale Figur mit allzu viel gestisch-mimischem Bedeutungseinsatz. Während Trakls Gedichte, die Atem und Luft brauchen, einfach so mitgesprochen werden. Der Schluss des Abends ist dann überzeugend unprätentiös. Herwigs Trakl zieht sich mit langem Gewand (priesterlich) schwarz an und legt sich zum Selbstmord still in den Kubus.

 

Der Abschied
von Walter Kappacher
Uraufführung
Regie: Nicolas Charaux, Bühne und Kostüme: Pia Greven, Lichtdesign: Gerhard Fischer, Sounddesign: David Lipp.
Mit: Paul Herwig.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.salzburgerfestspiele.at

 

Kritikenrundschau

"Der Abschied" wollte Kappachers erstes Stück sein. "Aber es ist keins. Es ist bestenfalls ein Monolog, ein Erinnern, ein Erzählen ohne Adressat", schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (18.8.2014). Hier vergewissere sich einer kurz vorm Sterben seines eigenen Lebens. "Mit Trakls Lyrik aromatisiert Kappacher seinen viel zu braven Text, sein sanftes Raunen", und man könne Charaux und seinen hingebungsvollen Schauspieler, Paul Herwig, nur bewundern, mit welcher Verve sie aus dem 'Abschied' ein theatrales Ereignis machen wollen." Herwig schreie und flüstere, "entrüstet sich und träumt, lacht, lacht schallend, irr und frei". Fazit: "Herwig gibt alles – doch nichts bleibt. Weil nichts da ist, das haften könnte."

Paul Herwigs Ausdruckspalette reiche von ruhigem Erzählen über exzessives Schreien bis zu wahnhaftem Toben und Poltern, schreibt Werner Thuswaldner in den Salzburger Nachrichten (18.8.2014). Alles sei mit sorgsamer Überlegung geschrieben und dargestellt. "Der pointierte Rückblick eines Lebens, insbesondere auf die Dramatik der letzten Tage, sollte einen aufwühlen und erschüttern. Das geschieht aber nur bedingt." Daher erscheine es einem nicht als dringend nötig, Kappachers Text auf der Bühne umgesetzt zu sehen. "Zum Lesen eignet er sich bestimmt ausgezeichnet, aber auch, gut gelesen, für eine rein akustische Vermittlung."

"Wer die fast kindliche Sensibilität des Schauspielers Paul Herwig kennt, weiß, dass seine Figuren immer etwas von einer sehr menschlich anrührenden Naivität besitzen", so Sven Ricklefs auf DLF Kultur vom Tage (16.8.2014). Zusammen mit seinem Regisseur Charaux habe Herwig in dieser eher zurückhaltenden Uraufführungsinszenierung ziemlich auf den Text dieses Monologs vertraut, auch wenn sie hier und da mit einer Geräuschkulisse spielen, zu der sich der Schauspieler in Beziehung setzen kann. "Es ist sicherlich kein ganz großes Stück, dieses Theaterdebüt des 75-jährigen Walter Kappacher, dazu hangelt es sich passagenweise zu akribisch an Fakten entlang."

 

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