In der perfekten Welt

von Martin Krumbholz

Düsseldorf, 13. September 2014. Einerlei. Schade, dass es dieses Wort nicht mehr gibt, das so viel schöner klingt als "egal" oder "gleichgültig". Dostojewskis "Lächerlicher Mensch" benutzt es oft, ihm ist vieles einerlei, obwohl ihm gar nichts gleichgültig ist. Einerlei ist ihm, dass die anderen ihn lächerlich oder gar verrückt finden, was ja einer Beförderung gleichkäme. Mehr noch, ihm ist selbst am besten bewusst, dass er lächerlich ist. In Wahrheit ist er natürlich – wie sein Autor – ein Moralist. Er verzweifelt am Zustand der Welt und möchte sich erschießen. Den Revolver hat er bereits gekauft und auch schon geladen. Bevor er zur Tat schreitet, träumt er einen Traum, in dem die Frage untersucht wird, ob die Menschen schön und glücklich sein können, ohne die Fähigkeit einzubüßen, in dieser Welt zu existieren.

Freiwillige Samstagsarbeit

Subbotnik, das ist russisch und heißt soviel wie "freiwillige Samstagsarbeit im Dienst der Gemeinschaft". Das dreiköpfige Kollektiv, das sich diesen Namen gegeben hat, besteht aus dem Musiker Kornelius Heidebrecht, der aus Kasachstan stammt, dem Schauspieler Oleg Zhukov (aus der Ukraine) und dem Regisseur Martin Kloepfer (aus Essen). Das in Düsseldorf und Köln ansässige Team besteht erst seit wenigen Jahren und hat sich in der freien Szene in dieser kurzen Zeit einen Namen gemacht. Der "Traum eines lächerlichen Menschen", der am Düsseldorfer FFT Premiere hatte, macht begreiflich, warum.

traumeineslaecherlichenmenschen1 560 tomjasny uGlückliche Menschen in fragilen Hütten? @ Tom Jasny

Subbotnik pflegt einen warmen, humorvollen, phantasievoll assoziierenden Stil. Die drei Performer firmieren als "von und mit", das heißt Autorschaft, Ausstattung, Regie, Darstellung sind nicht getrennt. Freiwillige Samstagsarbeit eben. Obwohl der Kern der Gruppe nur aus Männern besteht, scheint das weibliche Element eine prägende Rolle zu spielen. Am Dostojewski-Abend sind vier weitere Schauspieler(innen) und drei Musiker beteiligt. Das Ergebnis ist bestechend, und man nimmt es in Kauf, dass bei dieser Arbeitsmethode der Ideenfluss im Vordergrund steht und weniger die Stringenz der Deutung eines Stoffs.

Zwischen "Graupelschauern" und "Melodien für Millionen"

Während der Schauspieler Olaf Helbing den Lächerlichen Menschen einführt, haben andere Mitwirkende sich in Hütten zurückgezogen, in denen sie Tätigkeiten wie Bügeln, Schuheputzen, Geigespielen und dergleichen mehr nachgehen. Es ist die angeblich "perfekte Welt", von der der Suizidale in spe träumt. Idyllisch und harmonisch auf den ersten Blick, aber so perfekt ist auch diese Welt nicht. Störungen der Kommunikation treten zutage. Symptomatisch, dass die Büglerin den geeigneten Radiosender nicht findet und weder bei "Graupelschauern und überfrierender Nässe" noch bei "Melodien für Millionen" verweilen mag. Keiner dieser Augenblicke bzw. Rundfunkmomente ist wirklich schön ("schön" ist eines der Lieblingswörter des Lächerlichen Menschen), aber schön ist es, wie diese Fragmente hand- oder besser gesagt: mundgemacht sind.

traumeineslaecherlichenmenschen 560 tomjasny uIn der Fensterbühne: Gruppenbild mit Musik @ Tom Jasny

Dann ist plötzlich ein gewisser Herr Michailowitsch in der Leitung, er möchte sich das Leben nehmen, erfährt der geneigte Hörer. Nicht jetzt gleich, er wartet noch auf den geeigneten Moment. Rauschen im Äther. Die Büglerin ist irritiert, es kommt zu keiner glückenden Lebensberatung im Sender. Herr Michailowitsch ist sich auch gar nicht sicher, ob er überhaupt gesendet wird. Schnitt, Auftritt des Performers Kornelius Heidebrecht. Er hat eine verblüffende Ähnlichkeit nicht mit Dostojewski, sondern mit Nicolai Gogol. Der Performer zeigt uns, wie man im Hochleistungsmixer eine Avocadocreme herstellt, die Schale und Kern nicht absorbiert, wegen des Chlorophylls. Und überhaupt, der Gesundheit wegen.

Mit Kammermusik und Balkanpop

Die hier geschilderten Szenen sind nur einige Beispiele für die Frage nach dem geglückten Leben, der Subbotnik an diesem Abend auf eigenwillige und etwas versponnene Art und Weise nachgeht. Zwischendurch gibt es viel Musik, von der seriösen Kammermusik bis hin zum Balkanpop mit Tuba und Pauke. Das Fragmentarische und Assoziative hat Methode, Lösungen werden selbstverständlich nicht geboten. Irgendwann, wie von Zauberhand geführt, erheben die Hütten der glücklichen Menschen sich in die Luft.

 

Traum eines lächerlichen Menschen
nach Fjodor Michailowitsch Dostojewski
Von und mit: Subbotnik (Kornelius Heidebrecht, Martin Kloepfer-Hagen und Oleg Zhukov).
Mit: Isabella Bartdorff, Olaf Helbing, Andreas Maier und Julia Malik. Musiker: Daniel Brandl, Sebastian Langer und Antonia Mallach.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.forum-freies-theater.de
www.studiobuehne.uni-köln.de

 

Kritikenrundschau

Printkritiken sind nicht erschienen, aber online schreibt Dietmar Zimmermann in Theater pur NRW, dass Subbotnik begnadete Geschichtenerzähler seien. Mit einer ihnen "ganz eigenen Mischung aus Humor und Melancholie, aus Sprache, meist selbst komponierter Livemusik". Für "Traum eines lächerlichen Menschen" finden sie "wie immer eigenwillige Bilder". Distanz baue die Aufführung von Anfang an auf. "Niemals verrät sie jedoch den zugrunde liegenden literarischen Text." Olaf Helbing spiele den lächerlichen Menschen, "sein Krankheitsbild, die veränderte Wahrnehmung seiner Umwelt und seiner selbst wird von Beginn an durch die sinnvolle Kürzung des Texts und die Mimik des Schauspielers deutlich". Verstärkt werde dieser Eindruck später durch seine Kostümierung als unselbständiges Riesen-Baby, durch die irren, staunenden, verzweifelten Augen des Träumenden.

"Im Juta auf der Kasernenstraße, der kleineren Spielstätte des Freien Forums Theater Düsseldorf, erlebt das Publikum die Magie des Musiktheaters neu", so Michael S. Zerban auf Opernnetz.de. "Die Schauspieler überraschen mit immer neuen, intelligenten Nebenhandlungen, mit einem hohen Grad an Authentizität und viel Spielfreude." Da werde die Botschaft glaubwürdig und bleibt abseits jeder Dogmatik. "Erfrischend, abwechslungsreich und kurzweilig verstreichen 75 Minuten."

"Die Künstler wechseln die Rollen und Aufgaben, bauen die Bühne um. Sehr schön ist die Musik, die sie spielen", findet Thomas Hag in der Rheinischen Post (24.9.2014). Auch gebe es schöne Bilder, wenn sich die Häuser wie von Geisterhand heben. Das Selbstmord-Thema und die Parabel einer idealen Gesellschaft wollen allerdings nicht recht zueinander passen. Fazit: "Dennoch ein warmherziger, durchaus anrührender Abend."

 

 

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