Ist eigentlich der Sprengstoffzünder noch an?

von Simone Kaempf

5. Dezember 2014. Brett Baileys Menschenzoo-Performance Exhibit B hat man schon nicht mehr richtig auf der Rechnung gehabt. Die in Berlin entfachte Diskussion auch nicht mehr, nun ist sie wieder hochgekocht, in Paris, wo "Exhibit B" vier Abende lang lief und nächste Woche nochmal gezeigt werden soll. Die Proteste waren massiv, das sieht man auf youtube-Mitschnitten. Großes Polizeiaufgebot vorm Theater, wo die Demonstranten ihrem Unmut laut Luft machen. Sie kreiden rassistische Motive in "Exhibit B" an, die Darstellung der Schwarzen als passive und stumme Opfer des Kolonialismus.

Die Proteste scheinen in Paris auch die Verhältnisse außerhalb des Theaters zu meinen, heutige Erfahrungen von Ausgrenzung im Alltags- und Berufsleben, von denen die Demonstranten sprechen. Baileys Arbeit bietet dafür ein Ventil jenseits der Frage, ob sie rassistisch oder rassismuskritisch zu lesen ist.

Glamourwelt mit vitalen Tänzern und Tänzerinnen

Man kann nun aber auch nochmal besser verstehen, warum eine andere Theaterarbeit in Paris in den vergangenen Wochen zwar gelobpreist, aber auch ein bisschen sang- und klanglos durchgewunken wurde, jedenfalls im Vergleich. Robert Wilsons Inszenierung von Jean Genets "Les Nègres" (Die Neger) hatte im Oktober am Pariser Théâtre de l'Odéon Premiere und lief sechs Wochen lang ohne jede Zwischenfälle oder dass jemand den geringsten Rassismus-Verdacht äußern konnte. Natürlich, weil Wilson im Gegensatz zu Bailey jeglichen offensichtlichen Sprengstoff meidet.

Sämtliche Rollen werden in seinen "Les Nègres" von Schwarzen gespielt, ganz im Sinn von Genets ursprünglicher Anweisung und im Gegensatz zu der im Sommer bei den Wiener Festwochen herausgekommenen, umstrittenen Inszenierung von Johan Simons. Wilsons Bühne gleicht einer Art exotischem Nachtclub, Neonröhren-Palmen blinken bunt auf, ein Halbmond wandert über einen seine Farben wechselnden Nachthimmel. Einer schillernden Glamourwelt entstammen die Figuren wie etwa der lauthalsige Conférencier Archibald im Paillettenanzug, der wie einst James Browns Einpeitscher das Publikum begrüßt: "Wir machen uns schön, um Ihnen zu gefallen… Wir werden heute Abend für Sie spielen." Der Mord- und Gerichtsprozess ist hier eine Revue in jazz-gesättigter Club-Atmosphäre, in der Wilsons Handschrift deutlich wiedererkennbar ist – opulente Kostüme, viel Musik, eine ins Künstliche verzerrte Ästhetik.

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Die Bewegungssprache allerdings ist viel weniger mechanisch, als man es von ihm kennt. Diese "Nègres" schöpfen aus dem Fundus der amerikanischen Unterhaltungsindustrie und -choreographie. Das heißt, an der Rampe den flotteren Spruch und das bessere Tänzchen zu liefern. Wenn Frauen auftreten, sieht man perfekt bewegte Körper, die im Rhythmus des alles untermalenden Jazz swingen, ob sie nun besorgt sind wie die schöne Vertu oder eifersüchtig wie Neige, die als Josephine-Baker-Double im lila Abendkleid ekstatisch einen Charleston aufs Parkett legt. Das alles ist mit einer Smartness arrangiert, die vergessen macht, dass es eigentlich um Rassismus geht und hier alle bis zur Selbstaufgabe nur das verkörpern, wofür die Mehrheits-Gesellschaft sie hält: für vitale Athleten und durch und durch sinnliche Menschen. Sanfte Überzeichnung mildert jeden Ernst.

Prolog mit Maschinengewehrsalven

Ein Prolog ist dem Abend vorangestellt, der einen skeptischen Blick auf die Wirklichkeit markiert: Im Lärm von Maschinengewehrsalven kommen anfangs die als Soldaten gekleideten  Schauspieler auf die Bühne, erstarren mit aufgerissenen Mündern und erhobenen Händen. In der Stille nach den Schüssen steigen in Videoprojektionen Explosions-Staubwolken zeitlupenlangsam an der Fassade eines Palastes auf, in dessen Inneren dann gespielt wird – draußen die Diktatur, innen die Show.

lesnegres2 560 lucie-jansch u"Les Nègres" am Théâtre de l'Odéon © Lucie Jansch

Doch abseits dieser selbstreflexiven Klammer fragt man sich im Laufe des Abends sehr bald, ob hier nicht nur das positiv besetzte Bild des schwarzen Künstlers bedient wird, der singt, tanzt, lacht und den Entertainer spielt – also ein Positiv zu Baileys kolonialen Arrangements. Spiegelt der Abend zurück, was man gerne sehen will: Tänzer, Sänger, Showstars? Protest provoziert er jedenfalls nicht, anders als Brett Baileys Arbeit. Aber er betreibt eine ähnliche Stereotypisierung, nur mit umgekehrten Vorzeichen: entweder eindimensional passiv, in Opferpose, oder eindimensional aktiv, im viril-sinnlichen Entertainment.

So landet man doch wieder bei der Frage, welchen Belang Genets Anweisung hat, das Stück mit schwarzen Schauspielern zu besetzen. Steckt in ihr ein antiideologisches Potenzial, das – in einer anderen Inszenierungsweise – einfache Denkraster aufzusprengen vermag? Oder geht es im Theaterraum mit Genet schlicht praktisch darum, bei den wenigen Stücken, die für Schwarze geschrieben sind, diese nicht auch noch mit weißen Schauspielern zu besetzen? Ein Lehrstück in Zeiten der Blackfacing- und Kolonialismus-Debatte: Wer Genets Stück inszeniert, kommt aus einer Positionierung gegenüber der Dichotomie von Schwarz und Weiß nicht raus. Mag eine Inszenierung auch noch so leichthändig damit umgehen wie die von Robert Wilson.


Zur Debatte um Brett Baileys "Exhibit B": Bailey verteidigt seine Arbeit nach den Pariser Protesten. In Berlin 2012 wurde die Arbeit auf einem eigenen Symposium diskutiert.

Genets "Les Nègres" waren in der Inszenierung von Johan Simons jüngst Gegenstand einer Rassismusdebatte in Hamburg.

Über die Problematik der Schwarz-Weiß-Rasterung im Repräsentationstheater schrieb zuletzt Joy Kristin Kalu in ihrem nachtkritik.de-Essay Dein Blackface ist so langweilig!

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