Freie Szene an der Waterkant

Hamburg, 23. Januar 2015. Die Hamburger Kulturbehörde hat ihre Förderentscheidung für die freie darstellende Kunst in Hamburg bekannt gegeben. In den Bereichen Kinder- und Jugendtheater, Tanztheater, Performance, Sprech- und Musiktheater werden für die Spielzeit 2015/2016 insgesamt 39 Projekte auf Grundlage von Juryempfehlungen mit insgesamt rund 625.000 Euro gefördert (der gleichen Fördersumme wie für die aktuelle Spielzeit, für die 40 Projektanträge bewilligt wurden). 128 Anträge waren im neuen Turnus eingegangen. Die vollständige Liste der geförderten Arbeiten findet sich auf der Onlineseite der Stadt hamburg.de.

Die Kulturbehörde sei allen Empfehlungen der Jurys gefolgt, heißt es in der Pressemitteilung. Mitglieder der verschiedenen Fachjurys waren in diesem Jahr: Hilke Berger (wissenschaftliche Mitarbeiterin HafenCity Universität Hamburg), Sabine Gehm (Festivalleiterin, Kuratorin), Corinna Honold (Theaterpädagogin und Fachreferentin Theater), Dr. Friederike Lampert (Tanzwissenschaftlerin, Leitung K3-Jugendclub), Falk Schreiber (Kulturredakteur und Kritiker), Dr. Heide Soltau (Journalistin und Autorin), Annette Stiekele (Autorin, Tanz- und Theaterkritikerin), Eva-Maria Voigtländer (Dozentin Theaterakademie Hamburg und Dramaturgin), Lutz Wendler (Redakteur, Hamburger Abendblatt, Regionalausgabe Stormarn). Als Beisitz: Prof. Philipp Himmelmann (Hochschule für Musik und Theater), Matthias Quabbe (Dramaturg).

(hamburg.de / chr)

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Kommentare  
Freie Szene Hamburg: Zynismus
625.000 Euro für 39 Projekte! Das ist reinster Zynismus. Wovon sollen die Menschen ihre Miete bezahlen, die diese Projekte erarbeiten? Warum ist man nicht ehrlich und sagt, dass man sich eine so große Freie Szene in Hamburg nicht leisten kann? Hier wird mit dem Profilierungszwang junger Kreativer spekuliert, dass mir das K... kommt!
Freie Szene Hamburg: Gießkanne
mit so einer gießkannen-förderpolitik wird das nichts, liebe hamburger kulturbehörde. sorgt für ernstzunehmende förderungsbeträge, nur so kann eine szene entstehen, die einer metropole wie hamburg würdig ist.
Freie Szene Hamburg: Antrag und Bewilligung
Ich kann mich @1 und @2 nur anschliessen: eine durchschnittliche Förderung von 16.000 € pro Projekt ist eine Frechheit. Es wäre interessant zu wissen, wie hoch bei den nun geförderten Projekten die Differenz zwischen angefragten und bewilligten Beträgen ist.
Freie Szene Hamburg: Juror antwortet
Lieber zahlenmensch,
ich, der ich erstens in einer der betroffenen Jurys saß und zweitens Mitarbeiter bei Nachtkritik bin, kann Ihnen helfen: Die Differenz zwischen angefragten und bewilligten Beträgen ist kein Staatsgeheimnis, die Kulturbehörde Hamburg gibt diese auf Anfrage gerne bekannt.
Ganz grundsätzlich möchte ich aus Formulierungen wie "Gießkannen-Förderung", "Zynismus" und "Frechheit" ein wenig die Schärfe nehmen: Es geht hier in der Mehrzahl um Projektförderungen, nicht um kontinuierliche Förderung einer Freien Szene (die Überschrift sagt das auch schon). Über die Sinnhaftigkeit solcher Förderungen kann man streiten, auch darüber, dass mehr Geld natürlich schöner wäre - und das machen wir auch. Uns, die wir uns das Thema wirklich nicht leicht machen, aber vorzuwerfen, wir würden hier zynisch mit freien Künstlern umgehen: Entschuldigung, das ist die eigentliche Frechheit.
Freie Szene Hamburg: neo-liberales Subventionssystem
Hallo Herr Schreiber,
ich verstehe ihr Argument nicht, mit dem sie die Diskussion entschärfen wollen. Weshalb erscheint es ihnen legitim, einer Gruppe 5.000 Euro für ein Projekt zu geben, wenn diese allein zwei Wochen Arbeit hat, um diesen furchtbaren Antrag zu schreiben? Würde man diesen Menschen halbwegs anständig dafür bezahlen, wären von den 5.000 Euro schon mal mindestens 1.000 Euro weg, wenn sie ihm einen Verdienst von 2.000 Euro brutto monatlich zugestehen wollen. Bleiben also 4.000 Euro für die "Produktion". Diese müsste dann aber reichen, um alle Kosten zu decken. Das ist doch ein Witz, oder? Meiner Meinung nach ein böser und zynischer, weil es wirklich Künstler gibt, die diesen Strohhalm ergreifen, um in Zukunft bessere Möglichkeiten zu bekommen. Sie pflegen das übelste Neo-liberale Subventionssystem. Achten sie eigentlich bei der Abrechnung auf die Zahlung von Mindestlöhnen, oder hoffen sie darauf, dass der Künstler sich bei dieser Produktion der Freien Szene in Hamburg ordentlich selbst ausbeutet? Und bitte erzählen sie mir nicht, dass die Künstler sich ja noch woanders 5.000 Euro zusammen betteln können!
Freie Szene Hamburg: bitte radikal umdenken
Hallo Herr Schreiber,

Zunächst vielen Dank für Ihre Reaktion. Und, auch das ganz ehrlich, Respekt für Ihre Arbeit in der Jury: fast 130 Anträge lesen ist kein Spass. Trotzdem finde ich, dass die Jurymitglieder radikal umdenken müssen (das zählt natürlich genauso für die Lottostiftung und den HKF in Berlin): dass die Künstler und alle anderen Beteiligten an den Projekten halbwegs anständig bezahlt werden, sollte ein Vergabekriterium sein. Dann werden ahlt nicht mehr 39 Projekte gefördert sondern höchstens 10. Und wenn die Stadt mehr Projekte haben möchte, soll das geld erhöht werden. Die Freie Szene wird doch von den Entscheidungsträgern unter anderem nicht ernst genommen, weil man dort mit 625.000 € 39 Projekte verwirklichen kann.
Freie Szene Hamburg: Verengung auf wenige Player?
Ist faire Bezahlung in der freien Szene wirklich ein erreichbares oder auch nur ein erstrebenswertes Ziel? Verengt man damit nicht das Spektrum auf einige wenige, hochprofessionalisierte Player? Die Frage ist doch, als was man die freie Szene sieht - als ein Experimentierfeld, Raum für Nachwuchs, Raum für Liebhabereien jenseits des etablierten Kulturbetriebs. Oder als institutionalisiertes Parallelangebot zu den großen Häusern, die im kleinen die oftmals starren Strukturen der Großen nachahmen? Angesichts allgemein bergender Mittel stellt sich doch die Frage, möchte man einen breiten Wildwuchs kleiner Pflänzchen und nimmt die Selbstausbeutung in Kauf, zu der man in der freien Szene offenbar bereit ist - oder entzieht man eben jenen hochmotivierten Künstlern, die offenbar aus nichtmonetären Gründen ihrer Kunst nachgehen, die notwendige Finanzspritze, da mit einige wenige fair bezahlt ihren Projekten nachgehen können? Schwierige Frage, ich weiß die Antwort nicht...
Freie Szene Hamburg: realitätsfern
Lieber Christoph, sie schreiben wohl aus dem Büro einer Unternehmensberatung. Anders kann ich mir ihre realitätsferne Einschätzung nicht erklären. Seien sie gewiss, selbst wenn man die gesamte Summe auf zehn Projekte verteilen würde, kämen keine hochprofessionellen Produktionen dabei heraus, man könnte aber wenigstens den Mindestlohn an alle Teilnehmer zahlen und die Kostüme bei Primark kaufen.
Freie Szene Hamburg: mehr Argumente
Einmal hatte sich Herr Schreiber hier zu Wort gemeldet - das fand ich gut!Aber jetzt fehlen ihm wohl die Argumente?
Freie Szene Hamburg: Juror antwortet noch mal
Naja, lieber Kiss, was wollen Sie denn für Argumente? Es gibt Honorarempfehlungen vom Dachverband Freier Theaterschaffender, und die Kulturbehörde legt den Antragstellern nahe, sich nach diesen zu richten. Rechnen Sie das auf die Zahl der beteiligten Künstler hoch und rechnen Sie mit durchschnittlich sechs Wochen Probenzeit, dann kommen Sie auf einen bestimmten Betrag, und der steht dann im Antrag. Dem stattgegeben wird - oder eben nicht. Die Entscheidung aber ist eine ästhetische.
Freie Szene Hamburg: Zeit bis zum Antrag
Lieber Herr Schreiber, die Rechnung geht nicht mal auf, wenn sie Regie, Bühne, Kostüme, Dramaturgie, Produktionsleitung und LKW-Faher in einer Person zusammenfassen. Da können sie auch noch zu hause in ihrem Wohnzimmer proben. Auch absurd zu glauben, sie könnten eine Produktion in sechs Wochen auf die Bühne stemmen. Wissen sie, wie viel Zeit für Akquise, Überredung von Künstlern und Telefonate mit Hinz und Kunz drauf gehen, damit man überhaupt einen soliden Antrag einreichen kann. Oder glauben sie, man drückt auf den Klingelknopf bei Kampnagel und sagt, "Hallo hier sind wir, wir haben 5.000 Euro, lasst uns rein"? Glauben sie mir, sie ordnen Ausbeutung an und heften sich den Orden der Kunst-Ermöglicher ans Revers.
Freie Szene Hamburg: Natur der Sache?
@Kiss - Meiner Meinung nach beklagen Sie sich an der falschen Stelle. Dass nicht jedes Projekt der freien Szene angemessen vergütet wird, liegt vielleicht einfach in der Natur der Sache. Da werden Dinge ausprobiert, die sonst in kein Format passen, und es probieren sich Künstler aus, die anderswo vielleicht nicht die Chance hätten… Unter dieser Prämisse habe ich selbst vor einigen Jahren noch viele unbezahlte oder gering bezahlte Projekte gemacht und mache noch heute derartige Projekte, wenn ich an das Konzept oder die beteiligten Macher glaube. Für andere Dinge, die vielleicht weniger ambitioniert (oder riskant, was das Gelingen betrifft) sind, werde ich dann gut bezahlt, so ergibt sich eine Mischkalkulation und ich kann mir Liebhabereien leisten. Für den Nachwuchs sind derartige Projekte oftmals die einzige Chance, ihre Ideen auf die Bühne zu bringen - und auf die Gefahr hin, altväterlich zu klingen: Ich finde ein paar Jahre Selbstausbeutung am Beginn einer Künstlerkarriere durchaus zumutbar, die habe ich auch durchgemacht und es hat mir nicht geschadet… Unterm Strich würde ich sagen, bei den 39 bewilligten Projekten sind sicherlich viele dabei, die ohne diese Förderung nicht zustande kommen könnten, die von sehr engagierten Leuten gemacht werden, die sehenden Auges diese finanziellen Bedingungen in Kauf nehmen und bei denen im besten Fall interessante, neue Dinge jenseits des Stadttheatermainstreams entstehen… Und das ist doch dann auch gut so, oder?
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