Die 120 Tage von Sodom - Johann Kresnik will an der Volksbühne mit Pier Paolo Pasolini schockieren
Uiuiui, der traut sich was
von André Mumot
Berlin, 27. Mai 2015. Man hat es ja schon bekanntgegeben. Im Voraus. Damit bloß keiner überrascht ist, wenn's bei Johann Kresniks erster Berliner Anarchosause seit seiner Villa Verdi von 2013 ordentlich zur Sache geht und man womöglich doch mal weggucken muss. "Die Vorstellung ist für Zuschauer unter 18 Jahren nicht geeignet", hat die Volksbühne wissen lassen. Also wundert man sich nicht, fragt sich höchstens nach einer Weile, ob diese Vorstellung überhaupt für Zuschauer geeignet ist und wenn ja, für welche. Für solche, die sich gern ins Fäustchen lachen und "Höhöhö, das ist jetzt aber ganz schön gewagt" sagen vielleicht. Oder für solche, die sich mit Freuden schockieren lassen und anschließend feststellen, dass sie dringend ihr vom "Konsumfaschismus" korrumpiertes Leben über den Haufen werfen und vielleicht lieber was mit Tanz machen sollten.
Als man dann aber den Jesus am Kreuz reinträgt und ihm der falsche Pimmel abgeschnitten wird, als ihm ein bisschen Kunstblut runterrinnt am weißen Lendenschurz und die Folterer sich die Stückchen genüsslich in den Mund schieben, da geht ein erstes kopfschüttelndes Auflachen durch die Reihen. Weil diese Szene nicht im geringsten schockierend, sondern schlicht albern ist und aus dem tiefsten Winkel des allerverstaubtesten Bürgerschrecktheaters rausgekramt wurde. Genauso wie sämtliche Gummidildos, mit denen an diesem Abend gewedelt und vergewaltigt wird. Auch künstlicher Urin schießt aus den biegsamen Dingern, sodass der Abgeordnete, der Richter, der Bankier, der Bischof und der Offizier die arme Sopranistin (Sarah Behrendt) kompetent anpinkeln können, während sie tapfer versucht, ein Lied zu singen.
Hamburger auf nackter Haut
Der alte Haudegen unter den Querulanten-Choreografen hat Pasolinis de-Sade-Bearbeitung der "120 Tage von Sodom" aus dem faschistischen Kriegsitalien in unsere Gegenwart versetzt, in der die Menschheit von den Bösewichtern des Kapitalismus gegängelt wird. Um das zu versinnbildlichen, hat Hyperrealist Gottfried Helnwein seinem langjährigen künstlerischen Weggefährten Kresnik einen Bühnenraum gebaut, der mit Abstand das Beeindruckendste an der ganzen Arbeit ist: eine gigantische Regalrückwand, bestückt mit einem endlosen Vorrat gängiger Produkte, Dosen, Flaschen, Paketen, bunt beschriftet mit Markennamen wie "Prozac", "Ritalin", "Goldman Sachs" oder "Drones".
Vor dieser einschüchternden Kulisse quält sich ein mit Kot und Blut besudeltes Tanzensemble in bisweilen erstaunlich konventionellen Ausdruckschoreografien, würgt und leidet und lässt sich von den dekadenten Libertins befingern, beißen, abknallen, vor allem aber mit jeder Menge Dirty Talk anplärren. Von Kopf bis Fuß schwarz bemalte nackte "Schergen" (ach je!) tragen die Opfer der Orgien rein und raus, und zwischen ihnen stolziert, ohne mit der Wimper zu zucken, eine hoheitsvolle Ilse Ritter und spricht die kapitalismuskritischen Phrasen aus Christoph Klimkes sogenanntem "Libretto" mit bewundernswerter Überzeugtheit. Doch was soll das retten, wenn die wollüstigen Quäler im nächsten Moment eine nackte Frau vor sich aufbahren, die garniert ist mit allerlei Hamburgern, die die Herren dann gierig verschlingen? Was angeblich kritisiert werden soll, wird ungebrochen wiederholt, sodass die ausgestellte Geilheit sich zugleich als Symptom einer notgeilen, geistig erschreckend stumpfen Inszenierung offenbart.
Im Hintergrund werden Hamburger von nackter Haut geklaubt, im Vordergrund stricken Inka Löwendorf und Ilse Ritter an US- und Deutschland-Flaggen – im Konsumfaschismus-Bühnenbild von Gottfried Helnwein. © Thomas Aurin
Es wäre in jedem Fall ärgerlich, umso ärgerlicher aber ist diese künstlerische Unartikuliertheit, da sie sich an einem Film orientiert, der bis heute kaum auszuhalten ist in seiner kalten, abstoßenden und zugleich formvollendet disziplinierten Trostlosigkeit. Die Lust am Quälen, die Lust an der Vergewaltigung und am Töten schildert Pasolini 1975 noch in traumatisierender Sachlichkeit als fortdauernden Teil menschlicher Existenz und schlägt auf implizite Weise den Bogen vom biblischen Sodom, übers Ancien Régime bis in den Faschismus und die Gegenwart der 70er Jahre. Doch wo der Filmemacher jede Ablenkungsmöglichkeit, jede dramaturgische Entlastung verwehrt, setzt Kresnik auf willkürliche Pauschal-Randale.
"Heute ist die Politik ein einziger Supermarkt"
Auch bei ihm kann einem bisweilen übel werden, wenn die von den Autoritäten gefangenen Tänzerinnen und Tänzer mit frisch geschissenen (Fake-)Exkrementen gefüttert werden. Doch dann äußern die Sadisten auch schon wieder unsäglich schlichte Plattheiten wie: "Heute ist die Politik ein einziger Supermarkt" oder "So haben wir sie erzogen: Nichts im Kopf außer Geld, fressen, vögeln und Facebook". Oder "Wir Politiker würden gerne Leichen schänden".
Ein kleines, bandagiertes Mädchen (scheinbar direkt einem von Helnweins charakteristischen Kinder-Gemälden entsprungen) singt "Die Gedanken sind frei", Sarah Behrendt trägt zwischendurch auch mal eine Burka, und die Herren schneiden einer Schwangeren eine blutüberströmte Babypuppe aus dem Bauch, die sie erst zerhacken und dann auf einem echten Grill braten und – natürlich – verspeisen. Drittklassige, unfreiwillig komische Splatterelemente, die das genaue Gegenteil bewirken von Pasolinis gnadenlos nüchterner Körperlichkeit: Hier ist alles Peinlichkeit und Popanz, schrilles, pubertäres Rumgezetere, auf das man blickt wie durch einen Zeittunnel. Ja, es gab wohl mal eine Epoche (mehrere Jahrzehnte ist es her), in der solch ein Attitüdentheater tatsächlich angebracht und befreiend war. Heute, wo Blutrünstigkeiten aller Art (reale und fiktive) unentwegt zugänglich, wo Abstumpfung und Reizüberflutung an der Tagesordnung sind, wirkt diese Sex- und Gewalt-Exploitation jedoch auf geradezu erbärmliche Weise hilflos und unangemessen.
Dabei genügt ein Blick auf die Fotos der grinsenden, folternden Soldaten, die in Abu-Ghraib entstanden sind, um festzustellen, dass Pasolinis Fiktionen von der Realität immer wieder perfekt imitiert werden, dass sie bleibender Teil unseres Alltags sind. Bei Kresnik aber verkommen alle Bezüge bloß zur zynischen, gedanklich ungeordneten Effekthascherei. Was eine Verstörung sein könnte, vielleicht sogar eine Tortur, ist am Ende eben doch nicht mehr als ein frech versauter Altherrenwitz. "Uiuiui, der traut sich was", denkt dann wohl der eine oder die andere. Und klatscht. Und jubelt. Und freut sich, dass es ja doch gar nicht so eklig war in Sodom. Und eigentlich ganz lustig.
Die 120 Tage von Sodom
nach Marquis de Sade und Pier Paolo Pasolini
Regie: Johann Kresnik, Libretto: Christoph Klimke, Bühne und Kostüm: Gottfried Helnwein, Musik: Ali Helnwein, Choreografie: Ismael Ivo, Johann Kresnik, Licht: Torsten König, Dramaturgie: Sabine Zielke, Christoph Klimke.
Mit: Sarah Behrendt, Hannes Fischer, Inka Löwendorf, Roland Renner, Ilse Ritter, Enrico Spohn, Helmut Zhuber, Juan Corres Benito, Andrew Pan, Ismael Ivo, Valentina Schisa, Sylvana Seddig, Sara Simeoni, Osvaldo Ventriglia, Elisabetta Violante, Yoshiko Waki, Günter Cornett, Helmut Gerlach, Wagner Peixoto Cordeiro, Arnd Raeder, Christian Schlemmer, Leandro Tamos, Katia Fellin, Paula Knüpling, Ruby Mai Obermann, Estefania Rodriguez, Nathalie Seiß, Marlon Weber, David Eger, Lukas Steltner, Lucia Itxaso Kühlmorgen Unzalu, Aldana Ximena Palacin Gonzáles.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.volksbühne-berlin.de
Kresnik verstärke den Aspekt der totalen Kommerzialisierung sämtlicher Lebensbereiche, so Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (29.5.2015). Bald seien die Figuren auf der Bühne eine "dreck- und blutverschmierte Masse aus Entwürdigung und Elend, Schmerz und Schmach". Kresnik arrangiere sie in barbarischen Sequenzen der Auslöschung, in harten Formationen gebrochener Individualität, in sich windenden Knäueln. Aber "das Übermaß an nackten, geschundenen Körpern in immer neuen Höllenkreisen stumpft schließlich mehr ab, als dass es erschüttert". Bei all dem Blut wirke die Inszenierung rasch seltsam blutleer. Fazit: "Die unendliche Wut über die globalen Missverhältnisse ist dennoch beeindruckend. Kresnik fügt sich nicht ins System ein, er will es erledigen. Dass er dabei scheitern muss, weiß er natürlich. Dass Kresnik darüber keineswegs resigniert, verdient trotz der weidlich ausgekosteten Schockästhetik höchsten Respekt."
"Johann Kresnik hat das Erwartete getan und auch wieder nicht. Er hat versucht sich selbst zu überbieten und eine Riesenschweinerei angerichtet", so Michaela Schlagenwerth in der Berliner Zeitung (29.5.2015). "Die unteren Chargen müssen alle weitgehend nackt und blutbeschmiert über die Bühne rutschen, derweil die wichtigeren Darsteller ihre Sachen meistenteils anbehalten dürfen." Nein, man schaue nicht gern zu, auch wenn es teilweise etwas von einem grotesken Splatter habe. "Zum großen Finale wird Katastrophe auf Katastrophe geschichtet. Geschändete Puppenleichen fallen aus dem Schnürboden, Porträts von Karl Marx, Che Guevara, Rosa Luxemburg und Pasolini werden zerhackt", Kresnik mache sein Ding und lasse sich nicht beirren.
"Ein irrer Tanz der Konsumopfer: Herren in Anzügen, Frauen in Schulmädchenuniformen, jugendliche Punks - einfach jeder scheint von Gangnam Style und berauschendem Warenterror angesteckt", wäre es doch bei diesen ersten fünf Minuten geblieben", so Elisabeth Nehring im DLF Kultur heute (28.5.2015). In denen bringe Regisseur Johann Kresnik sein Thema wirksamer und beeindruckender auf den Punkt, als in den folgenden eineinhalb Stunden. "Johann Kresnik geht es scheinbar wirklich um Gesellschafts- und Zivilisationskritik; doch seine Haudegen-Mentalität kennt weder dramaturgische Entwicklung noch thematische Tiefe oder gar irgendeine Art von Erkenntnisvermittlung und so gehen wir angesichts dieser an unfreiwillige Persiflage grenzenden Verbrechen und Leiden vollkommen ungerührt aus der Vorstellung."
"Kresniks Bühnenorgie wirkt nicht anstößig, sondern nur abgeschmackt", schreibt Sandra Luzina im Tagesspiegel (30.5.2015). "Kresniks Weltsicht ist überaus schlicht: Die Jungen sind verblödet, die Alten sind versaut." Der Regisseur und Choreograph "verrührt auf peinigende Weise abgelutschte Brachial-Ästhetik und altlinke Agitation."
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"Plattheiten"
"Ja, es gab wohl mal eine Epoche ..."
"Heute, wo Blutrünstigkeiten aller Art (reale und fiktive) unentwegt zugänglich, wo Abstumpfung und Reizüberflutung an der Tagesordnung sind, wirkt diese Sex- und Gewalt-Exploitation jedoch auf geradezu erbärmliche Weise hilflos und unangemessen."
Und hier endet der Reflektionsvorgang dann auch schon wieder (und wird es in diesem Forum auch weitgehend tun, prognostiziere ich)!
Dabei wäre es doch interessant zu fragen: Wie gehen wir mit dieser "unentwegten[!!] Verfügbarkeit" um? Warum machen wir es uns so leicht, das als "Gab's schon, alles schon gesehen" und "Weiß ich doch" abzutun? Die Erwartung ans immer Neue ist es. Dass Kresnik hier schlicht und ergreifend innehält und nicht das schon weitreichend internalisierte Nurdasneuekannmichnochbefriedigen bedient (mag es aus Berechnung oder schlicht aus Unbewusstsein sein), ist groß.
Die Reaktionen (hier und anderswo) werden uns viel über den Zustand unserer Reflektionstiefe, Selbstkritikfähigkeit (über ein "ich weiß, ich bin schuldig" hinaus) erzählen. Es ist ja so leicht, den alten Herren ihren Stil vorzuhalten, wenn man sich damit nicht auf einen Austausch einlassen muss, der die eigene Verkommenheit aufspüren könnte. Ungemütlichkeit ist eben doch zu vermeiden. Am besten durch Oberflächenkritik. (Und ob das für Kresnik gilt, das wird der Tenor der Auseinandersetzung sein, nicht unsere eigene.)
Es geht ein Pharisäer um in Europa.
Genau diese Haltung verhindert ein sich einlassen auf das, was da wirklich stattfindet.
Für mich was das ein intensiver, trauriger, schockierender Abend, der unglaublich viele Assoziationen und Gedanken frei gesetzt hat. Starke Emotionen also - was will Theater mehr?!
Für mich geht es darüber hinaus um die angesprochene Selbstreflektion, nach dem Theaterabend im Alltag, wo mach ich mich schuldig, was kann ich verändern, Verantwortung übernehmen - ins Tun kommen. Das hat der Abend gestern erreicht.
könnten Sie sich die Stücke bitte auch einmal anschauen, bevor Sie sie beurteilen?
Herzlichst,
Ingo
Und ja, Ingo, ich habe die Inszenierung nicht gesehen, kenne aber den Film und stellte mir Fragen anhand der Kritik von André Mumot.
wenn Sie dann noch Nestle konsumieren, wird mir schlecht.....
@ Inga: Sorry, sind Sie so schwer von Begriff oder spielen Sie nur??
Früher - politischer Faschismus (der überigens auch aus Futterneid gegen z.B. wohlhabende, jüdische Mitbürger entstand), heute - Diktatur des Konsums, und ohne mit der Wimper zu zucken indigenes, afrikanische, asiatisches Leben zerstört.
Wenn ich alle Menschen in ärmeren Leben fair bezahlen würde, dann wären wir alle nicht so reich. Dann macht Konsum evtl Sinn, wenn er nicht auf dem Rücken der animalischen und pflanzlichen Erdmitbewohner ausgetragen würde, d'accord. Wenn aber Menschen zu schlecht bezahlt werden, dass sie kaum überleben können, - wenn Regenwald und natürlicher Lebensraum und Tiere mißhandelt und zerstört werden, nur damit ein paar wenige, exklusive Menschen in ein paar wenigen Ländern zwei Schnitzel pro Tag essen, achtzig T-Shirts und fünfzehn Hosen im Schrank haben , dann ist das konsumfaschismus. Wenn Konzerne wissentlich Getreide mit Gift vermischen ,hochgiftige Pestizide verwenden, damit sie möglichst billiges Lebensmittel herstellen können, wovon Menschen dick und krank werden, dann ist das Konsumfaschismus. die Krebsrate in den USA ist z.B.um das Dreifache höher als in anderen Ländern. Das liegt bestimmt nicht am Biolebensmittel , das die dortige Industrie humanerweise fast kostenlos an MCDoof verschachert......;-)..
das nennt man Konsumfaschismus: Menschen nehmen den Tod der Mitbürger in Kauf , um sich zu bereichern......alles klar?
Das hat übrigens nichts mit Religion zu tun, auch Religion ist eine faschistoide Gemeinschaft autoritärer Männer...das hat etwas mit gesundem Menschenverstand zu tun...
Tatsächlich ist die Überdeutlichkeit, mit der uns Johann Kresnik seine Botschaft vom widerwärtigen “Konsumfaschismus” wie mit dem Holzhammer einbläuen will, eine der Schwächen des Abends. Schon das Bühnenbild ist eine einzige Anklage: es strahlt auf den ersten Blick etwas Ehrwürdiges, fast Sakrales aus. Auf den zweiten Blick erkennt man eine Flut von Markenlogos, das Who´s´Who der Global Player und hedonistischen Lifestyle-Marken präsentiert sich in engem Schulterschluss mit dem Konterfei von Angela Merkel und den Bannern von CIA und NSA. Noch bevor die letzten Nachzügler ihren Platz gefunden haben, wird ein Brei aus Radio-Werbe-Jingles eingespielt, die sich gegenseitig in ihrem ebenso marktschreierischen wie nervtötenden Werben um Aufmerksamkeit überbieten.
Das Ensemble strömt von den Seiten auf die Bühne und legt mit einer Gangnam Style-Nummer los, also jenem Chart-Hits aus Südkorea, der vor einigen Jahren die Oberflächlichkeit des gleichnamigen Schicki-Micki-Stadtteils von Seoul aufs Korn nahm. Zwei Tänzer liefern dazu eine beeindruckende Breakdance-Performance ab.
Von da an ging es allerdings bergab: ein Quintett aus Militär, Kirche, Banken, Politik und Justiz hat die Gesellschaft fest im Griff und lässt sich immer neue Demütigungen für die Jugend einfallen, die bewusst ungebildet und als sexuell jederzeit verfügbares Frischfleisch gehalten wird. Ihnen gehen sechs nackte, mit schwarzer Farbe beschmierte Männer zur Hand: Stützen des Systems, die Gegenstände apportieren oder die Masse in Schach halten müssen.
Die nächsten knapp neunzig Minuten lässt die Inszenierung kaum eine Gelegenheit aus, sich als anachronistisches Bürgerschrecktheater lächerlich zu machen: vor einigen Jahrzehnten mag dieser penetrante Einsatz von nackten Körpern, Kunstblut und Splatter-Ästhetik voller aufgeschnittener Bäuche und gegrillter Körperteile vielleicht aufrüttelnd gewirkt haben. Hier wirkt dieses Attitüdentheater, wie es André Mumot in seiner Nachtkritik treffend bezeichnete, nur unfreiwillig komisch.
Wer möchte bestreiten, dass in unserem Wirtschaftssystem einiges schief läuft? Aber mit seinem zur Pose erstarrten Haudrauf-Stil schafft es Kresnik wohl kaum, den notwendigen Diskussionsprozess anzustoßen. Zu leicht kann man diesen Abend und die zu plakativ vorgetragene Kritik abtun. “Johann Kresnik geht es scheinbar wirklich um Gesellschafts- und Zivilisationskritik; doch seine Haudegen-Mentalität kennt weder dramaturgische Entwicklung noch thematische Tiefe oder gar irgendeine Art von Erkenntnisvermittlung und so gehen wir angesichts dieser an unfreiwillige Persiflage grenzenden Verbrechen und Leiden vollkommen ungerührt aus der Vorstellung”, fasst Elisabeth Nehring im Deutschlandfunk das Scheitern dieses Abends zusammen.
kulturblog.e-politik.de/archives/25129-kresniks-120-tage-von-sodom-gangnamstyle-breakdance-und-plakative-kritik-am-konsumfaschismus.html
Hier zählt der Inhalt und der trifft mit voller Wucht.
Hier wird uns der Spiegel hingehalten. Wie verhalten wir uns? Welche Werte zählen noch? Das mag jeder für sich bewerten.
Dieser Abend ist relevant und jeder sollte hingehen und ihn sich ansehen!
An einige Kommentatoren zuvor: Wahrheiten hat man von jeher schwer ertragen können.
ist denn nicht nur an kresnik, sondern auch an allen hier (und mir bekannten rezensionen) die "black-facing"-debatte voll vorbei gegangen oder ist das der neue ton "(ach je)", der sagen soll, dass selbst kritik an scheinbar kritischen theaterstücken nicht mehr macht als diese selbst? dieses stück ist eine bankrotterklärung der volksbühne, die noch vor kurzem die "Afrika-konferenz" abgehalten hat und sich da scheinbar kritisch mit kolonialgeschichte befasst hat.
und wer sich dieser wirtschaftlichen Mafia hingibt und sie durch Konsum sogar unterstützt, macht sich selbst schuldig .Das hat nichts mit Kommunismus zu tun , sondern mit dem Schutz der Natur und unseres zerbrechlichen Lebens auf diesem Planeten, sowie mit Humanität. Nestle ist ein menschenverachtender Konzern. Und wer das nicht begreift, ist entweder naiv meiner Ansicht nach unendlich naiv, oder selbst mit einer egomanischen kriminellen Scheuklappenenergie ausgestattet.
www.youtube.com/watch?v=wzlzV7VaqCs
www.youtube.com/watch?v=GpH3Oph2XbU
Schwarz ist nicht nur eine Hautfarbe.
(Und wie der Hauptdarsteller in Gintersdorf/Klaßens "Warum Gott Afrika verlassen hat" mit Geste auf sein echt schwarzes T-Shirt sagte: "DAS ist schwarz." Und mit Geste auf seinen Bizeps "Ich bin nicht schwarz.")
Absurd, wie verengt hier argumentiert bzw. angeklagt wird.
Absurd!
Vielleicht noch zwei Statements, die sie sicher auch ärgern können: Gentechnik ist eine große Chance, um die Welt mit Energie und Nahrung zu versorgen und den Landschaftsverbrauch einzudämmen. Wir leiden hier unter einem Verfolgungswahn diesbezüglich. Und Wasser ist für alle da! Jeder kann den Mund aufmachen und den Regen geniessen, oder Wasser aus Rhein oder Ganges trinken. Will er aber hygienisch sauberes Wasser für Millionen haben, muß jemand vorher in entsprechende Technik viel Geld investieren. Dieses Geld holt sich der Investor - egal ob Staat oder privat - irgendwoher. Wir haben hier im Westen nur das Glück das wir es als Privatleute locker bezahlen können. Will man es zum Nulltarif verteilen, so bedarf es des entsprechenden allgemeinen politischen Willens und nicht der Feindschaft zu einem bestimmten Konzern.
@22 was ist der unterscheid zu bodypainting in diesem zusammenhang bitte? ich halte diese argumentation zu "maske und kostüm" im theater für fadenscheinige argumentationen von repräsentationstheater, dass sich seiner politischen wirksamkeit null bewusst ist.
P.s.: ich freue mich auf “man darf ja garnichts mehr sagen“ Kommentare. Antwort vorweg: 1. Wenn man keine Ahnung hat: vielleicht lieber nicht. 2. Wenn man glaubt Ahnung zu haben: Meinungsfreiheit ist nicht Freiheit von Kritik.
Danke.
Aha: Intellektuelles Hausaufgabengehabe ist also notwendig, um Kunst zu machen? Ich glaube, Sie haben ihre Hauaufgaben in bEzug aus Kunstdiskurs nicht gemacht: Kunst bedeutet manchmal auch bewußte Provokation ,um die Gesellschaft aufzurütteln. Kunst muß nicht immer politisch korrekt ssein, um zu einer Assage zu gelangen. Ein nicht politisch korrektes Mittel , um etwas auszudrücken, kann das Gegenteil bedeuten. Denken sie mal darübr nach.
Ein intelletueller Diskurs ist etwas anderes als Kunst auf einer Bühne und darf und kann nicht mit denselben Brillen gelesen werden.
Sie verbreiten in meinen Augen eine sehr aggressive Ära und ich fürchte,Sie haben die künstlerische Geschichte Hernn Kresniks und Herrn Helnweins nicht studiert und wahrscheinlich auch noch nie etwas von den beiden gesehen.
Wei können sie dann über "Zeichen", (das sind keine Zeichen , sondern Ausdrucksmittel einer Form namens Tanztheater) diskutieren - und Sie wüßten auch, daß die beiden Herren , mit Herrn Ivo zusammen niemals einen rassistisch motivierte Aussage in Ihren Stücken zulassen und behandeln würden.
Sie scheinen arrogant und wähnen sich im Recht.Mein bescheidener Rat: Kehren Sie zuerst vor ihrer eigenen Vorusteilshaustüre, bevor sie dies anderen vorwerfen.
Schöne Grüße.
Merci.Thank you. Gracias.
ich würde kresnik und ivo nicht unterstellen wollen, dass ihre aussage rassistisch motiviert wäre, dennoch gibt es in diesem zusammenhang einige unstimmingkeiten für mich, die sich gerade daraus ergeben (wie bereits geschrieben), dass blackfacing hier nicht mehr thematisiert wird oder nur marginal - wenn es doch (wie Sie hier betonen) eine provokation und noch dazu so kluger schachzug von kresnik / ivo war, die uns aufrütteln wollen? zur erinnerung: die blackfacing debatte spiegelt nicht nur eine rassistische darstellungspraxis, sondern auch ein realität in der (weißen) besetzung von emsembles / theaterinstitutionen wieder.
danke.
Und Gentechnik ist wirklich das Letzte! Genveränderte Pflanzen werden das gesamte Ökosystem schachmatt setzen, mit seinem Gleichgewicht von sogenannten "Schädlingen" (Schnecken?) und "gesunden" Pflanzen. Diese Ideologie des menschlichen Eingreifens in Ökosysteme (Flora und Fauna) lässt sich auch leicht auf Menschen übertragen. Und dann wird auch mir schlecht. Ich verstehe Kresniks Intention sehr gut. Auch ohne die "Hilfe" von nestle. Menschen über Bildung und Wissen dazu zu bringen, selbst zu denken und danach zu handeln, darum sollte es gehen.
Man muß nicht Kunstgeschichte studiert haben, sondern man kann aus der langjährigen Theaterpraxis kommen. Wie geschrieben, es geht im Theater um Handwerk und Praxis, allesnfalls um Theaterwissenschaft, Sie verwechseln hier die Genres. Kunstgeschichte handelt von Picasso und Co., Tanztheatergeschichte von Kresnik und Co ;-)... einfach hingehen, gucken, hingehen, gucken.. mit den Menschen, die dort arbeiten, reden, selbst denken, sich informieren, evtl selbst dort arbeiten, wieder gucken.. etc..... nicht Papierstapel wälzen und Theorien verbreiten, und nicht oberflächlich eine These auf alle Stücke übertragen... dann klappt das schon :-) und das alles... .jahrzehntelang....
Aber Ihre Behauptung ist offenkundig irreführend. Denn was ist ihre Referenz? Schwarzafrika?
Die bundesdeutsche Gesellschaft ist auch (fast ausschließlich) weiß. Das hat historische Gründe. Hat auch mit Kolonien zu tun (vgl. Magreb und Frankreich etc.).
Und: Wie selbstreferentiell ist denn bitte die Blackfacing-Debatte??
Man kann sich diese Inszenierung gut anschauen und man kann danach (anders, als es mir bspw. nach "Shoppen und Ficken" in der Schaubühne erging) danach gut ein Bier trinken gehen und über das Wetter schwadronieren.