In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich - In Ingolstadt ist mit dem Stück der Algerierin Rayhana über Frauen im Hamam ein starker Theaterstoff zu entdecken
Ein Islam, der sich gewaschen hat
von Christian Muggenthaler
Ingolstadt, 13. Mai 2016. Nur weil manche Dinge möglicherweise banal klingen könnten, verlieren sie deshalb noch lange nicht an Wahrhaftigkeit. Weshalb also gern und nach dem Ingolstädter Theaterabend auch zwangsläufig als grundlegendes Notat gilt: "Den Islam" gibt es nicht. Für ihn gilt, was für jedes Konglomerat von Menschen gilt: Er setzt sich zusammen aus Individuen, mit ihren einzigartigen Schicksalen, mit ihrer Liebesfähigkeit, mit ihrer Grausamkeit, ihrem Leid, mit ihren je eigenen guten oder schlechten Gründen, etwas zu tun oder zu lassen. Genau darum geht es in Rayhanas Stück "In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich": um die Individualität und Unterschiedlichkeit einiger Frauen in einem Hamam in Algier, in einer Badeanstalt also.
Diese Unterschiede sind manchmal entzückend, manchmal erschreckend. Aber sie ergeben durchaus auch Stoff für eine Komödie. Beziehungsweise: ergäben. Denn draußen tobt algerische Geschichte, draußen wüten der Terror, der Fundamentalismus und ein gnadenloses Patriarchat. Kann unter solchen Umständen Komödie funktionieren? Rayhana versucht's. Allein diese Suche nach Lachlust ist Menschlichkeit pur, weshalb das Stück, das jetzt deutschsprachige Erstaufführung am Stadttheater Ingolstadt hatte, von viel mehr erzählt als vom Leben in einer halbtotalitären Gesellschaft, von der muffigen Aura trostloser Tradition. Es ist auch und vor allem ein starker Text über das Thema Menschlichkeit. Weshalb ihn zu spielen schlicht die Entdeckung eines starken Textes fürs deutschsprachige Publikum ist.
Das große Männer- und Frauen-Ding
Rayhana, 1964 in Algerien geborene Autorin, schreibt unter Pseudonym und war auf dem Weg zu einer Aufführung ihres Stückes in Paris nur knapp einem Brandanschlag islamistischer Gewalttäter entgangen. Da ist sie furchtbar konkret, die Gewalt von außen, die paralleles Thema des Theaterabends ist. Denn so liebevoll die Autorin die Figuren in ihrer Geschichte anlegt – die Liebesbedürftige, die Strenge, die Selbstbewusste, die Kernige –, so sehr dräut von draußen Bedrohung. Jedoch, und das ist ganz zentral, diese Frauen sind bei aller Unterschiedlichkeit dialogfähig geblieben. Sie streiten mitunter massiv über stark gegensätzliche Positionen, aber sie sprechen miteinander.
Die Ingolstädter Inszenierung von "In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich" macht vieles richtig, weil sie so herrlich unkompliziert daherkommt. Regisseurin Brit Bartkowiak vertraut ganz einfach der im Kern komödiantischen Grundstruktur, besagten vertrauten Typisierungen, und gewinnt dadurch sofort Vertrauen und Vertraulichkeit. Das große Männer- und Frauen-Ding: global wie sonst vielleicht nur noch der Klettverschluss. Funktioniert immer. Algier? Wischiwaschi! Diese Frauen in ihrem Waschhaus reden von Liebe und Sex und dabei keineswegs um irgendeinen heißen Wassertrog herum, genau so wenig wie in New York oder Posemuckel. Sie mögen sich und hassen sich, mögen und hassen ihre oder andere Männer. Nikolaus Frinke und Carolin Schogs unterstützen mit Bühne und Kostümen diese Unmittelbarkeit, es dampft und pritschelt, Tücher umhüllen die Damen, hängen tropfend von der Bühnendecke.
Humanitäre Anti-Haltung zum inhumanen Draußen
Aber dann eben doch auch: Algier. Der Eindruck von Gewalt und Bedrohung entsteht in dieser Inszenierung über die dezent eingesetzte Musik von Joe Masi und über Geräusche: Schüsse, Explosionen, Männerstimmen, Drohungen. Das ist alles nicht ganz wirklich und gerade deshalb so absurd. So entsteht drinnen – und eben auch: im Theaterraum – eine Anti-Welt mit im Wesentlichen humanitärer Anti-Haltung zum inhumanen Draußen. Mörder, heißt es so schlicht wie richtig, sind und bleiben Mörder, welche Beweggründe auch immer sie haben mögen. Bartkowiak lässt diese kämpferische Renitenz sich entwickeln, folgt auch hier der Spur des Textes und seinem Schlängeln zwischen Komik und Tragik.
Und sie kann bei all dem auf famose Ingolstädter Darstellerinnen zugreifen, die überzeugend all die klar konturierten Frauenfiguren besetzen und in Besitz nehmen, beispielsweise Manuela Brugger als Handlungschefin Fatima, kantig, bissig, selbstbewusst, Mira Fajfer als ihre so zarte, liebesbedürftige Gehilfin Samia, Yael Ehrenkönig als ebenso verletzte wie starke Studentin Nadia, Chris Nonnast in einem schmerzhaften Monolog über die Vergewaltigung einer Minderjährigen im durch gruslige Tradition sanktionierten Humbug-Gewand der Ehe. Ein Stück und eine Inszenierung als farbig-vielfältige Gegenposition zum Schwarz-Weiß-Denken aller möglicher Provenienz.
In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich
von Rayhana
Deutsch von Elisabeth Schwagerle
Regie: Brit Bartkowiak, Bühne: Nikolaus Frinke, Kostüme: Carolin Schogs, Musik: Joe Masi, Dramaturgie: Gabriele Rebholz.
Mit: Manuela Brugger, Sandra Schreiber, Victoria Voss, Mira Fajfer, Yael Ehrenkönig, Chris Nonnast, Kathrin Becker, Teresa Trauth, Mara Amrita.
Dauer: 1 Stunde 50 Mintuten, keine Pause
www.theater.ingolstadt.de
Mehr zu Rayhana: Das Stück wurde 2014 mit dem Jürgen Bansemer & Ute Nyssen Dramatikerpreis ausgezeichnet.
"Was für eine starke Truppe! Was für ein kühnes Stück! Was für eine eindrucksvolle Inszenierung!" schreibt Anja Witzke im Donaukurier (16.5.2016). Trotz der existenziellen Themen habe die unter Pseudonym schreibende Dramatikerin "so etwas wie eine Komödie geschrieben. Doch Leichtigkeit und wahnwitzige Dialoge werden mit archaischer Wucht durchbrochen, die Wirklichkeit des Terrors ist stets präsent. Regisseurin Brit Bartkowiak schafft eine perfekte Atmosphäre (Bühne: Nikolaus Frinke, Kostüme: Carolin Schogs, Musik: Joe Masi), setzt die waghalsige Komik mit größter Präzision und Virtuosität um und verleiht jeder Figur ein individuelles Profil". Und weil ihr darüber hinaus eine fabelhafte Schauspielertruppe zur Verfügung stehe, sei der Abend nicht nur ein kluger, berührender Beitrag zur aktuellen politisch-gesellschaftlichen Situation, sondern auch reinstes theatrales Vergnügen.
"Dass es ausgerechnet die Ingolstädter sind, die es in Deutschland erstmals auf die Bühne bringen, kann man als Coup bezeichnen", schreibt Florian Welle in der Süddeutschen Zeitung (16.5.2016). "Neun Frauen, neun durchaus scherenschnittartig angelegte Typen, von der Naiven bis zur Toughen, von der Laizistin bis zur Fundamentalistin. Zuletzt das Wichtigste: Rayhana hat eine vorzüglich gebaute Tragikomödie geschrieben. Was man erst einmal nicht vermuten würde: Immer wieder drängen boulevardesker Dialog-Ping-Pong, Klatsch und Tratsch all die schweren Themen von Zwangsverheiratung über Gewalt in der Ehe bis zum Ehrenmord für einen Moment in den Hintergrund und sorgen für durchaus gewollte Lacher. Schließlich, so könnte man Rayhanas Absicht interpretieren, fürchten alle kleinen und großen Despoten dieser Welt nichts mehr als Spott, Ironie und Gelächter!"
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