Stückemarkt des Theatertreffen 2016 - Der Werkauftrag-Pitch beim Stückemarkt mit zweifelhaftem Ergebnis
Von wegen "Germany's next Topmodel"
von Michael Wolf
Berlin, 18. Mai 2016. Schluss mit der Romantik: Dramatiker sind Autoren sind Marken. Um ihren Wert zu steigern, brauchen sie Aufmerksamkeit, müssen sich vernetzen und nicht nur ihre Texte, sondern mindestens so sehr auch sich selbst verkaufen. Insofern ist die neue Idee des Stückemarktes des Berliner Theatertreffens nur konsequent, gerade hinsichtlich des Wunsches, sich wieder verstärkt als Markt ins Gespräch zu bringen.
Was wäre da angebrachter als ein öffentlicher "Pitch"? Der Pitch ist vor allem in der Startup-Economy verbreitet. Beim Pitchen geht es darum, in möglichst kurzer Zeit einen Investor oder Arbeitgeber von einer Geschäftsidee zu überzeugen. Häufig ist auch vom "Elevator-Pitch" die Rede, bei dem es gilt, die eigene Idee in nur zwei Minuten – die Zeit, die man mit seinem Chef im Aufzug verbringt – möglichst überzeugend zu präsentieren.
Von Dramatik alten Stils gelöst
Die Autoren und Performer des Stückemarktes hatten immerhin zehn Minuten, um allein, in Videos oder mit Schauspielern ihr nächstes Stückprojekt vorzustellen. Am Ende wurde vor Ort und im Netz (es wurde livegestreamt) abgestimmt, wer den Preis erhalten sollte: eine Uraufführung am Theater Dortmund und 7000 Euro. Zudem durfte eine Expertenrunde Fragen stellen: Kay Voges (Intendant am Theater Dortmund), Kathrin Röggla (Dramatikerin, Stückemarkt-Auswahl-Jurorin und Vizepräsidentin der Akademie der Künste), Kulturjournalist und TT-Blog-Leiter Janis El-Bira und der Netzaktivist Markus Beckedahl (Chefredakteur netzpolitik.org, Mitgründer re:publica), von dem bislang nicht bekannt war, dass er auch Ahnung von Neuer Dramatik hat.
Brauchte er aber auch nicht. Schließlich führte die Neuausrichtung des Stückemarkts dazu, dass ohnehin kaum mehr ein Text dramatisch zu nennen war. Performer und Kollektive werden schon seit vier Jahren ebenfalls zur Bewerbung geladen. Stück-Projekte mit Text, Dialogen und einem klassischen Figurenpersonal waren deutlich unterrepräsentiert. Davon abgesehen fiel es Beckedahl wohl ohnehin schwer, einen Eindruck von den Projekten zu bekommen.
Internationale Ausrichtung
In den Präsentationen und Videos gaben die Nominierten vor allem Plattitüden von sich oder übten schon mal fürs Programmheft. Ein kleines Best-Of: "We are dealing and redealing with the possibility of a dialogue"; "The question, where we come from and where we go to, is so existential"; "The state of constant constantness is a place between virtuality and reality." Spätestens im Gespräch mit der Expertenrunde gerieten die Begriffskugeln in diesem Bullshitbingo außer Kontrolle. Lustig waren immerhin die immer hilfloser werdenden Fragen. "How will you create a black hole on the stage?" (Kay Voges); "Can you imagine to use a beamer?" (Beckedahl) oder: "Have you lost faith in humanity?" (Zuschauerfrage)
Gewonnen haben Bara Kolenc und Atej Tutta aus Slowenien. In ihrem Projekt geht es um schwarze Löcher und Paranoia. Genauer weiß ich es auch nicht. Auf der Bühne brachte Kolenc kaum einen klaren Satz heraus.
Natürlich hätten die Vortragenden ihre Projekte besser in ihren Muttersprachen vorstelllen können. Unter den fünf Nominierten war mit Simone Kucher nur eine Deutsche. Drei Kandidaten mussten in einer Fremdsprache präsentieren, was ihnen das Pitchen teils sichtlich erschwerte. Es wäre unfair, den Autoren hieraus einen Vorwurf zu machen. Sie schreiben und arbeiten schließlich in ihren Heimatländern. Hieran zeigt sich aber, wie abwegig die Idee ist, den Wettbewerb so stark international auszurichten. Denn die Chance, als kroatischer oder sogar Hong-Kong-chinesischer Autor (wie Pat To Yan) regelmäßig auf Deutsch gespielt zu werden, kann als recht gering eingeschätzt werden – mit oder ohne Uraufführung am Theater Dortmund.
Spaß oder Ernst?
Dem Versuch des Pitches muss zu Gute gehalten werden, dass er sich vortrefflich selbst widerlegt hat: Theater ist eben doch (noch) nicht so neoliberal, so über alle Sprachen und Grenzen hinweg verwertbar. So bleibt vom Stückemarkt nicht mal der Markt übrig. Denn ein Markt, ein Bedarf, müsste ja da sein; es reicht nicht, ihn im Stile des überkommenen Theaters so billig zu behaupten.
Leider machen sie nicht mal eine richtige Abschieds-Show draus. Schade, dabei hatte Kathrin Röggla den Abend im Vorfeld als "Germany's next Topmodel" für Dramatiker*innen angekündigt. Aber weit gefehlt: Das kollektive Abstimmverfahren ist langweilig, es gibt keine Jury-Voten, die Gesprächsstoff böten.
Volksbühnen-Schauspieler Maximilian Brauer führt als hyperaktiver Moderator durch den Abend. Seine Unsicherheit versucht er damit zu kompensieren, sie offen zur Schau zu tragen. Er trägt einen albernen Anzug und Perücke, muss ununterbrochen etwas Witziges sagen. Seine Auftritte sind symptomatisch für diese überspannte Veranstaltung. Alle nehmen sie diesen Wettbewerb viel zu ernst. Das ist verständlich, weil es um 7000 Euro geht. Bitte nächstes Mal einfach losen oder unter allen Beteiligten aufteilen oder noch besser: für das Geld Heidi Klum einladen.
TT Stückemarkt Werkauftrag-Pitch
Texte und Stücke von Jonathan Bonnici ("Ality"), Simone Kucher ("Die Wahrhheit der Fanny Löwitt"), Dino Pešut ("Grand Hotel Abyss"), Bara Kolenc & Atej Tutta ("Metamorphoses No. 4: Blackholes"), Pat To Yan ("Posthuman condition").
Mit: Luise Aschenbrenner, Sean Curren, Trista Ma, Marie-Lou Sellem, Jutta Wachowiak (Schauspieler*innnen), Maximilian Brauer (Moderation), Katharina Woll (Video).
www.berlinerfestspiele.de
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Wenn das sogenannte Moderne bei den Verantwortlichen, bei Wettbewerben und auch im Theater angekommen ist, ist es real schon das Konservativste, was es gibt.
Kein Autor bezieht Position oder hat eine Haltung.
Alles ist flächig, performativ, irgendwie wahnsinnig vernetzt.
Wo sind die Autoren, die gerade in einer vernetzten, dekonstruktiven Welt noch die realen Situationen beschreiben können? Wer kann noch Dialoge schreiben?
Wer hat wirklich noch was zu erzählen?
WAS ZU ERZÄHLEN?
Nach anfänglichen 5 min (Übersetzung hat da noch nicht funktioniert) dem hyperaktiven und nervigen Moderator zuhören und sehen, habe ich dann den Ton komplett weggelassen und nur noch nach Bedarf eingeschaltet.
Da ich nicht viel mitbekommen habe, kann und will ich über Qualität nicht sagen. Bur eines zum Abstimmmodus ... auf der einen Seite toll, das reale und virtuelle Publikum darf entscheiden. Jedoch macht mir das virtuelle Publikum sorgen, denn letztendlich verzerrt es das Ergebnis. Miest ist es doch so, bei Online Abstimmungen, die Gruppe, die über Social Media / Internet Aktivitäten die meisten für sich gewinnen kann, kriegt auch die meisten Stimmen, ob diese Abstimmenden aber auch den Pitch, die Stück Idee kennen ist fraglich.
http://www.deutschlandfunk.de/stueckemarkt-beim-berliner-theatertreffen-experimentierfeld.691.de.html?dram:article_id=354584
es gibt sicher vieles zu kritisieren am ersten Versuch eines Pitchs im Rahmen des Stückemarkts. Die Frage ist aber auf welcher Basis. Auch wenn es sich gut einpaßt in eine diskursgängige Verurteilung, stimmt es nicht, dass Pitches ausschließlich der New Economy o.Ä. vorbehalten sind. Es gibt neben dem Theaterbetrieb auch noch andere Bereiche von Arbeit mit darstellender Kunst. Film zum Beispiel. Ich nehme an, dort arbeiten nur Idioten und alle Drehbuchautoren, die regelmäßig ihre Ideen pitchen sind neoliberale Schwachköpfe, die nur Mist produzieren. So wie diese schrecklichen HBO-Serien, die nie und nimmer irgendwo und irgendwann gepitcht wurden. Eine derartige Professionalisierung der Präsentation von Ideen bringt definitiv nur Schlechtes hervor und so etwas wie Writer's Rooms würde niemals diskutiert werden in diesem Forum hier.
Es ist auch eindeutig neoliberal, wenn ein Festival es wagt dezidiert internationale Arbeiten zu präsentieren. Was sollen denn die kroatischen und hongkong-chinesischen Texte auf unseren Bühnen??? Also wirklich, wir haben in teutschen Landen schon genug Autoren. Bleibt mal weg ihr Fremdländer.
Ich bin entsetzt angesichts der Ressentiments und zur Schau getragenen Ignoranz, die sich hier artikuliert. Der Pitch war sicher nicht optimal. Die Qualitätsdiskussion fand bestimmt nicht in ausreichendem Maße statt - aber sie ist definitiv durch die Öffnung des Prozeß angestoßen. Und es gibt vieles zu verbessern. Die technische Umsetzung zum Beispiel.
Aber was ist denn der momentan vorherrschende Status quo? Entscheidungen dieser Art werden hinter verschlossenen Türen getroffen. Auch gut. Aber warum ausschließlich so. Weiß nur der eine starke weiße Mann (um die Regel mal zu benennen) was gut ist für sein Publikum? Sollte es nicht zumindest flankierend, bereichernd weitere Wege geben den Qualitätsbegriff diskursiv zu machen. Denn "Qualität" im Kunstbetrieb ist eine Chiffre der Macht, das ist wohl allen, die einmal darüber nachgedacht haben klar.
Wenn es für diesen Prozeß - der bestimmt schlingernd verlaufen wird - eine Professionalisierung von Autor*innen in der Präsentation ihrer Inhalte braucht, dann finde ich ist nichts Unstatthaftes verlangt. Das machen andere Autor*innen in anderen Kontexten auch und sie wachsen eher daran als, dass sie sterben. Der Begriff des romantischen Künstlers ist vielleicht im Sterben. Aber das könnte auch ok sein.
Die Autor*innen beim diesjährigen Stückemarkt hatten auf jeden Fall die Chance nach den szenischen Lesungen noch einmal selbstbestimmt eine Form zur Präsentation ihres Schaffens zu wählen. Wenn man davon ausgeht, dass nicht jede*r einverstanden war mit den Lesungen ist so etwas doch auch eine Chance.
So gesehen, finde ich sicher nicht alles supi, was da gelaufen ist, aber es hatte mit GNTM nichts zu tun, und dass dieser Referenzpunkt hier mantraartig wiederholt und führt vorbei am Kern der Sache. Der Frage nämlich, wie können auch Theaterautor*innen neben den momentanen oftmals persönlich unangenehmen, halbverborgenen auch halbseidenen Wegen zu Aufführungsmöglichkeiten, weitere Wege bekommen ihre Arbeit sichtbar und attraktiv zu machen.
Denn, people, es ist nicht wahr, dass sich immer die "Qualität" durchsetzt. Die gibt es nicht als unabhängige Entität da draußen.
Wieso vergleichen Sie Dramatik mit Drehbüchern für HBO-Serien, ohne diese differenziert zu vergleichen???
Wieso sehen sie den "writers room" hier nicht diskutiert? Es wurde durchaus schon darüber diskutiert im Zusammenhang mit Ausführungen innerhalb einer Tagung der Dramaturgischen Gesellschaft von Ulf Schmidt.
es handelt sich um ein Mißverständnis. Ich halte mitnichten Pitches für die einzige professionelle Selbstdarstellungsmethode. Der Pitch mit Regeln, die für alle gleich gelten ist nur eine aus einer anderen Kunstgattung erprobte und in der Regelhaftigkeit nachvollziehbare Form, die gegenüber Antichambrieren o.Ä. was sonst so im Schwange ist, Vorteile bietet. Professionalität ist in dem Zusammenhang die Fähigkeit in einer bestimmten Zeit einen verdichteten, prägnanten Eindruck einer potentiellen Arbeit herstellen zu können. (10 Minuten sind da sicher eher ausführlich und human zu nennen) Diese Fähigkeit ist erst mal nur eine Fähigkeit - sonst nichts. Und es hat nichts mit Aufmerksamkeitsökonomie zu tun, wenn man relativ bald auf den Punkt kommen kann. Das hilft nur beim Verständnis des Anliegens.
Drehbücher sind keine Theaterstücke. Das stimmt. Aber Theaterstücke sollen auch realisiert werden und müssen Dramaturgien, Regisseure, Schauspieler, Bühnenbildner, Intendanten, Kuratoren etc. überzeugen. Also gibt es eine Notwendigkeit diese Überzeugungsarbeit zu leisten. Wie wäre es gut? Es gibt die unendliche Weisheit der Individuen, die Gefahr läuft das Immergleiche (vielleicht sogar wirklich Bewährte) zu reproduzieren. Und es gibt die Möglichkeit - sagen wir doch einmal bescheiden: flankierend - neue Kanäle der Verständigung für diese Verständigungsarbeit zu eröffnene. z.B. Pitches.
Meine Bemerkung zum writer's room war sarkastisch.
die Filmwirtschaft, in der es darum geht, mit einem Pitch Geldgeber von finanztauglichen Ideen zu überzeugen, muss ja jetzt wohl hoffentlich nicht als Vorbild herhalten für den staatlich subventionierten Theaterbetrieb. Ich will weder, dass sich das Theater was von der Werbewirtschaft abschaut, noch von der Filmwirtschaft. Mal ganz abgesehen davon, dass meines Wissens auch noch nicht im Fernsehen per Online-Voting Drehbuchschreiber vor die Kamera gezerrt wurden, und die Zuschauer über das beste, markttauglichste Drehbuch abgestimmt hätten.
Und zum Thema Internationales: Als ob der Stückemarkt hier ein Vorreiter wäre! Als ob man hier noch etwas "wagen" müsste! Die Wiesbadener Biennale hat auch internationale Autoren präsentiert und oft Spannendes vorgestellt (ich weiß das, weil ich lange in der Gegend gewohnt habe). Internationale Festivals sind doch heute die Regel, nicht die Ausnahme. Da gefallen Sie sich aber sehr in ihrer Pseudo-Innovationskraft, die einfach nur neoliberale Globalisierung bedeutet. Die Frage ist doch: Wo bleibt bei allem Autoren-Performer-Internationalitäts-Mischmasch die nachhaltige Förderung?
Liebe alle.
Manchmal ist es es einfach nur schlecht.
Egal ob Pich oder Patch oder Putsch.
Die Form macht glücklicherweise die Sache nicht besser,
Also in die Hände spucken und arbeiten.
Alles andere ist performative Faulheit.
lieber Bernd,
liebe alle,
ich nehme an, dass ich nicht der Stückemarkt selber bin, wenn ich bis dato als freier Dramaturg arbeite. Aber derartige Unterstellungen sind leider der schlechte Ton, der hier immer wieder herrscht. Was nicht übereinstimmt, wird hier wohl immer diffamiert werden.
Ich möchte ein paar Fragen in den Raum stellen:
Sind alle, die den Pitch grundsätzlich, und nicht aufgrund von dieser oder jener Rahmenbedingung, ablehnen zufrieden mit der Verteilung an künstlerischen Chancen im "Betrieb"?
Finden alle, dass sich gesellschaftliche Diversität ausreichend abbildet im "Betrieb" trotz offensichtlich weitestgehender Homogenität in der Position der "gatekeeper" (Intendanz, Dramaturgie etc.)?
Ist das überhaupt wünschenswert?
Wie definiert Ihr Qualität?
Habt Ihr alternative Maßstäbe, die Ihr situationabhängig auch anlegen könntet?
Sollte es partizipative Auseinandersetzungen über Qualität im Theaterdiskurs geben oder sollte das was Qualität ist von der oben angesprochenen Gruppe weiter machtausübend definiert werden?
Was hat das web 2.0 mit Theater zu tun?
Wer soll ins Theater gehen?
Wer lieber nicht?
Warum?
Wie hoch schätzt Ihr den Grad an Selbstreflektion/Selbstkritik/Veränderungsbereitschaft in den Machtpositionen des "Betriebs" ein?
Gibt es einen Diskurs der ernstzunehmend jenseits von "gefällt mir" in der Praxis von Machtentscheidungen geführt wird?
Was ist Marktkonformität im Schreiben?
Ist Elfriede Jelinek mittlerweile marktkonform in ihrem Schreiben?
Wie sollen Auseinandersetzungen im Kontext des "demokratischen" Mediums Theater geführt werden auf der Basis von Rumgehate oder doch mit Argumenten?
Was ist so toll am Geniekult?
Gibt es das so auch außerhalb von Teutschland?
Sind alle die Pitches befürworten in der FDP, Nazis, dumm, unwissend, DSDS-Mitglieder, unromantisch, neoliberal (das habe ich so häufig gehört, dass ich es gar nicht mehr verstehe dieses Wort), noch zu jung, um zu wissen, was oder wer besondere Menschen sind?
zu1.Ich weiß nicht, ob alle die den Pitch grundsätzlich ablehnen, mit der Verteilung künstlerischer Chancen im Betrieb zufrieden sind. Ich selbst lehne Pitches nicht grundsätzlich ab. Sondern konkret für literarische Werke, für Dramatik und für Philosophische komplexe Überlegungen. Für alles also, was sprachenbasiert gearbeitet ist. Für bildnerische Werke, bei filmischen Werken mit Einschränkung, für naturwissenschaftliche Arbeiten, für technische Neuerungen, für medizinische Neuerungen halte ich sie sogar für sehr sinnvoll. Weil sie den Vorstellenden zwingen können, sich auf das Wesentliche des von ihm erarbeiteten Fortschritts im Fachbereich zu konzentrieren. Bei sprachbasierten Werken ist aber die Sprache genauso wesentlich wie das, was mit ihrer Spezifik beschrieben, erzählt, fabuliert wird. Wenn ich also die Sprache beschneide durch das Vorstellungsformat, arbeite ich die Chancenlosigkeit für eine adäquate Vorstellung der Arbeit mit ein. Deshalb eignet sich für eine adäquate Vorstellung von Literatur, oder etwa neuer Philosophie besonders das öffentliche Gespräch über das jeweilige Werk oder neue Denken. Und für Dramatik eignet sich das moderierte Probengespräch unter und mit Schauspielern, aus dem sich eine Inszenierung ergibt. In den Pitch gezwungen, hätte Döblin vermutlich niemanden von seinem Berlin Alexanderplatz überzeugen können. Könnte ich niemandem von auch nur einem meiner Stücke oder meinem fertiggestellten Roman überzeugen; würde ein Kulturwissenschaftler wie Biung-Chul Han oder ein Kommunikationswissenschaftler wie Villem Flusser niemanden von seinen philosophischen Überlegungen so überzeugt haben, dass diese lehrbar geworden wären…
zu2. Auch hier weiß ich nicht, was „alle“ finden. Ich finde, dass gesellschaftliche Diversität wegen der relativen Homogenität in den Intendanzen und Dramaturgien nicht genug abgebildet wird. Weil diese Homogenität verhindert, dass sich größtmögliche Diversität möglichst in EINEM zeitgenössischen Werk abbildet, sondern das alleinige Heil der Diversität in der Spielplangestaltung und in der begleitenden Öffentlichkeitsarbeit sucht.
zu3. Ich halte größtmögliche Diversität vor allem in Meinungen und Ansichten und Wahrnehmungsgewohnheiten in der Darstellung von Gesellschaft in Literatur und besonders in der Dramatik als Sprechgrundlage für Schauspielkunst für wünschenswert.
zu4. Das genau definiert für mich Qualität in der Dramatik.
zu5. Ich möchte eine Sprache in der Dramatik, die zwingend für den Inhalt ist und umgekehrt. Eine Not der Figuren zur Darstellung, die sich Raum schafft. Das wäre im Moment mein Maßstab in der Beurteilung von Dramatik.
zu6. Beides. Das eine geht ohne das andere nicht. Es muss eine - besondere - Art Hass-Liebe sein, die da zwischen Determinierungsmacht und Dramatikern besteht. Sonst kann sich weder die Dramatik noch das Theater in seiner Zeit künstlerisch bewegen.
zu7. Diese Frage würde ich gern als letzte beantworten.
zu8. Von mir aus braucht gar keiner ins Theater gehen.
zu9. Von mir aus soll lieber jeder ins Theater gehen können.
zu10. Weil der Mensch frei ist.
zu12. Weiß ich nicht. Wenn er geführt wird, wird er backstage geführt.
zu13. Marktkonformität im Schreiben ist, wenn ich weiß, ich muss um gelesen, rezipiert oder überhaupt veröffentlicht zu werden, so schreiben, dass es mir möglich ist, Verleger, Lektoren, Regisseure oder dergleichen von meiner Arbeit zu überzeugen. Und das heißt so, dass ich das Geschriebene auch erfolgreich pitchen kann. Ich müsste dann das Wesentliche, nämlich die spezifische Sprachform, die ich für ein Thema gefunden habe, weglassen. Ihren Duktus, ihre Musik, die Not des Lebens der Figur oder Figuren, die genau diese Sprache sprechen oder durch sie hindurch… Dann kann ich das Thema in jeder beliebigen anderen Sprache auch vorstellen. Was dann aber Schule oder etwa Prostitution ist und keine Kunst.
zu14. Ich verehre die jahrzehntelang kontinuierlich erbrachte Leistung Elfriede Jelineks. Der Frage, ob sie mittlerweile in ihrem Schreiben sich marktkonform verhält oder ob ihr Schreiben marktkonform benutzt wird, müsste sie sich selbst stellen. Ich selbst konnte seit „Kontrakte des Kaufmanns“ nichts mehr durchhalten zu lesen, weil ich keine Aufmerksamkeit mehr darauf halten konnte. Und ich bedaure das sehr.
zu15. Mir wäre natürlich Argumentieren am liebsten. Aber wenn es nicht beim Rumgehate bleibt und das in ein Argumentieren kommt und dann vielleicht auch in einem, eher im gegenseitigen Einvernehmen gespielten, Gehate pausiert, dann kann ich auch mit Rumgehate leben. Das kommt ja in den besten Familien vor. Gefühle äußern sich eben nicht immer fein und kontrolliert. Und man kann eventuell emotionslos argumentieren, aber man k o m m t niemals emotionslos zu Argumenten!
zu16. Am Geniekult ist absolut nichts toll. Wahrscheinlich ist Geniekult eine Tendenz zur Kultivierung von Geistlosigkeit. Deshalb muss er vor allem für Genies etwas grauenhaftes sein.
zu17. Hochwahrscheinlich gibt es so etwas auch außerhalb von Deutschland. Weil es schließlich auch außerhalb von Deutschland Geist gibt. Und wo der ist, gibt es natürlich auch Kultivierungsbestreben von Geistlosigkeit.
zu18. Ich kenne keine Erhebungen darüber, wer alles Pitches befürwortet und kann deshalb dazu nichts sagen. Was ich sagen kann ist aber, dass kein Mensch zu jung dafür sein kann, einen Menschen als einen besonderen Menschen wahrzunehmen oder zu erleben. Höchstens zu jung dafür, sich selbst als einen solchen wahrzunehmen. Der Mensch ist ja etwa drei Jahre alt, ehe er sich überhaupt selbst als Mensch wahrnimmt. Das ist, wenn er Ich als das eine, nämlich sich, und ein Du als das andere, das außer-Ich wahrnimmt. Der Schritt vom „Ich“ zum „Ich-bin“ zum „Du, Ich-bin-ich“.- Das „Ich-bin-ich weil Du-du-bist“ kommt ja erst später mit der geschlechtlichen Reife; und es geht auch darüber noch weiter, das führt aber über ihre Frage hinaus und in vielleicht einen anderen Raum…
Für ihre 7. Frage brauche ich etwas mehr Zeit, um mich kurz fassen zu können, denn sie hat mit all den anderen zu tun. Nicht nur mit Theater. Wollen Sie mir die Zeit geben?
Es liegt aber letztendlich in der Verantwortung der AutorenInnen, wie sie sich öffentlich vermarkten. Diese Form, bei einer so geringen finanziellen Aussicht, erscheint mir ein wenig obszön. Aber wem es gefällt, der soll es gerne machen.
Der Versuch alle, die so nicht produzieren wollen, als hoffnungslos rückständig hinstellen zu wollen, und dieses Ansinnen steht ja wohl im Raum, ist lächerlich. Wie und ob ich produziere geht erst einmal niemanden etwas an. Wie ich Kontakte herstelle oder auch nicht, ist meine Sache. So ein Pitch wäre für mich nur überlegenswert, wenn er finanziell lukrative wäre, und auch dann würde ich wahrscheinlich die Form der Präsentation kritisch zum Gegenstand der Präsentation machen und die Macher nicht vor meiner Kritik und meinem Zynismus schonen, was jene wahrscheinlich sogar begrüßen würden. Ich müsste mir also eine Konzeption erarbeiten, wie ich diesen Pitch bloßstellen könnte, und auch so eine konzeptionelle Arbeit würde ich nur gegen Bezahlung verrichten wollen, gegen eine Luxus-Gage. Denn der einzige Grund sich derart nackig zu machen, wäre Geld, viel Geld, und auch diesen Umstand würde ich versuchen offen nach außen zu kommunizieren.
Die Digitale Revolution unterscheidet sich m.E. von den anderen Revolutionierungen der Produktionsmittel. Sie gleicht ihnen UND unterscheidet sich von ihnen. Gleichzeitig! Sie gleicht den Vorgängern darin, dass sie buchstäblich um die Welt gehen, g l o b a l das Leben revolutionieren. Nach der Mechanisierung, Motorisierung und Automatisierung der Produktionsmittel, die immer der Arbeitsaufwandsentlastung der Vorgänger dienten, revolutioniert die Digitale Revolution, also u.a. das web2.0, aber nicht nur die produzierende Arbeitsaufwendung der Vorgänger-Revolutionen, sondern gleichzeitig die Kommunikation über diese! - Das hat unser aller Arbeits- und Kommunikationsmethoden fundamental verändert.
Und zwar vollkommen unabhängig davon, ob wir diese neuen Methoden- ganz oder teilweise - verwenden oder nicht!
Das ist ein Punkt, der im Moment vom Theater noch übersehen oder übergangen wird. Das macht dann diese Bemühungen, den Menschen mit dieser neuen Technik umgehend darzustellen, schnell etwas lächerlich. Ebenso, wie das krampfhafte Mühen, die Auswirkungen der Digitalen Revolution wenigstens auf dem Theater aus den Menschendarstellungen herauszuhalten. Ich glaube nicht daran, dass das Regiemethodik im Moment hinreichend abbilden kann, ohne so ein diffuses Unbehagen an der Ironie beim Publikum wie sich selbst zu hinterlassen. Ich glaube, das muss im Moment zeitgenössische Dramatik – und zwar möglichst einfach – abbilden. –
Kürzer auf lautet meine Antwort auf Ihre siebte Frage also: Alles.
Die Verhältnisse machen ihn dazu, könnte man vereinfacht antworten.
So ein Pitch ist bestens dazu geeignet, die Macher zu Figuren herabzuwürdigen. Die digitalen Verhältnisse theatralisieren sie selbst, und nicht mehr die Stoffe, die sie eigentlich dramatisieren und präsentieren wollten. Die Digitalisierung der Theaterproduktion und die ihr zugeordnete digitale Kommunikation sind in sich schon so theatral, dass sie mehr untersucht, wie sich der einzelne Veranstalter, Bewerber und Moderator als Figur im Digitalen darstellt. Der zu dramatisierende Stoff tritt dabei fast in den Hintergrund, denn die Macher selber sind schon zu sehr Figur, um noch Urheber sein zu können.
vielen Dank für Ihre Antworten. Sie haben sich wirklich ernsthaft mit meinen teils provokativen Fragen befasst. Danke dafür. Das ist nicht selbstverständlich. Danke.
Ich bin trotz allem immer noch der Meinung, dass eine Präsentation eines Schreibvorhabens im Rahmen eines Pitches ok ist, als eine Möglichkeit, um neuen Stimmen, die noch nicht fest im System inthronisiert sind eine Chance zu geben.
Ja, die Form ist eigen. Ja, sie bedarf des Trainings und der Überprüfung. Ja - @Martin Baucks - 7000 Euro sind definitiv zuwenig für einen ordentlichen Werkauftrag. Ja, der Gegenstand - dramatisches Schreiben - erfährt eine Zuspitzung hin auf eine Präsentationsform. Nein, die bisherigen Formen sind nicht optimal und gewährleisten nicht ausreichend Diversität im System. Nein, es ist m.E. keine Herabwürdigung, wenn jemand seinen Stoff professionell in fairen Rahmenbedingungen präsentieren darf. Diese Bedingungen waren beim Stückemarkt gegeben. Die ganze Fokussierung auf Likes und die böse Aufmerksamkeitsökonomie geht vorbei an den real vorgegebenen Bedingungen. Ja, die Pitchenden waren teilweise zu aufgeregt. Die Form ist neu. Und trotzdem musste sich niemand nackig machen. Man lernt durchs Tun wohl dazu. Und es ist eine böswillige Unterstellung zu sagen, dass der Stoff hinter der Figur des Pitchenden in einem solchen setting per se völlig zurücktritt. Das würde ich gerne noch einmal empirisch und nicht nur spekulativ überprüfen. So erschien mir das Ganze nicht. Und das halte ich einfach auch für einen Teil der Professionalisierung und ja auch Normierung (durch die Rahmenbedingungen) von derartigem Tun. Normierung erscheint mir in dem Zusammenhang auch überhaupt nichts Schlechtes, weil man dadurch besser Vergleiche ziehen kann. Und bitte, bitte es ist möglich abzuwägen und zu werten sonst käme ja immer nur ein Zufallsspielplan zustande.
Also, verbleibe ich leider doch der Meinung, dass der Pitch eine gute, verbesserungswürdige Intiative war, die eine weitere Möglichkeit der Vermittlungsarbeit zwischen Schreibenden und Theatern o.Ä. darstellt. Die teilweise unterirdische, schlecht geschriebene, gedanklich faule Reaktion des Feuilleton (Meierhenrich!!!!) läßt für mich eher auf einen reaktionären, selbstzufriedenen, im Lamentieren glücklichen Betrieb als auf eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit dem Gegenstand schließen.
Sie verlangen Differenzierung und kanzeln ab. Das verträgt sich schlecht miteinander.
Pitchen ist vielleicht eine zusätztliche Arbeitsleistung - Was ist Vorsprechen von Schauspielern? Was sind Vorstellungsgespräche etc.? (Das ist wirklich haltlos, dem gesamten "Betrieb" abzusprechen, er verlange nicht andauernd Arbeitsproben)
Die Stücke sind ja zumeist noch nicht fertig. Es kann dadurch auch von den Pitchenden überprüft, ausgetestet werden, was besser oder schlechter funktioniert. Es gibt die Möglichkeit den Pitch als Testlauf für sich selber zu definieren und nicht ausschließlich ans "Gewinnen" zu denken. Eine Sichtweise die Schauspielern notwendigerweise eingeimpft wird, um nicht beim Vorsprechen zu verkrampfen.
Die Frage der Veröffentlichung von Ideen sehe ich als nicht problematisch an. Es ist ja ebenso nachvollziehbar, wo die Idee ursprünglich herkam.
Die Differenzierung hinsichtlich der mangelnden Diversität, kann ich nur ansatzweise leisten. Mein Eindruck ist, dass die Macht des gatekeeping - also ich lasse durch, was mir richtig erscheint anhand zumeist nicht näher reflektierter Qualitätsstandards - nur durch flankierende partizipatorische Maßnahmen nachhaltig irritiert werden kann. Irritation als positiver Wachstumskatalysator. Also vereinfacht gesagt. Die Luft in den Kantinen ist leider zu abgestanden und die Einwohner dieser Orte sind tumeist weiße Wagenburgler, die zuwenig Weltkontakt in ihrem Arbeitsalltag haben. Da kann die Außenwelt doch ein wenig anregend helfen.
Abschließend bedanke ich mich bei Ihnen für die prophetischen Fähigkeiten. Sagen Sie mir nur schnell, woher Sie wissen, dass "so" keine Dramenliteratur entstehen kann. Waren Sie schon in der Zukunft und haben es überprüft?
Habe ich sehr gern gemacht, Ihre Fragen bedacht und beantwortet. Ich fand sie weniger provokant als jemanden xyhelmut erfreulich fähig, zu erkennen und knapp zu formulieren, welche Fragen diese unsere Zeit in Theatermenschen provoziert. Danke dafür.